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Hisbollah - eine Terrororganisation?

Von Werner Ruf *
Kassel, 16. Aug. 2006
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Libanon/ruf2.html

hizb ullah – „Partei Gottes“ – welch grässlicher Name für säkulare Ohren! Vereinen sich darin nicht all jene Vorstellungen von religiösem Fanatismus, anti-aufklärerischer Wut, kurz jenen Ängsten, die das Bild vom „Kampf der Kulturen“ speisen und den Hintergrund bilden für die Einstufung dieser Bewegung als einer im Kern schon terroristischen Organisation? Dies ist die Brille, durch die im Westen die Politik im Nahen Osten betrachtet wird und die nicht nur die Wirklichkeit verzerrt, sondern sie geradezu auf den Kopf stellt, ist doch diese Partei die eine starke politische Kraft im Libanon, vertreten im Parlament und (mit zwei Ministern) in der Regierung dieses säkularen Staates.

Die Hisbollah muss verstanden werden vor dem Hintergrund des komplexen politischen Systems des Libanon. Schon im 19. Jh. hatten alle großen Gruppen dieser 19 Religionsgemeinschaften umfassenden Gesellschaft ihre ausländischen Protektoren: Frankreich schütze und förderte die (katholischen) Maroniten, die USA die Sunniten, Großbritannien die Drusen, das zaristische Russland die Griechisch-Orthodoxen. Nur die Schiiten hatten nie eine Schutzmacht. Auf der Basis einer problematischen Volkszählung von 1932 hatte die Mandatsmacht Frankreich 1943 einen „Nationalpakt“ oktroyiert, demzufolge bis heute die Maroniten den Staatspräsidenten, die Sunniten den Ministerpräsidenten, die Schiiten den relativ unbedeutenden Parlamentspräsidenten stellten. Diese Proportionen stimmen längst nicht mehr: Inzwischen dürften die Schiiten die größte Bevölkerungsgruppe sein. Verschärft wurde diese komplexe Situation durch die große Zahl palästinensischer Flüchtlinge im Lande, deren Zahl nach den Massakern der jordanischen Armee unter den Palästinensern („Schwarzer September“ 1970) weiter anwuchs und die PLO zur militärisch stärksten Kraft im Lande werden ließ. Die Spannungen zwischen den Palästinensern und vor allem den Maroniten führten schließlich 1975 zu dem 15 Jahre dauernden libanesischen Bürgerkrieg, in dem erstmals auch die Schiiten eine eigene Miliz, die Amal, aufstellten. Sie erhielt 1985 Konkurrenz durch die von Iran unterstützte islamistische Miliz Hisbollah, die sich im Gegensatz zur Amal nicht an den Korruptionsnetzen des Landes beteiligte. Erstmals hatten so die Schiiten eine auswärtige Schutzmacht.

Israel beteiligte sich am libanesischen Bürgerkrieg durch Unterstützung vor allem der Maroniten und durch den Aufbau der „süd-libanesischen Armee“ (SLA). 1982 marschierte Israel in den Libanon ein, erst im Jahre 2000 zog es sich endgültig zurück. Mit massiver Unterstützung durch die israelische Streitkräfte schlachtete die SLA in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila mehr als eintausend palästinensische Flüchtlinge ab. Wegen dieses Massakers musste damals Verteidigungsminister Ariel Sharon zurücktreten. Die Vertreibung der PLO aus dem Libanon allerdings gelang: Nach langen Kämpfen verließ Yassir Arafat mit der PLO Beirut und verlagerte sein Oberkommando nach Tunis. Die Hauptlast des Kampfes gegen Israel im Südlibanon trug, gestützt auf die dortige schiitische Bevölkerung, zunehmend die Hisbollah. Zugleich aber entwickelte sie sich zu einer äußerst erfolgreichen Vertretung der Interessen der schiitischen Bevölkerung und baute mustergültige soziale Sicherungssysteme auf. Die Hizbollah ist zweifellos geprägt von einer religiösen Ausrichtung, die der Linie der Mullahs in Teheran folgt. Zugleich aber akzeptiert sie den religiösen Pluralismus des Libanon. Vor allem aber ist sie – wie auch die sunnitische Hamas in Palästina – eine konsequent nationalistische Partei, die, im Gegensatz zu der Mehrheit der Maroniten, den Libanon als arabischen Staat versteht, der verpflichtet ist, den Kampf des palästinensischen Volkes zu unterstützen.. Die Hisbollah reagierte auf den neuerlichen Einmarsch der israelischen Armee in den Gazastreifen und die Tötung zahlreicher Zivilisten mit der Gefangennahme zweier israelischer Soldaten.

Israel begründete seinen Angriff vom 12. Juli 2006 auf den Libanon zunächst mit der Behauptung, die beiden Soldaten befreien zu wollen. Was allerdings folgte, war ein Vernichtungsfeldzug ungeheuren Ausmaßes, der das erklärte Ziel verfolgte, durch massive Zerstörungen und die Inkaufnahme zahlreicher ziviler Opfer – inzwischen sind es mehr als tausend – die libanesische Bevölkerung gegen die Hisbollah zu mobilisieren. Wäre dies gelungen, wäre der Libanon abermals in einen fürchterlichen Bürgerkrieg gestürzt worden. - als ob das neu entflammte Morden der Libanesen unter sich eine Sicherheitsgarantie für Israel darstellen könnte! Doch diese Rechnung ging nicht auf: Die brutale Zerstörung der libanesischen Infrastruktur, die Bombardierung von Flüchtlingstrecks (rd. eine Million Menschen flohen aus dem Süden), die Zerstörung von Straßen und Brücken bis in den hohen Norden des Landes, die Auslösung einer ökologischen Katastrophe an den Küsten Libanon und Syriens, der Einsatz (völkerrechtswidriger) Splitterbomben, der (bisher nicht eindeutig bewiesene) Einsatz von gleichfalls völkerrechtswidrigem weißem Phosphor, trugen dazu bei, den Hass aller Libanesen gegen den Angreifer zu schüren, die Hisbollah nicht als schiitische Miliz, sondern als Speerspitze des nationalen Widerstands erscheinen zu lassen.

In den Augen der Menschen im Nahen Osten erscheint die Hisbollah mittlerweile geradezu als heldenhafte Organisation, die es vermochte, dem „Erzfeind“ eine empfindliche Niederlage beizubringen: Hatte Israel 1967 noch binnen sechs Tagen drei hoch gerüstete arabische Armeen besiegt, so gelang es trotz der mörderischen Bombardements und des Einsatzes von bis zu 30 000 Mann Bodentruppen nicht, die Hisbollah zu besiegen, die tief in der Bevölkerung des Südlibanon verankert ist. Nach offiziellen Angaben wurden in diesem Krieg 68 Kämpfer der Hisbollah getötet, auch wenn Israel von „mehreren Hundert“ und 118 getöteten Soldaten spricht. Israel hat nach 31 Kriegstagen keines seiner Ziele erreicht – von der Befreiung der beiden Soldaten ganz abgesehen. Die rechte Opposition kritisiert Olmert wegen des zu zögerlichen Einsatzes und des zu früh akzeptierten Waffenstillstands, während in Militärkreisen die – wohl zutreffendere – Kritik geäußert wird, dass die Hisbollah durch eine Militäroperation nicht besiegt werden könne, dass die israelische Besetzung des Libanon nur die Hisbollah stärke und Israel abermals in einen verlustreichen Abnutzungskrieg hineingezogen werde, wie das zwischen 1982 und 2000 der Fall war.

Als Sieger im Konflikt erscheint so der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, der im Begriff ist, zum neuen Idol der arabischen Welt zu werden. Nach Gamal Abdel Nasser, der die Suez-Krise von 1956 in einen politischen Sieg umzumünzen wusste, erscheint er als erster arabischer Politiker, der Israel eine Niederlage bereitete, dessen Organisation gestärkt aus dem Konflikt hervorging, während Israel zum Rückzug gezwungen wurde. Die Hisbollah, deren Auflösung in der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats vom 11. August 2006 unter Verweis auf die Resolution 1559 gefordert wird, stimmte ihr ausdrücklich zu, wohl wissend, dass die völkerrechtlich unvermeidbare Aufforderung an Israel, sich aus dem Libanon zurück zu ziehen, als Sieg interpretierbar sein würde. Hisbollah empfiehlt sich so als verlässliche und zweckrational handelnde Kraft für die Regelung des Konflikts. Auch innenpolitisch behält sie die Initiative: Noch bevor internationale Hilfsorganisationen ihre Wiederaufbauarbeit im Libanon aufnehmen konnten, war sie mit Hilfsangeboten zur Stelle: In der gesamten Bekaa-Ebene verteilte sie schon während der Kampfhandlungen Reis, Mehl, Konserven und Milch für die Kinder. Spezialtrupps beginnen mit dem Wiederaufbau zerstörter Häuser, der Wiederherstellung der Straßen. Überall, wo die israelischen Truppen abgezogen sind, prangen Bilder von Nasrallah, werden die gelben Fahnen der Hisbollah gehisst, flattern gelbe Spruchbänder mit Inschriften wie „Der kleine schöne Libanon hat Israel besiegt“.

Auch wenn die Hisbollah den Krieg nicht gewonnen hat, geht sie gestärkt aus dem Konflikt hervor. Ganz im Gegensatz zu ihrem Namen erscheint sie weniger als religiöse Bewegung denn als soziale und politische Kraft, die nicht nur im politischen Leben des Libanon eine zentrale Rolle spielt, sondern in der gesamten nahöstlichen Welt eine Popularität gewonnen hat, die den dortigen Regierungen, die – außer Syrien und dem Iran - von der Gnade der USA abhängen, das Fürchten lehren dürfte. Zweifelsohne genießt sie die Unterstützung des Iran. Falsch wäre es jedoch ihre – gerade durch den Ausgang der Aggression Israels gegen den Libanon gestärkte – Autonomie und selbständige Politikfähigkeit zu unterschätzen. Die propagandistische Darstellung der Hisbollah als verlängerter Arm der Regierung in Teheran unterschätzt nicht nur die Kraft dieser Bewegung, sie erscheint auch als gefährliche propagandistische Vorbereitung für den geplanten Krieg gegen den Iran, der zum vorläufigen Höhepunkt kontraproduktiver westlicher Nahostpolitik werden könnte. Die Rolle der Hisbollah würde er nicht schwächen sondern weiter stärken.

(Abschluss des Manuskripts: 16. Aug. 2006)

* Werner Ruf war bis 2003 Professor für Internationale Politik an der Universität Kassel; Mitglied der AG Friedensforschung.
Vorausveröffentlichung eines Beitrag, der im nächsten "FriedensJournal" (Zeitung des Bundesausschusses Friedensratschlag) erscheinen wird.

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