Über Gladio
Von Reinhard Jellen
junge Welt, 08., 15. u. 22.11.2008 / Wochenendbeilage
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Daß sich das amerikanische Militär und die CIA in Lateinamerika, Asien
und Arabien seit den letzten 50 Jahren nicht gerade wie ein Golfclub
benommen haben, ist eine Erkenntnis, die sich außerhalb dieser Gebiete
noch nicht ganz durchgesprochen zu haben scheint, aber immerhin in den
betreffenden Regionen kein Geheimnis mehr ist. In Westeuropa waren
jedoch diese Institutionen im Verbund mit einer NATO-Geheimeinheit, die
wiederum mit den hiesigen Geheimdiensten und Rechtsradikalen
kooperierte, gleichfalls subversiv tätig, und darüber wußte man hier
bislang wenig. Während man zur Tätigkeit der Stasi sogar eine eigene
Behörde eingerichtet hat, die mit Hilfe der Marvel-Comics das
DDR-Unrechtssystem wissenschaftlich rekonstruiert, kann man z.B. über
den westdeutschen Geheimdienst gleichfalls nur spekulieren.
Licht
in dieses westeuropäische Dunkel hat nun Daniele Ganser mit seinem Buch
»NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte
Kriegsführung« (Verlag Orell Füssli) gebracht. Denn der Schweizer
Historiker Daniele Ganser hat sich in seiner Promotionsarbeit dem
geheimen militärischen NATO-Netzwerk Gladio gewidmet. Aufgrund der
Brisanz seines Gegenstandes wurde das Buch bereits in zehn Sprachen
übersetzt. Eigentlich müßte nach seiner Veröffentlichung das Fach
Geschichte an den westeuropäischen Universitäten in eine
offiziell-fiktive und eine reale Geheimgeschichte unterteilt werden.
Am
31. Mai 1972 starben unweit des italienischen Dorfes Peteano drei
Carabinieri, als sie ein verdächtiges Auto untersuchen, durch einen
Sprengstoffanschlag. Als Attentäter wurden bald von Medien und Politik
linke Gewalttäter in Gestalt der Roten Brigaden ausgemacht. Als jedoch
1984 der italienische Staatsanwalt Felice Casson den Fall neu
aufrollte, weil er in der vorherigen Untersuchung auf eine Serie von
Widersprüchen und offenkundigen Fälschungen gestoßen war, konnte dieser
nach jahrelangen Recherchen in den Archiven des italienischen
Geheimdienstes und nach dem Geständnis des Rechtsextremisten Vincenco
Vinciguerra die Existenz einer Geheimarmee in Italien nachweisen. Diese
operierte mit Rechtsradikalen, um durch Anschläge auf Zivilisten, die
den Linken in die Schuhe geschoben wurden, erstens zu verhindern, daß
die Kommunistische Partei Italiens weiter an Popularität gewann, und
zweitens den Vorwand zur politischen Repression zu liefern.
Diese
Organisation nannte sich Gladio und war kurz nach Ende des Zweiten
Weltkrieges von den Amerikanern gegründet worden, die im Falle einer
Invasion der Sowjetunion auf eine Guerilla-Armee, bestehend aus
Geheimdienstlern, Militärexperten und Rechtsextremisten mit geheimen
Waffenlagern, zurückgreifen wollten. Zusätzlich sollte diese
militärische Parallelstruktur durch Terroranschläge auf die
Zivilbevölkerung die Kommunisten, die durch ihren Widerstand gegen die
Nazis außerordentlich populär waren, diskreditieren. Immer wieder war
es in Italien zu spektakulären Waffenfunden in versteckten Depots
gekommen aber erst mit den Enthüllungen Cassons, konnten diese in einen
weiteren Zusammenhang gebracht werden.
Über Gladio II
»Als ›der Kalte Krieg Europa teilte‹ wurden ›Brutalität und Terror‹
zur Kontrolle der Bevölkerung angewendet (...). Nachdem die Rote Armee
1968 gnadenlos die sozialen Reformen in Prag zerschlagen hatte,
erklärte der sowjetische Präsident Leonid Breshnew in seiner
berüchtigten ›Breshnew-Doktrin‹, daß den Ländern Osteuropas nur eine
›begrenzte Souveränität‹ zugestanden wird. (...). Die Fakten über die
Operation Gladio und die Stay-behind-Armeen der NATO zeigen eine
subtilere und verdecktere Strategie zur Manipulation und zur
Eingrenzung der Souveränität, die von Land zu Land sehr unterschiedlich
war. Dennoch war es eine Eingrenzung der Souveränität. Die
Stay-behind-Armeen funktionierten, weil es keine sowjetische Invasion
gab, als ›Zwangsjacke‹ für Demokratien in Westeuropa (...), man könnte
sie daher auch als die Breshnew-Doktrin Washingtons bezeichnen.«
(Daniele Ganser, NATO-Geheimarmeen in Europa, Zürich 2008, S. 378 f.)
Die Enthüllungen von Staatsanwalt Felice Casson führten im Sommer
1990 in Italien zu einer Staatskrise, durch welche der Senat den
damaligen christdemokratischen Premierminister Giulio Andreotti zwingen
konnte, zu Gladio eine öffentliche Erklärung ab- und deren Existenz
zuzugeben. Im Zuge dessen sahen sich Griechenland und Frankreich
gezwungen, die Öffentlichkeit über klandestine militärische
Organisationen in ihren Ländern zu unterrichten. So kam raus, daß in
jedem NATO-Land sowie in verschiedenen neutralen Staaten Westeuropas
Geheimarmeen existierten.
In der Bundesrepublik, die seinerzeit kurz vor den ersten
gesamtdeutschen Wahlen stand, wurde von den regierenden
Christdemokraten zunächst versucht, die Debatte unter dem Deckel zu
halten; jedoch kritisierten verschiedene Sozialdemokraten dieses
Verhalten scharf und waren erst wieder mit dem Hinweis zu beruhigen,
daß bereits unter der Regentschaft von Brandt und Schmidt ebenfalls
militärische Geheimeinheiten aktiv waren. Daraufin wurde das Thema in
der Parlamentarischen Kontrollkommission untersucht, natürlich hinter
verschlossenen Türen.
Das Europäische Parlament dagegen fand zu den geheimen Terroreinheiten
der NATO klare Worte und verlangte eine Untersuchung in jedem Land der
EU, die jedoch nur in Belgien, der Schweiz und Italien durchgeführt
wurden. In diese Forschungslücke springt nun der Schweizer Historiker
Daniele Ganser mit seinem Buch, das bereits in zehn Sprachen übersetzt
wurde. Für seine Doktorarbeit konnte Ganser auf gerademal ein Dokument
des italienischen Geheimdienstes SIFAR zurückgreifen und war ansonsten
gezwungen, das geheime Geschehen aus parlamentarischen
Untersuchungsberichten, Zeitungsberichten und Memoiren von
Geheimdienstleuten zu rekonstruieren. Das Ergebnis ist ein sorgfältig
recherchiertes Buch – eine umfangreiche, systematische Untersuchung zu
den NATO-Geheimarmeen, die einen die Nackenhaare aufstehen lassen.
Über Gladio III
»Wie bei der RAF richtete sich der Terror der
Roten Brigaden nicht
gegen Massenansammlungen von Menschen, sondern gegen sehr sorgfältig
ausgewählte Einzelpersonen, die sie als Repräsentanten des ›Staatlichen
Apparates‹ betrachteten, wie etwa Bankiers, Generäle und Minister, die
sie entführten und oftmals auch ermordeten. (...) Im Gegensatz zum
Terror der Linken zielte der Terror der Rechten darauf ab, die gesamte
Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen, und deshalb zündeten
sie ihre Bomben wahllos mitten in der Bevölkerung, um dann die Schuld
auf die Kommunisten zu lenken.« (Daniele Ganser, NATO-Geheimarmeen in
Europa, Zürich 2008, S.26 f.)
Wie Daniele Ganser aufzeigt,
hätten sämtliche Parlamente Westeuropas genug Grund, um
Untersuchungsausschüssen zu gestatten, sich in Geheimarchiven umzutun.
Wahrscheinlich wären aber die Resultate für die westlichen Demokratien
alles andere als schmeichelhaft. Beim »Oktoberfestattentat« 1980, bei
den Anschlägen in Italien 1969, 1972, 1974 und 1980 sowie beim
Militärputsch in Griechenland 1967 und in der Türkei 1980 wird von
Experten eine indirekte oder direkte Beteiligung der NATO-Geheimarmee
stark angenommen.
Auch könnten diesbezüglich Untersuchungen
nicht nur den strukturellen Antikommunismus in vielen Ländern stören,
sondern auch ein grelles Licht auf das Vorgehen der NATO in jüngster
Vergangenheit und der Gegenwart werfen. Schließlich operierte z.B. im
Kosovo-Krieg die terroristische UCK den Gladio-Einheiten nicht
unähnlich, und auch im »War Against Terror« lassen sich immer wieder
Verstrickungen der Geheimdienste in Terroranschläge nachweisen. Die
NATO nicht als Verhüterin, sondern als Verursacherin des Terrors zu
betrachten, und zwar nicht an fernen Kriegsschauplätzen, sondern auch
bei der einheimischen Bevölkerung, könnte zu schwereren Verlusten an
der Legitimationsfront von Kriegseinsätzen führen.
Solche
Überlegungen stellt zwar Ganser nur am Rande an, seine fulminante
historische Untersuchung liefert aber die Mittel hierzu. Eigentlich
genau der richtige Mann für eine aktuelle Stunde des Bundestages.
Schließlich wäre es auch durchaus an der Zeit, das Attentat auf das
Münchner Oktoberfest vom 26. September 1980, das inmitten des
Bundestagswahlkampfs zwischen Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß
erst einmal den Linken in die Schuhe geschoben wurde und von dem
offiziell immer noch die Einzeltäterthese gilt, neu zu untersuchen. Dem
Attentäter Gundolf Köhler konnte bald eine Mitgliedschaft in der
rechtsradikalen »Wehrsportgruppe Hoffmann« nachgewiesen werden. Und
Experten zeigten sich extrem skeptisch, ob die Bombe von einem Laien
allein hätte überhaupt hergestellt werden können. Außerdem berichten
Augenzeugen von drei jungen Männern, die kurz vor der Bombenexplosion
heftig in Streit gerieten. Aber die Ermittlungen zum blutigsten
Terroranschlag in der Geschichte der BRD mit 13 Toten und 218 zum Teil
schwer Verletzten wurden seinerzeit nach nur acht Wochen aufgrund der
fragwürdigen Einzeltäterthese eingestellt.
Vielleicht hätten
weitere Nachforschungen nicht nur das Bild einer organisierten
Bedrohung von rechts, sondern auch eine Verstrickung dieser
Organisationen mit klandestin operierenden Abteilungen der NATO zu Tage
gebracht. Das wäre sicher nicht im Interesse der öffentlichen
Sicherheit gewesen.