Wenn man den Berichten aus Skopje Glauben schenkt, dann haben die Konfliktparteien in Makedonien am Montagnachmittag den Weg zum Frieden bereitet. Die Vertreter der zwei größten slawisch-mazedonischen (VMRO-DPMNE, SDSM) und der zwei albanischen Parteien (DPA und PDP) sowie Staatspräsident Trajkovski unterschrieben ein Abkommen, das in den Medien etwas überschwänglich als "Friedensvertrag" bezeichnet wird. Ausgehandelt und paraphiert worden war das Abkommen schon in der Woche davor (am 8. August) mit den US- und EU-Vermittlern James Pardew und François Léotard in Ohrid. Der endgültigen Unterzeichnung am 13. August wohnten Nato-Generalsekretär George Robertson, der EU-Beauftragte für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, der belgische Außenminister Louis Michel in seiner Eigenschaft als derzeitiger EU-Ratsvorsitzender und der OSZE-Vorsitzende Mircea Geoana bei.
Straffreiheit gegen Entwaffnung
Die UCK selbst war weder bei den Verhandlungen noch bei der Unterzeichnung des Abkommens vertreten. Und doch drückte sie dem Verhandlungsprozess und den vereinbarten Regelungen ihren Stempel auf. Dies beginnt damit, dass sich die makedonische Seite dazu verpflichten musste, den UCK-Terroristen Straffreiheit zuzusagen. Diese Bedingung hatte die NATO gestellt - wohl auf Anraten der USA, die ja bekanntlich über gute Beziehungen zur UCK verfügt. Präsident Boris Trajkovski kündigte jedenfalls an ein Dekret erlassen zu wollen, das den UCK-Kämpfern eine Amnestie zusichert. Ausgenommen von der Amnestie nseien aber all jene, die sich Kriegsverbrechen haben zuschulde kommen lassen, die in den Zuständigkeitsbereich des Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag fallen. Die Zusicherung der Amnestie muss allerdings durch einen formellen Parlamentsbeschluss noch Gesetzeskraft erlangen. Der Sondergesandte der NATO, der niederländische Diplomat Pieter Feit, machte sich am Dienstag, den 14. August, auf den Weg in die Berge nördlich von Tetovo, um dem UCK-Führer Ali Ahmeti die schriftliche Erklärung des Präsidenten zu übergeben und mit ihm die Modalitäten der vorgesehenen Waffenübergabe zu besprechen. Ein entsprechendes Papier müsste dann von der UCK unterzeichnet werden.
Der Entwaffnungs- und Demobilisierungsplan sieht vor, dass die UCK innerhalb von 30 Tage ihr gesamtes Waffenarsenal und ihre sonstige Ausrüstung einschließlich der Uniformen der NATO an vereinbarten Sammelpunkten übergibt. Die Übergabe soll dem Vernehmen nach in drei Schritten von jeweils zehn Tagen erfolgen, wobei jeweils ein Drittel der Waffen abgegeben werden muss. Parallel dazu soll das Parlament in Skopje in drei Lesungen die im Anhang 1 zum Rahmenabkommen fertig ausformulierten Änderungen der Präambel sowie von insgesamt 15 Paragraphen der makedonischen Verfassung beraten. Drei Tage nach Abschluss der Entwaffnung der UCK sollte nach Vorstellung der Nato die Ratifizierung der Verfassungsänderungen durch das Parlament erfolgen, wofür eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist.
Bei allen Beteiligten herrscht indes große Skepsis darüber, dass die UCK mit der Entwaffnung wirklich Ernst macht. Die UCK ist keinem einheitlichen zentralen Kommando unterstellt. Ahmeti und der selbsternannte "Generalstabschef" Gesim Ostreni kontrollieren nach Meinung diplomatischer Kreise in Skopje nur ca. 80 bis 90 Prozent der UCK-Einheiten. Die übrigen Abteilungen operieren auf eigene Rechnung - wozu man wissen muss, dass sich mit dem Waffenschmuggel und Drogenhandel, den die Albaner im Kosovo und in Makedonien weitgehend kontrollieren, viel Geld verdienen lässt. Der Proto-Bürgerkrieg in Makedonien ernährt also in erster Linie die UCK-Kämpfer. Eine Waffenabgabe ist aus ihrer Sicht gleichbedeutend mit dem Fall in die Arbeitslosigkeit und dem Verlust der Existenz. Von der UCK abgespalten hat sich bereits eine so genannte "Albanische Nationale Armee" (AKSh). Hinzu kommt, dass die UCK-Terroristen und ihre Sympathisanten unter der albanischen Zivilbevölkerung kaum ein Interesse daran haben werden, dass die NATO, wenn sie denn nach Makedonien kommt, sich lediglich der Entwaffnung der UCK widmet und danach wieder das Land verlässt. Besteht doch dann für die Albaner die Gefahr, dass makedonische Truppen wieder in die zur Zeit noch UCK-kontrollierten "befreiten Gebiete" einrücken. Die Albaner wären um die Ernte ihres "Befreiungskampfes" gebracht. Dabei haben sie sich unter dem Namen der vorgesehenen NATO-Operation "Essential Harvest", also "Bedeutende Ernte", wesentlich mehr versprochen.
Das Abkommen
Neben der Entwaffnung der UCK und der versprochenen Straffreiheit für ihre "Kämpfer" enthält das Abkommen eine Reihe von politischen Maßnahmen, zu denen sich Regierung und Parlament in Skopje verpflichten. Die wichtigsten sind:
Einsatz von NATO-Truppen und Bundeswehr steht bevor
Am Tag nach der Unterzeichnung des Abkommens hatte es NATO-Generalsekretär eilig. Telefonisch benachrichtigte er die Außenminister der NATO-Staaten vom Inhalt des Abkommens und ermahnte sie ihren Verpflichtungen bald nachzukommen. Die 3.500 NATO-Soldaten müssten umgehend nach Mazedonien geschickt werden, weil sonst der politisch nicht sehr stabile Friedensprozess "zerbröseln" könnte, schrieb die Frankfurter Rundschau (15.08.2001). Am liebsten schon am Donnerstag, spätestens aber am Freitag hätte Robertson gerne vom NATO-Rat die "ActOrd", den Auftrag an die Militärs, den Einsatz zu beginnen. Vor einer Entsendung der Soldaten zum Einsammeln der Rebellenwaffen muss der NATO-Rat noch befinden, ob die Umstände dies erlauben. Die Truppe könnte dann binnen zwei Wochen stationiert sein und mit ihrer bislang auf 30 Tage begrenzten Mission beginnen. NATO-Sprecher betonten zum wiederholten Mal, dass die Allianz nur zu einer "freiwilligen" Entwaffnung bereit sei.
Letzte Meldung:
NATO schickt Vorhut nach Makedonien - Bundestag entscheidet am 23. oder 24. August
NATO-Generalsekretär George Robertson hatte zur Eile angetrieben. Am 15. August tagte der NATO-Rat und beschloss - zwar noch nicht den Einsatzbefehl, wohl aber die Entsendung eines Voraustrupps nach Skopje: 400 Briten sollen schon einmal ein NATO-Hauptquartier für die später zu entsendenden 3.500 Soldaten errichten. Dieser Beschluss wurde einstimmig gefasst. Dass es sich dabei um kein "Präjudiz" handeln soll für eine deutsche Teilnahme, das glaubt ohnehin niemand. Der NATO-Einsatz ist faktisch beschlossene Sache, er wird nur in Häppchen offeriert, damit er von der skeptischen Öffentlichkeit besser verdaut werden kann.
Voraussichtlich am 23. oder 24. August soll der Bundestag in einer Sondersitzung über eine endgültige Teilnahme an der NATO-Aktion "Essential Harvest" abstimmen. Die Friedensbewegung hält daran fest, am Vorabend dieser Sitzung im ganzen Land mit Aktionen und Mahnwachen gegen den geplanten Kriegseinsatz zu demonstrieren.
Robertsons Mahnung zur Eile hieße für die Bundesregierung, dass sie sich bis Freitag einigen muss, ob sie die Bedingungen für einen Einsatz deutscher Soldaten gegeben sieht. Dafür sind die Voraussetzungen aber noch keinesfalls gegeben, meint Berlin. Regierungssprecherin Charima Reinhardt sagte am 14. August, zu den Voraussetzungen eines Einsatzes gehöre neben dem am Montag unterzeichneten Abkommen auch eine Vereinbarung über die Modalitäten der Waffenübergabe. Erst danach seien Bundeskabinett und Bundestag gefragt. "Natürlich muss so ein Abkommen auch eingehalten werden", erklärte Frau Reinhardt. (Süddeutsche Zeitung, 15.08.2001) Aus Oppositionskreise tönt es nur auf den ersten Blick ähnlich. Volker Rühe etwa wird dahingehend zitiert, dass er aus demselben Grund einen NATO-Einsatz im Moment nicht für machbar halte. Die UCK, so wird hier sehr nüchtern gesehen, werde kaum ihre modernen Waffen abgeben, sondern sich vielleicht nur mit einer symbolischen Geste begnügen und ein paar alte Waffen los werden. Für Rühe ergibt sich aber daraus nicht die Konsequenz, von einem Bundesehreinsatz ganz abzusehen, sondern das Mandat der NATO zu ändern. "Die Nato", schrieb der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe und stellvertretende Bundesvorsitzende CDU in einem Gastkommentar der "Welt" "wird schwer beschädigt dastehen, wenn nach Abschluss der Waffeneinsammelaktion der Konflikt mit den verbliebenen Waffen von neuem begonnen wird. Deshalb kann ein solches Mandat nicht unsere Zustimmung finden. Es muss dahingehend verbessert werden, dass die Nato-Soldaten auch Waffen konfiszieren dürfen, die ihnen nicht freiwillig abgeliefert werden." (Die Welt, 01.08.2001) Hinzu kommen die bekannten "Bedingungen", die an eine Zustimmung der CDU/CSU geknüpft werden: Keine Begrenzung des Einsatzes auf 30 Tage und eine Aufstockung des Verteidigungsetats.
Die ablehnende Haltung der Friedensbewegung und der mit ihr sympathisierenden Abgeordneten (die PDS-Fraktion sowie rund 30 Abgeordnete der SPD und möglicherweise bis zu einem Dutzend Abgeordnete der Grünen) ist natürlich anders begründet.
Die Bundesregierung wäre also gut beraten, in der Bundeswehreinsatzfrage allmählich zurück zu rudern. Auch in anderen NATO-Staaten wächst derzeit die Skepsis, ob ein Einsatz möglich erscheint. Von den drei Bedingungen, die erfüllt sein müssen, bevor der Bundestag sein Plazet für einen Einsatz geben soll, sind zwei gerade einmal auf dem Papier formuliert: Die Entwaffnung der UCK und die Garantie größerer Minderheitenrechte für die albanische Bevölkerung in Makedonien. Mit der dritten und wichtigsten Bedingung sieht es schon anders aus: Ein dauerhafter Waffenstillstand sollte es sein. Aus Regierungskreisen war zu hören, der am 13. August eingetretene Waffenstillstand müsse sich erst bewähren, er müsse "belastbar" sein. Ich habe im Augenblick sogar Zweifel, ob man überhaupt von einem Waffenstillstand sprechen kann. Jedenfalls sind die Meldungen aus Makedonien vom 14. und 15. August nicht gerade beruhigend. Die regierungsamtliche Makedonische Informationsagentur MIA berichtete am 15. August z.B. von zahlreichen Übergriffen der UCK:
Hier erübrigt sich jeder Kommentar. Wer nun aber meint, die Albaner und die Makedonier könnten eben nicht miteinander, sodass am Ende doch nur eine - staatliche - Trennung bleibe (was das definitive Aus der makedonischen Republik bedeuten würde), der könnte einem verhängnisvollen Irrtum aufsitzen. Brigitte Klaß schildert in einem Leserbrief an die Frankfurter Rundschau anschaulich, wie Zusammenarbeit und Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Entitäten auf dem Balkan möglich sein kann. Große Teile der Bevölkerung Makedoniens, so schreibt sie, wollen "weiterhin in Frieden miteinander leben". Und als Beispiel führt sie die vom Komitee für Grundrechte seit vielen Jahren durchgeführten "Ferien vom Krieg" an, "bei denen sich trotz der kriegerischen Lage albanische, slawische, serbische, türkische und Roma-Kinder am Ohrid-See treffen und gemeinsam erholen. Gab es in den letzten beiden Jahren noch feindselige Auseinandersetzungen zwischen den Betreuerinnen und Betreuern beider Seiten oder Anfeindungen durch andere Urlauber, so ist die Lage dieses Jahr erstaunlich freundlich und offen. Hotelpersonal und Urlauber sind erfreut und überrascht, dass so etwas in diesen Tagen in ihrem Land möglich ist. Es gibt noch Hunderte von Familien, die ihre Kinder gemeinsam in die Ferien schicken wollen
Einige Kinder kommen aus einem Dorf im Kampfgebiet (Romanovec), dessen Bewohner sich nicht durch die nationalistische Propaganda beider Seiten auseinander bringen ließen. Als Symbol dafür kamen die albanischen, slawischen und türkischen Kinder gemeinsam nach Ohrid. ... Die 'Ferien vom Krieg' sind damit ein wichtiges Stück praktischer Friedensarbeit, das sich der grausamen Logik des Krieges widersetzt." (Zit. n. FR, 15.08.2001)
Peter Strutynski
Quelle: Internetseite des Friedensratschlags unter http://www.friedensratschlag.de
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