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23.08.2001
Hundert Jahre auf dem Balkan
NATO startet dritte Intervention auf dem Balkan. Lange Präsenz absehbar

Die NATO beginnt ihre dritte militärische Intervention auf dem Balkan. Am Mittwoch um zwölf Uhr hat der NATO- Rat den Obersten Befehlshaber der Allianz für Europa, General Joseph Ralston, angewiesen, den Einsatzbefehl zu geben. Der NATO-Rat hatte den Einsatz bereits am Dienstag im Grundsatz beschlossen. Die Operation »Essential Harvest« (Wesentliche Ernte) ist nach Bosnien und Kosovo die dritte NATO-Intervention auf dem Balkan.

General Ralston hatte sich nach einem Kurzbesuch in Skopje zu Wochenbeginn für den Einsatz in Mazedonien stark gemacht, weil »es nicht besser werden wird« und das Risiko größer werde, je länger man warte. Um welches Risiko es sich dabei handelt und warum die NATO mit solcher Macht darauf drängt, sich trotz der großen Gefahren in Mazedonien zu etablieren, hat man auch auf konservativer Seite deutlich erkannt. Gary Dempsey, Mitarbeiter der US- amerikanischen Denkfabrik Cato, lieferte kürzlich eine der plausibelsten Erklärungen. Dem Balkankenner zufolge soll mit einem Einsatz in Mazedonien verhindert werden, daß sich die NATO-Intervention im Kosovo zum totalen Mißerfolg entwickelt.

Die albanischen UCK-Rebellen, von denen ein großer Teil aus dem Kosovo stammt, hätten laut Dempsey nämlich die Fähigkeit, der NATO das Leben im Kosovo sehr schwer zu machen. Das könnte schnell solche Ausmaße annehmen, daß die NATO-Mission im Kosovo öffentlich nicht nur als »Fehler« wahrgenommen wird, sondern als »der wichtigste Faktor«, der zur weiteren Destabilisierung der ganzen Region beigetragen habe. Um weiterhin den Schein vom »Erfolg im Kosovo« zu wahren, sei die NATO bereit, sich immer stärker in die höchst explosive Lage in Mazedonien einzumischen. Auf Dauer würde das zwar nicht helfen, das absehbare NATO-Desaster im Kosovo zu verhindern, schlußfolgert Dempsey, aber die Operation in Mazedonien würde zumindest die internationale Aufmerksamkeit für eine Weile ablenken.

Folgerichtig hat der NATO-Rat am Dienstag per »silence procedure« die Operation »Essential Harvest« beschlossen. Da bis zum Ablauf der Einspruchfrist am Mittwoch mittag in keiner der 19 Hauptstädte der Allianz Widerspruch eingelegt wurde, gilt der Beschluß zur Entsendung von 3 500 Soldaten nach Mazedonien als einstimmig angenommen. Das Bundeskabinett wird voraussichtlich am heutigen Donnerstag über den möglichen Einsatz der Bundeswehr beraten.

Die NATO hatte ursprünglich vier Bedingungen für eine Truppenentsendung gestellt: ein politisches Friedensabkommen zwischen der mazedonischen Regierung und den albanischen Parteien, ein Abkommen zwischen der NATO und Mazedonien über die juristische Grundlage der NATO-Operation auf mazedonischem Territorium, eine Übereinkunft mit der UCK zu deren Entwaffnung und einen dauerhaften Waffenstillstand. Während die ersten beiden Bedingungen mittlerweile erfüllt sind, gilt das nicht für die beiden anderen. UCK-Chef Ali Ahmeti scheint längst nicht die alleinige Kontrolle über seine bewaffneten Gruppen zu haben, wie die anhaltenden Angriffe und Anschläge der UCK zeigen. Auch General Ralston hat in seiner Lageeinschätzung für den NATO-Rat am Montag den Angaben zufolge gesagt, daß die Einhaltung der Waffenruhe nicht gewährleistet ist.

Aber auch in der NATO scheinen sich einige der Probleme bewußt zu sein. Gegenüber dem kanadischen »Toronto Star« erklärte ein NATO-Vertreter kürzlich, ihn beunruhige am meisten das »Warlord Syndrome«. Die UCK-Feldkommandanten würden in den von albanischen Gewaltseparatisten kontrollierten Gebieten »wie kleine Feudalherren über ihre Lehen« herrschen. Allerdings hat Washington bereits den Schuldigen ausgemacht, für den Fall, daß die Ernte-Operation der NATO ein Flop werden sollte. Ein hochrangiger US-Diplomat rügte Anfang der Woche, die Regierung des mazedonischen Präsidenten Boris Trajkowski hätte »keine ernsthaften Anstrengungen unternommen«, die Bevölkerung in dem Balkanland auf das Friedensabkommen vorzubereiten. Dafür herrscht unter den albanischen Separatisten bereits große Vorfreude über die Ankunft der NATO. Allerdings sei ein Monat, wie in Brüssel vorgesehen, viel zu kurz. »Hundert Jahre muß die NATO bleiben«, war von deren Seite am Mittwoch zu hören.

Rainer Rupp

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