Deutsche Kulturträger auf der
Akropolis (Aufnahme von 1941)
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Das deutsche Handelsblatt teilt mit: »Nach den gescheiterten
Bemühungen um eine Regierungsbildung stehen in Griechenland die
Zeichen auf Sturm.« Und: »Die Situation ist brandgefährlich.«
Das Land taumle in den »finanziellen Abgrund«. Hochkonjunktur in
Griechenland, warnte dieses Handelsblatt vom Mittwoch, hätten
jetzt die »politischen Rattenfänger«. Die Ratten – das sind die
Griechen, die unbedingt wählen, also schlimmstenfalls über ihr
Schicksal selbst bestimmen wollen. Rattenfänger, das ist
zuallererst Alexis Tsipras von SYRIZA, dem Bündnis der
sozialistischen Linken. Sein Wahlerfolg aber, so scheint es, hat
dem deutschen Handelsblatt eine Einsicht vermittelt: »Die
Hungerkur ruiniert das Land, die immer schärferen Sparauflagen
zehren an seinen Kräften – ökonomisch, politisch und
gesellschaftlich. Es ist deshalb Zeit für eine Kurskorrektur.«
Höchste Zeit. Griechenlands herrschende Klasse ist in eine
selbstgestellte Falle gelaufen. Ihr Wahlrecht sieht vor, daß die
jeweils stärkste Partei nach der Wahl zusätzlich fünfzg Sitze im
Parlament bekommt, um eine regierungsfähige Mehrheit zu
garantieren. Dafür standen seit dem Ende der Obristendiktatur nach
Gewohnheitsrecht stets nur die beiden heutigen Hungerkurparteien
zur Wahl: die konservative Nea Dimokratia und die
sozialdemokratische PASOK. Doch schon bei der Mai-Wahl war diese
kuriose Sozialdemokratie auf den dritten Platz gefallen.
Das ist die Situation, vor der wir Deutschen die ahnungslosen
Griechen schon immer gewarnt haben. Noch im November konnte Angela
Merkel ihre Ideologie der »marktkonformen Demokratie« in Athen
durchsetzen. Der sozialdemokratische Premier Giorgos Papandreou
mußte die von ihm angekündigte Volksabstimmung über das sogenannte
Hilfspaket unter dem Druck der deutschen Kanzlerin schon nach
wenigen Stunden absagen.
Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble hält auch nichts von
Volksherrschaft im Mutterland der europäischen Demokratie. Er
warnte schon im Februar vor einem Urnengang im Mai (»sehr
bedenklich«) und empfahl den Griechen, erst in einem Jahr
abzustimmen, wenn alle Entscheidungen gefallen sind. Und sie so
durch Wahlen nichts mehr ändern können.
Deutsches Protektorat
Als dann doch gegen den erbitterten deutschen Rat abgestimmt wurde
und so entsetzlich falsch, daß die Linkssozialisten die bewährten
Sozialdemokraten vom zweiten Platz verdrängten, da riß dem
hochangesehenen und einflußreichen Präsidenten des öffentlich
finanzierten Hamburger Weltwirtschaftsinstituts Thomas Straubhaar
die Geduld mit den Griechen. Kaum waren die Stimmen ausgezählt,
der Undank des Hellenenvolkes offenbar, da erhob er die
konsequente Forderung: »Wir brauchen ein Protektorat«. Im
Tagesspiegel nannte er Griechenland, einen »gescheiterten Staat«,
aus dem man ein »europäisches« – und das heißt heute ein deutsches
– »Protektorat« machen müsse.
Doch der zielstrebige Straubhaar irrt. Das deutsche Protektorat
Griechenland ist längst geschaffen. Am symbolkräftigen 30. Januar
stand auf Seite 2 der Frankfurter Allgemeinen die Überschrift:
»›Protektoratsähnliche Zustände‹: Schon jetzt wachen Deutsche über
Athen«. Seit 2010 bereits stehe Athen »unter Aufsicht«. Die
»griechischen Reformbemühungen« werden von der »Troika« und der
»Arbeitsgruppe für Griechenland« überwacht. Die Troika aus
Fachleuten des Internationalen Währungsfonds, der EU und der
Europäischen Zentralbank wahrt den Schein. FAZ: »Sie macht
Vorgaben zur Sparpolitik und zu Reformen, hilft aber nicht bei
deren Durchsetzung.« Das macht die später geschaffene Task Force –
auf gut deutsch: Einsatzgruppe. Sie ist in Griechenland so
verhaßt, daß ihr Büro in Athen, laut FAZ, »nach Bombendrohungen
bereits mehrfach geräumt werden mußte«. Einsatzgruppen-Führer
Horst Reichenbach geht den Griechen an die Nieren. Vor allem mit
der von ihm angeordneten »Reform des Gesundheitswesens«. Der
deutsche Befehlshaber: »Es gibt in diesem Bereich ein
übergeordnetes Ziel: Griechenland darf nicht mehr als sechs
Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Gesundheit ausgeben.
Dazu müssen 1,1 Milliarden Euro weniger für pharmazeutische
Produkte ausgegeben werden.« Auch die Verwaltung der Krankenhäuser
müsse »verschlankt« werden. In diesem Bereich, verlangt
Reichenbach, »müssen 400 Millionen Euro eingespart werden«.
Die Wut über sein Spardiktat verfolgt Reichenbach bis auf sein
Heimatgrundstück an einem See bei Potsdam. Seine Villa wurde
beschmiert, sein Auto angezündet. Am Dienstag tauchte ein
Bekennerschreiben auf, unterzeichnet von »Die FreundInnen von
Loukanikos«. Loukanikos, ein real existierender Hund, ist immer
dabei, wenn in Athen gegen das deutsche Spardiktat demonstriert
wird.
Wer Herr im Lande ist
Deutsches Schreckbild für
Griechenland: Angela Merkel (Plakat in Athen, das zum
Boykott deutscher Produkte aufruft, um griechische
Löhne und Renten zu sichern – März 2012)
Foto: dpa
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Hier bei uns bangen die maßgebenden Medien, ob man auch grob genug
mit Griechenland umgehe. Aus Athen, wo er den Griechen
Wahlempfehlungen und den Parteien Richtlinien geben will, meldete
sich am Freitag um 7.17 Uhr im Deutschlandfunk der deutsche
Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz zu Wort: »Ich werde den
Führer der Linkspartei heute treffen«. Der DF-Moderator besorgt:
»Und klare Worte finden?« Schulz versprach es.
Schon Außenminister Joachim von Ribbentrop hatte am 8. April 1943
erkannt, »in Griechenland müsse brutal durchgegriffen werden, wenn
die Griechen Morgenluft wittern sollten«. Man müsse »den Griechen
eisern zeigen, wer Herr im Lande ist«. Derartige harte Maßnahmen
seien notwendig, wenn man sich in einem Krieg mit Stalin befinde,
der kein Kavalierskrieg, sondern ein brutaler Ausrottungskrieg
sei.
Und dies ist heute im Kampf gegen den Linksparteivorsitzenden
Tsipras nur wenig anders. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
schloß Neuverhandlungen mit Griechenland über das europäische
»Hilfspaket« aus. »Es wird durch Wiederholung nicht besser«, sagte
der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Wenn das Land in der
Euro-Zone bleiben wolle, müsse in Athen eine handlungsfähige
Regierung sitzen, die den eingeschlagenen Weg mitgehe.
Handlungsfähig heißt: Die Regierung muß unsere Anordnungen
durchführen. Schäuble: »Jetzt muß Griechenland selber die
Entscheidung treffen.«
Schäuble, der am Donnerstag in Aachen den Internationalen
Karlspreis – diese Prämie ist nach dem Sachsenschlächter Karl »der
Große« benannt – verdientermaßen verabreicht bekam, hatte schon
kurz zuvor in Brüssel erklärt, wenn Griechenland den Euro behalten
wolle, dann müsse es auch die – seine – Bedingungen dafür
akzeptieren. Doch danach sieht es nicht mehr aus.
Der unter Mitwirkung des Bischofs von Aachen geschaffene
Karlspreis wurde 1949 als alljährliche Auszeichnung – auch Merkel
hat sie – gestiftet »für den wertvollsten Beitrag im Dienste der«
(Griechenland liegt im Südosten) »westeuropäischen Verständigung
und Gemeinschaftsarbeit und im Dienste der Humanität und des
Weltfriedens«. Beinahe noch wäre die Aachener Krönung des
deutschen Finanzministers ins Wasser gefallen, wegen der
Euro-Krise. Doch man entschied sich zum Business as usual.
Denn im Zentrum der »Karlspreisidee« liegt das »Ziel der
Völkerverständigung«, diese »Botschaft ist seither unverändert
weitergegeben worden und bildet das entscheidende Kriterium für
die Auswahl eines Preisträgers«. Darum also gewann Wolfgang
Schäuble in seinem unermüdlichen Einsatz gegen die Griechen und
gegen ihre Demokratiehudelei den Karlspreis 2012.
Neulich im Deutschlandfunk. Frage: »Was ist denn, wenn die
radikale Linke wirklich dann stärkste Partei wird? Die möchte ja
im Euro bleiben, aber die Zahlungen einstellen. Wäre das ein Weg,
der überhaupt theoretisch denkbar ist?« Schäuble: »Nein, der geht
eben nicht! Das ist eben diese Form von Verantwortungslosigkeit.
Man kann den Kuchen nicht haben und ihn gleichzeitig essen, das
sagt man auf Englisch.«
Treuhand für Griechenland
Das Signal zum Ausverkauf des griechischen Kuchens kam im Oktober
2010 vom deutschen Zentralorgan: »Verkauft doch eure Inseln, ihr
Pleite-Griechen … und die Akropolis gleich mit!«
Die Akropolis ist der Hügel, auf den Europa gegründet ist, sie ist
kein Fußabstreifer für die Redakteure jenes Dreckblatts, das
demnächst per Postwurfsendung alle Einwohner dieses Landes zwingen
will, seinen 60. Geburtstag zu feiern.
Und doch, das Bild-Kommando fand Gehör bei Europas oberstem
Finanzstaatsmann: »Ich würde es sehr begrüßen, wenn unsere
griechischen Freunde nach dem Vorbild der deutschen
Treuhandanstalt eine regierungsunabhängige Privatisierungsagentur
gründen würden«, erklärte im Mai 2011 der Euro-Gruppenchef und
luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, in einem
Interview mit dem Spiegel – er ist auch so ein Karlspreisgekrönter
wie Merkel und Schäuble. Er warnte damals gleich davor, bei einer
Hilfsaktion die europäischen Banken mitzahlen zu lassen. Die
finanzierten besonders gern deutsche Rüstungsexporte nach
Griechenland. Schlimm erging es da dem Siemens-Konzern. Die
Griechen zahlten ihm einfach nicht ihre Schulden: »Wir haben in
Griechenland nicht unerhebliche ausstehende Forderungen«, klagte
Siemens-Vorstand Peter Solmssen. Das stimmt, seit das ehemalige
Zentralvorstandsmitglied Volker Jung aus Griechenland geflohen und
sich so einem seit 2009 anhängigen Verfahren wegen der Bestechung
von Politikern und Beamten entzogen hat.
Im Juli 2011 verlangte Juncker im Focus, die Souveränität
Griechenlands müsse deutlich eingeschränkt werden, und wiederholte
seine Spiegel-Forderung. Denn: Für die anstehende
Privatisierungswelle benötige Athen eine Lösung nach dem Vorbild
der deutschen Treuhandanstalt.
Der Euro-Einsatzgruppenchef präzisierte nicht: welcher. Die
zweite, Birgit Breuels Treuhand war eine hochkriminelle
Vereinigung – Raub, Diebstahl, Korruption – mit deren Hilfe die
ostdeutsche Wirtschaft zugrunde gerichtet wurde.
Oder die erste. Denn so wie diese, die Haupttreuhandstelle Ost der
Nazis, mit Polen umging, so hatten die Deutschen auch in
Griechenland gewütet von April 1941 bis November 1944. Erfahrene
Spitzenkräfte der deutschen Wirtschaft saßen in der Athener
Zweigstelle des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes im Oberkommando
der Wehrmacht. Aufgrund seit längerer Zeit vorbereiteter
Unterlagen hatte diese Wehrwirtschaftsorganisation die Aufgabe –
so der Historiker und Griechenland-Experte Martin Seckendorf –
»schnellstmöglich alles Brauchbare, alle Vorräte an Lebensmitteln,
Treibstoffen, agrarischen und mineralischen Rohstoffen und Tabak
sowie Bergbau- und Industriebetriebe zu erkunden und zu
beschlagnahmen« (jW-Thema vom 6.4.2011).
Dazu gehörten auch 40 Tonnen Silbergeld. Seckendorf in dieser
Zeitung: »Der Beauftragte des Krupp-Konzerns in Athen meldete nach
Essen, in der Zeit vom 1. bis 10. Mai 1941 sei die gesamte
griechische Bergbauproduktion ›für Deutschland gesichert‹ worden.
Von besonderer Bedeutung erschien den Deutschen dabei« – damals
schon – »die Kontrolle über die Elektrizitätserzeugung und
-versorgung sowie über alle griechischen Mineralölgesellschaften
und vor allem über die Banken.«
Neben dem unverhohlenen Raub und dem, so Seckendorf, »weitgehend
gelungenen Versuch, die Verfügungsgewalt über die griechische
Wirtschaft zu erhalten, war diese Phase auch gekennzeichnet von
einer aktiven Deindustrialisierungspolitik. Auf Initiative der
deutschen Großwirtschaft wurden den griechischen Betrieben von
deutschen Besatzungsbehörden die Rohstoffe und Halbfabrikate durch
Beschlagnahmungen entzogen, so daß sie geschlossen werden mußten.
Die deutsche Privatwirtschaft wollte auf diese Weise an die
begehrten Rohstoffe gelangen und gleichzeitig für die deutsche
Fertigwarenindustrie lästige Konkurrenten beseitigen.«
Der Historiker Hagen Fleischer beschrieb die Lage von 1944/1945 in
der FAZ vom 20.März 2012: »Jeder dritte Grieche leidet an
epidemischen Infektionskrankheiten (Malaria, Tuberkulose, Typhus);
in manchen Regionen sind 60 bis 70 Prozent betroffen, insbesondere
Kinder. Kaum zu berechnen sind die Verluste durch die
Hyperinflation sowie die Zerstörung der Infrastruktur als Folge
raubwirtschaftlicher Ausbeutung (Bergwerke, Wälder etc.) und
systematischer Vernichtung bei Sühnemaßnahmen oder während des
Abzugs. Die meisten Eisenbahnbrücken gesprengt, weit über 80
Prozent des rollenden Materials ruiniert oder entführt; 73 Prozent
der Handelstonnage versenkt, fast 200000 Häuser total oder zum
Teil zerstört.«
Und die Drachme haben die Deutschen auch kaputtgemacht. Die Preise
für Bedarfsgüter stiegen für die Griechen um das 100- bis
250fache, Gehaltserhöhungen nur um das Sechs- bis Achtfache.
Seckendorf: »Die Größenordnung der über die Drachme vollzogenen
Ausbeutung zeigt das Verhältnis des Wehrmachtsbedarfs an Drachmen
zum Banknotenumlauf. Die Drachmenanforderung der Wehrmacht machte
im Mai 63 Prozent und im August 1944 über 90 Prozent des gesamten
Banknotenumlaufs aus. Häufig wurde die Obergrenze des
Wehrmachtsbedarfs nur noch von der Kapazität der Notenpresse
bestimmt.«
Ist das der Hintergedanke, wenn die Griechen heute bedroht werden,
sie müßten zur Drachme zurückkehren?
Die – deutsche – Treuhand für Griechenland gibt es längst. Sie
heißt nur anders wegen des schlechten Rufes ihrer beiden
Vorgänger. Ihr Name ist jetzt GTAI – Germany Trade and Invest –,
und sie ist diesmal nicht dem Finanzminister, sondern dem
besonders zuverlässigen Wirtschaftsminister Philipp Rösler
unterstellt. Sie macht mit dem ihr praktisch untergeordneten
Hellenic Republic Asset Development Fund (HRADF) aus dem noch
vorhandenen griechischen Staatsbesitz günstige Schnäppchen für
Handel und Industrie in Deutschland. Denn zu den Aufgaben der GTAI
gehört die Beratung deutscher Unternehmen, die sich griechischen
Besitz aneignen wollen. Oder – so heißt es offiziell – die GTAI
werde den griechischen Stellen »Hilfe bei der Investorensuche in
Deutschland und durch Zurverfügungstellung der deutschen
Erfahrungen beim Privatisierungs- und Umstrukturierungsprozeß in
den neuen Bundesländern« gewähren.
Der Anstoßgeber, also Euro-Gruppenführer Juncker – ein gelungenes
Deutschenimitat – wird übrigens demnächst von einem echten
Deutschen abgelöst. Als im letzten Jahr sein Name genannt wurde,
sprach Wolfgang Schäuble noch von »völlig haltlosen«
Spekulationen. Jetzt steht fest, daß er Nachfolger Junckers als
Euro-Gruppenführer wird und damit – so soll es sein – deutscher
und europäischer Finanzminister zugleich.
Die Nazi-Zwangsanleihe
Am 20. März las ich in der FAZ den schon zitierten Artikel, in dem
der Historiker und Griechenland-Experte Hagen Fleischer zu
deutschen Reparationen befragt wurde. Da heißt es weiter: »Ein
gänzlich anderer Fall betrifft hingegen die deutsche Zwangsanleihe
bei der griechischen Nationalbank. Hier geht es nicht um
Reparationen, sondern um die Rückzahlung einer Anleihe, die sogar
von Hitlers Deutschland als verpflichtend anerkannt worden war.
Noch Anfang 1945 bezifferten Fachleute der Reichsbank in Berlin
die Höhe der Schuld des deutschen Reiches gegenüber Griechenland
auf 476 Millionen Mark. Fleischer nennt das eine ›moderate
Schätzung‹ und fügt hinzu: ›Von dieser Basis aus könnten
Verhandlungen in einer Form geführt werden, die keinen
Präzedenzfall für andere Staaten darstellt. Zugleich wäre damit
dem absurden Zustand ein Ende gesetzt, daß (…) die Vertreter des
NS-Regimes eine Schuld Deutschlands anerkannten, die von der
demokratisch gewählten und bestätigten Regierung der
Bundesrepublik, dem völkerrechtlichen Nachfolger des Deutschen
Reiches, bis heute ignoriert wird.‹«
476 Millionen Reichsmark – das sind bis heute mit Zins und
Zinseszins mindestens 3,4 Milliarden Euro.
Mich hat die Zahl über die deutschen Schulden in Athen alarmiert.
Und der verächtliche Umgang vieler deutscher Medien mit
Griechenland. Deshalb brachte ich zur diesjährigen
Mitgliederversammlung des deutschen Zweigs der Internationalen
Autorenvereinigung PEN einen Antrag mit.
Nach kurzer Debatte und unwesentlichen Kürzungen nahmen die über
hundert PEN-Autorinnen und -Autoren den Antrag (siehe Kasten) bei
nur zwei Gegenstimmen an. Verbreitet in den Medien aber wurde nur
die Forderung, Reparationen an Griechenland zu zahlen, nicht aber
die Schuld von heute 3,4 Milliarden aus der von der Reichsbank
ausdrücklich festgestellten Zwangsanleihe. Die ließe sich
umstandslos und sofort zurückzahlen. Reparationen aber, die wir
auch fordern, könnten erst nach langwierigen Verhandlungen
erbracht werden. Nötig sind auch sie. Wenn Deutschland nur
bezahlen müßte, was es in Griechenland geraubt und zerstört hat –
von materieller »Wiedergutmachung« für die deutschen Massenmorde
in Griechenland zu schweigen – dann wäre das Land sofort
wirtschaftlich gesund. Aber Deutschland will keine Reparationen
zahlen. Beim Londoner Schuldenabkommen von 1953 wurden fast alle
Reparationsforderungen von 70 Staaten bis zu einem Friedensvertrag
aufgeschoben. Den gab es nie. Statt dessen 1990 nach der
Eingliederung der DDR – Schäuble zog vorher als Verhandlungsführer
West den Verhandlungsführer Ost Günther Krause für ein paar Dosen
Ananas über den Tisch – den Zwei-plus-Vier-Vertrag über die
»abschließende Regelung in bezug auf Deutschland«, die auch nicht
viel kostete. So wurde Deutschland zumindest finanziell Sieger des
Zweiten Weltkriegs.
Die Griechen nicht. Die blieben besiegt durch Bürgerkrieg und
Militärdiktatur. Und dann durch das von Berlin aus beherrschte
Deuropa. Bis sie anders – wenn überhaupt – wählten, als sie
sollten. Jetzt denkt Europa nicht mehr so einheitlich, wie Berlin
es will.
Das erwähnte Handelsblatt vom Mittwoch: »Die Einsicht, daß man mit
dem Spardiktat nicht weitermachen kann wie bisher, beginnt sich
allmählich auch bei Griechenlands Gläubigern durchzusetzen,
zumindest bei einigen. Sie signalisieren, auch unter dem Schock
der politischen Polarisierung in Griechenland, daß man einzelne
Bedingungen neu aushandeln kann. Dahinter steht die Erkenntnis,
daß es um viel mehr geht als den Verbleib des Landes in der
Währungsunion, um Euro oder Drachme. Die Protestwahl war der
Vorbote einer drohenden sozialen Explosion. Wenn sie sich
ereignet, dann gerät die Demokratie in Griechenland in Gefahr. Und
die Schockwellen einer solchen Explosion gingen wohl weit über
Griechenland hinaus.«
Eine genuin sozialdemokratische Sorge. Wenn das Soziale
explodiert, gerät die Demokratie in Gefahr. Immerhin, sie haben
begriffen. Jetzt warten wir auf das, was Europakanzlerin Merkel
nie wollte: auf eine demokratische Entscheidung in Athen. Am 17.
Juni. Ausgerechnet.
Dokumentiert. Erklärung des deutschen PEN-Zentrums
Wir, die Autorinnen und Autoren des deutschen PEN, wollen nicht
länger zusehen, wie unser Staat und unsere Medien mit dem
Ursprungsland unserer Kultur umspringen: Griechenland und die
Griechen werden in unserem Land verleumdet und gekränkt. Doch
Deutschland hat erst den Zustand herbeigeführt, unter dem
Griechenland noch heute leidet. »Hilfspakete« helfen eher den
Gläubigern der griechischen Banken als dem griechischen Volk, das
durch Sparpakete immer tiefer in die Armut getrieben wird.
Die Griechen wissen, wie es sich unter deutscher Besatzung lebt.
Bei ihrem Abzug im Herbst 1944 hinterließ die Wehrmacht ein
zerstörtes Land. Die Drachme war wertlos geworden infolge der
horrenden deutschen Besatzungskosten. Dazu kam eine deutsche
Zwangsanleihe bei der griechischen Nationalbank von 476 Millionen
Mark, das sind heute – mit Zins- und Zinseszins – zirka 3,4
Milliarden Euro.
Das Deutsche PEN-Zentrum – der europäischen Kultur verpflichtet –
fordert: Deutschland muß diese Schulden zahlen sowie angemessene
Reparationen für die von der deutschen Wehrmacht verursachten
Schäden.
Ungekürzter Wortlaut der am 12. Mai in Rudolstadt von der
Jahresversammlung des deutschen PEN-Zentrums beschlossenen
Erklärung zum deutschen Verhalten gegenüber Griechenland. In der
von den Agenturen verbreiteten Version fehlt jeder Hinweis auf die
noch nicht von Deutschland zurückgezahlte Zwangsanleihe.