Wider das Informationsmonopol des Pentagon
Jürgen Todenhöfer war in Irak gereist und hat darüber ein
brillantes Buch geschrieben
Joachim Guilliard
Ossietzky, Ausgabe 7/2008,
http://www.sopos.org/ossietzky/
In den deutschen Medien ist es normal geworden, über die Iraker zu
reden statt mit ihnen. Reichlich Gelegenheit, mit ihnen zu reden, hätte
die internationale Irakkonferenz Anfang März in Berlin (s. Ossietzky
6/08) geboten, wo zum Beispiel die Schriftstellerin Haifa Zangana,
einst Opfer von Repressionen unter Saddam Hussein, erschütternd
darstellte, wie drastisch sich in den vergangenen fünf Jahren seit dem
Einmarsch der US-Truppen die Lage der irakischen Frauen verschlechtert
hat; kürzlich hat sie ihre Erfahrungen auf englisch in dem Buch „Stadt
der Witwen – Bericht einer irakischen Frau über Krieg und Widerstand“
(Seven Stories Press, New York, November 2007) veröffentlicht. Auch
Wissenschaftler, Politiker, US-Soldaten und Journalisten wirkten an dem
umfangreichen Programm mit. Doch die meisten Medien legten keinen Wert
auf Informationen aus erster Hand. Sie blieben der Konferenz fern.
So blieb es dem Spitzenmanager Jürgen Todenhöfer, der als junger
CDU-Politiker noch eher dem rechten Flügel seiner Partei angehörte,
vorbehalten, am fünften Jahrestag des Kriegsbeginns einen
Kontrapunkt zur üblichen (Nicht-)Berichterstattung zu setzen. Der
stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Burda-Konzerns reiste im
vergangenen Jahr undercover in den Irak um vor Ort Betroffene des
Krieges zu befragen und hat darüber ein brillantes Buch geschrieben.
Sein fünfzehnminütiger Auftritt in der Talkshow von Johannes B. Kerner,
in der er sein Buch vorstellte, war wahrscheinlich das Beste, was in
den letzten Jahren im deutschen Fernsehen über den Irak gesendet worden
ist. Schon der kurze Filmvorspann überraschte mit Informationen, die
uns das Fernsehen sonst vorenthält. Zum Beispiel wurde von den
verheerenden Luftangriffen der Besatzungstruppen berichtet, über die
man hierzulande nichts erfährt, und ohne Umschweife wurde erwähnt, daß
man inzwischen von mehr als einer Million Todesopfern des Krieges
ausgehen müsse.
Nichts, was die Zuschauer aktuell auf den Bildschirmen sehen, so
Todenhöfer anschließend im Gespräch, vermittle ihnen auch nur
ansatzweise ein realistisches Bild vom Geschehen im Irak. Von den
durchschnittlich einhundert Angriffen der US-Truppen pro Tag –
Schießereien, Razzien, Bombardierungen – zeige das Fernsehen nichts.
Auch nichts von den einhundert Aktionen des bewaffneten Widerstandes
gegen die Besatzungskräfte. Zu sehen gebe es nur die zwei, drei
Selbstmordanschläge von Al Qaida auf Zivilisten, also von
Terrorgruppen, die mit dem Widerstand überhaupt nichts zu tun hätten
und von den Irakern noch mehr verabscheut würden als von uns.
Er erzählte die Geschichte von Zaid, der Hauptperson seines sehr
persönlich gehaltenen Buches. Zaid ist ein 22jähriger Student, der nie
etwas vom Krieg wissen wollte und sich dem Widerstand erst anschloß,
nachdem wie schon sein erster auch sein zweiter Bruder von US-Soldaten
getötet worden war – verblutet auf der Straße, vor den Augen der ganzen
Familie, weil das anhaltende Feuer US-amerikanischer Heckenschützen
jede Hilfe verhinderte.
Das Gespräch drehte sich schließlich um einen anderen Teil seines
Buches, in dem sich Todenhöfer gegen den „war against terror“ des
Westens und die westliche Politik gegenüber den islamischen Ländern
generell wendet. Terroristen hätten in den letzten 20 Jahren etwa 5.000
Zivilisten ermordet, aber George Bush habe im Irak Hunderttausende
töten lassen. Es sei daher eine „unglaubliche Überheblichkeit“, von der
„Gewalttätigkeit der muslimischen Welt“ zu reden, das größte Problem
heute sei „vielmehr die Gewalttätigkeit einiger westlicher Länder“. Die
Lebenslüge, in der wir leben, sei die Vorstellung „Wir sind die Guten,
die Hilfreichen“. Der Westen habe nicht die Welt erobert, weil er
großartigere Ideen oder überlegene Werte hatte, sondern weil er
gnadenlos Gewalt angewandt habe – schließlich waren es nicht Muslime,
die durch den Kolonialismus 50 Millionen Menschen umbrachten, zwei
Weltkriege anzettelten oder den Holocaust verübten. Zur Sprache kam
auch der Rassismus gegenüber der islamischen Welt, deren Bewohner im
Westen oft wie „Untermenschen“ behandelt würden. Wie die
Berichterstattung über zivile Opfer von Luftangriffen zeige, zähle das
Leben eines Irakers offenbar weit weniger als das eines Amerikaners
oder Europäers.
So fundiert und pointiert wie Todenhöfers Auftritt bei Kerner ist auch
sein Buch, das sicherlich die aktuell tiefschürfendste Darstellung der
Situation im Irak bietet. Vor diesem Buch veröffentlichte er schon zwei
andere, in denen er sich bemühte, den Opfern westlicher Kriegspolitik
ein Gesicht zu geben. Er fuhr in das besetzte Land, um die andere Seite
des Krieges zeigen zu können, die Brutalität des Besatzungsregimes, die
Zerstörungen, das Elend. Und er machte das, was die meisten
Journalisten vermeiden: Er sprach mit den Betroffenen und läßt in
seinem Buch diejenigen zu Wort kommen, die in den westlichen Medien nur
als Feinde erscheinen.
Da ist zum Beispiel ein ehemaliger Professor der Universität Bagdad.
Der väterlich und sehr würdig wirkende 42jährige Schiite mit dem
Decknamen Mohammed ist Führer einer vereinigten Widerstandsgruppe aus
Nationalisten, Baathisten und gemäßigten Islamisten und eine prominente
Führungspersönlichkeit des Widerstands. Er schloß sich wenige Wochen
nach der US-geführten Invasion dem Widerstand an, weil ihm die
Demütigungen und Gewalttätigkeiten, die er und seine Umgebung erleben
mußten, keine andere Wahl ließen.
Oder Yussuf, der genauso aussieht, wie man sich im Westen einen
muslimischen Widerstandskämpfer vorstellt. Doch Yussuf ist einer der
vielen Christen im Widerstand, die sich ebenso selbstverständlich wie
Manichäer, Sabier, Yeziden und andere Minderheiten gegen den
„Terrorismus der christlichen Besatzer“ wehren, zitiert ihn Todenhöfer.
Auch zahlreiche Frauen seien im Widerstand. Zudem sei es völlig normal,
daß Christen, die fliehen müßten, von sunnitischen oder schiitischen
Familien aufgenommen würden und umgekehrt Christen auch Muslimen
Zuflucht gewährten. Mehr als die Hälfte der ursprünglich 1,5 Millionen
Christen seien jedoch mittlerweile vor der Gewalt der Besatzer und der
islamistischen Extremisten nach Syrien geflohen, der Rest unterstütze
den Widerstand.
Yussuf verhehlt nicht, daß es Iraker gibt, die Anschläge auf Zivilisten
verüben. Dies bleibe kaum aus, gibt er zu bedenken, wenn man Menschen
jegliche Hoffnung nehme. Zudem habe die Besatzung sunnitische und
schiitische Extremisten nach oben gespült – mit der Folge, daß nun
vielerorts auch Christinnen gezwungen seien, den Schleier zu tragen.
Abu Bassem, der vornehme Gastgeber eines Treffens mit Führern des
Widerstands, nennt Todenhöfer „den ersten Westler, der nicht mit einem
Hubschrauber oder Schützenpanzer der US-Armee nach Ramadi“ gekommen sei
und seine Nächte nicht in den „zubetonierten Militärcamps“ verbringe.
Die meisten westlichen Journalisten ließen sich die Geschehnisse im
Irak fast ausschließlich von US-Offizieren erklären. Damit habe das
Pentagon faktisch ein Informationsmonopol. Das sei „so, wie wenn man
1943 als Journalist mit deutschen Truppen ins besetzte Polen gereist
wäre und dann im Vertrauen auf die Redlichkeit deutscher
Presseoffiziere über die Situation der polnischen Bevölkerung
geschrieben hätte“. Nicht ein einziger Journalist habe in den Jahren
seit Beginn der Besatzung in Ramadi mit dem Widerstand gesprochen –
obwohl er neben den US-Truppen die stärkste militärische Kraft im Irak
sei.
Mohammed, der ehemalige Professor und heutige Guerillaführer, ist sehr
gut über die Vorgänge und Diskussionen im Westen informiert, kritisiert
im Einzelnen die westliche Politik gegenüber dem Irak und skizziert,
was zur Beendigung der Besatzung und für die Zeit danach geschehen
müsse. Die Vorschläge sind nicht neu, auf der Irakkonferenz wurden sie
in ähnlicher Weise vorgestellt. Es steht zu hoffen, daß sie durch
dieses Buch größere Verbreitung erfahren.
Todenhöfer, der ehemalige Rechtsaußen der CDU, der politisch einen
weiten Weg hinter sich hat, weiß, daß er trotz seiner Prominenz und
seines privilegierten Zugangs zu den Medien einen schweren Stand haben
wird. Er hat daher alle Aussagen so gut wie möglich gegenrecherchiert
und seine Schilderungen mit ausführlichen Zusatzinformationen und
Quellenangaben unterlegt. Dieser Anhang macht insgesamt 48 der 335
Seiten aus. Zum fünften Jahrestag des Krieges schaltete Todenhöfer
zudem doppelseitige Anzeigen in der FAZ, der New York Times und Al-Quds
Al-Arabi, in denen er seine zehn im Buch veröffentlichten Thesen wider
die westliche Ignoranz und Hegemonialpolitik vorstellte.
Die meisten Medien nahmen auch das, was er unter erheblichen Gefahren
zusammentrug, bisher offensichtlich kaum zur Kenntnis. Dennoch schaffte
es sein Buch in kurzer Zeit unter die ersten zehn der Bestsellerlisten.
So wird sich hoffentlich fortsetzen, was seit längerem bezüglich der
Kriege in Afghanistan und Irak zu beobachten ist: Trotz einer völlig
einseitigen, verfälschenden Berichterstattung über den Irak wie auch
über Afghanistan nimmt die Zahl derer, die diese Kriege ablehnen,
stetig zu.
Jürgen Todenhöfer: „Warum tötest du, Zaid?“, C. Bertelsmann Verlag,
336 Seiten, 19.95 ¤ (s. www.warumtoetestduzaid.de)
Jürgen
Todenhöfer, geboren 1940, ist Manager eines
europäischen Medienunternehmens, war 18 Jahre lang
Bundestags- abgeordneter und Sprecher der Unionsparteien
für Entwicklungshilfe und Rüstungskontrolle. Er schrieb
die Bestseller »Wer weint schon um Abdul und
Tanaya?«
und »Andy und Marwa - zwei Kinder und der
Krieg«. Mit
seinen Buchhonoraren hat er ein Kinderheim in Afghanistan
und ein Kinderkrankenhaus im Kongo gebaut. Mit dem Honorar
für dieses Buch wird er ein israelisch-palästinensisches
Versöhnungsprojekt finanzieren.
»» Auf der
Homepage zum
Buch gibt es noch viel
Hintergrundmaterial, sowie Todenhöfers zehn
ausführlich erläuterte Thesen, in denen er
versucht, die auch die Sicht der Muslime zu
berücksichtigen.
Die erste lautet beispielsweise: "1. Der
Westen ist viel gewalttätiger als die muslimische Welt.
Millionen arabische Zivilisten wurden seit Beginn der
Kolonialisierung getötet."
(mehr
...)
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