An die Wand gefahren
Scharfe Kritik an USA und Israel in Geheimbericht des
UN-Nahostgesandten
Von Rainer Rupp
jW, 16.06.2007 / Ausland / Seite 7
http://www.jungewelt.de/2007/06-16/028.php
Der kürzlich aus seinem Amt geschiedene Nahostgesandte der Vereinten
Nationen, Alvaro de Soto, hat den USA und Israel eine Mitverantwortung
für das Chaos in den Palästinensergebieten zugewiesen. Das geht aus
seinem persönlichen und »vertraulich« gestempelten Abschlußbericht
hervor, den er bereits Anfang Mai für einen kleinen Kreis von
UNO-Spitzenbeamten angefertigt hatte und der Mitte dieser Woche der
britischen Zeitung The Guardian zugespielt worden ist. Insbesondere die
USA – so der Bericht – hätten mit ihrem Druck die Vereinten Nationen
mit ihrer Rolle als unparteiischer Vermittler »in die Unterwerfung
geprügelt«. Zugleich verurteilt de Soto das israelische Regime, weil es
Friedensverhandlungen durch »unerfüllbare Vorbedingungen« unmöglich
gemacht habe. Seine Schlußfolgerung: Die von den USA und der
Europäischen Union geforderten Verhandlungen zwischen Israelis und
Palästinensern seien wie die Bemühungen des sogenannten Nahostquartetts
– USA, EU, Rußland und die UN – für einen dauerhaften Frieden auf der
Basis einer Zweistaatenlösung durch die tatsächlichen Entwicklungen in
Palästina weitgehend »irrelevant« geworden.
Scharf kritisiere de Soto in dem 53 Seiten umfassenden Bericht auch den
Boykott, den die USA und die EU gegen die von den Palästinensern
demokratisch gewählte Hamas-Regierung verhängt haben. Der Boykott habe
»das Quartett von einer Vierergruppe, die auf der Grundlage eines
gemeinsamen Dokuments (der Osloer Roadmap) Verhandlungen unterstützt,
zu einem Gremium gemacht, das gegen die frei gewählte Regierung einer
Bevölkerung unter Besatzung Sanktionen verhängt und zugleich unmögliche
Vorbedingungen für einen Dialog stellt«. Weil Hamas tief in der
palästinensischen Gesellschaft verwurzelt und keine vorübergehende
Erscheinung sei, sei der »internationale Boykott gegen die
Palästinenser im besten Fall extrem kurzsichtig«. Und er habe bereits
»verheerende Folgen« für die ganze Region gehabt. Zugleich wirft de
Soto Tel Aviv vor, eine »total ablehnende Haltung« gegenüber einer
Lösung in Palästina und mit Syrien einzunehmen, denn »wider besseres
Wissen« stelle Israel immer wieder »unerfüllbare Vorbedingungen«. Die
doppelte Moral der Regierungen in Tel Aviv und Washington verurteilt de
Soto in seltener Deutlichkeit. Beide würden von den Palästinensern die
Einhaltung des Osloer Abkommens fordern, während die krassen
israelischen Verstöße dagegen verharmlost werden oder gänzlich
unerwähnt blieben.
Auch die Gewalttätigkeiten zwischen der Hamas und der Fatah werden von
dem ehemaligen UN-Gesandte kritisiert. Die Fatah beschreibt er als
weitgehend orientierungslos und US-hörig. Es sei »schwer, in bezug auf
die Fatah optimistisch zu sein«, meint de Soto, »denn sie (die Leitung
der Organisation) hat schon lange vor ihrer vernichtenden
Wahlniederlage im Januar 2006 ihren Kompaß verloren«. Es sei auch nicht
klar, »ob die Fatah-Führung immer noch die Unterstützung an der Basis
habe«. Derweil hat der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater
der USA, der neokonservative Elliott Abrams, am Freitag vergangener
Woche im Weißen Haus gegenüber führenden Persönlichkeiten zionistischer
Gruppierungen in den USA erklärt, sie sollten sich wegen der nächsten
Nahostreise von US-Außenministerin Condoleezza Rice keine Sorgen
machen. Laut der Jewish Daily vom 13. Juni seien die US-Forderungen nur
Show, um die arabischen und europäischen Verbündeten bei der Stange zu
halten. Aber auf Israel werde kein Druck ausgeübt.
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siehe auch Alvaro
de Sotos End of Mission Report im Wortlaut