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Unifil-Berater
"Jeder Kampftag ist ein Sieg für die Hisbollah"
Mehr als zwanzig Jahre lang war Timur Goksel Berater der
Unifil-Truppen im Süd-Libanon. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt
der Hisbollah-Experte, warum die Miliz so erfolgreich ist und sich
niemals auf eine Nato-geführte Friedenstruppe einlassen wird.
SPIEGEL ONLINE - 27. Juli 2006, 18:28
URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,428894,00.html
SPIEGEL ONLINE: Die Hisbollah hält der israelischen Armee stand. Wie stark ist die Miliz wirklich?
Timur Goksel: Die Hisbollah hat ungefähr 700 Mann als professionelle Kämpfer in ihrer Spezialeinheit, zusätzlich kann sie kurzfristig 7000 bis 8000 Mann aus der Bevölkerung rekrutieren. Die Spezialeinheiten haben enormen Zulauf, es gilt als Ehre, in ihr zu dienen. Zudem wissen die Kämpfer, dass für ihre Familien gesorgt wird, sollte ihnen etwas passieren. Hisbollah ist so stark, weil die Männer an das glauben, was sie tun. Sie ist ein ganz neuer Typ einer arabischen Streitkraft.
SPIEGEL ONLINE: Wer bildet ihre Kämpfer aus?
Goksel: Früher wurden die Milizen im Iran ausgebildet, ab den neunziger Jahren verlagerte sich die Ausbildung dann in den Libanon. Die Hisbollah insgesamt wurde zu einer nationalen libanesischen Bewegung. Es würde für sie keinen Sinn machen, für die Ausbildung in den Iran zu gehen: Iran hat keine Erfahrung mit nicht konventionellen Kriegen, und kann den Hisbollah-Männern nichts über Guerilla-Krieg beibringen. Es ist ja gerade die Hisbollah, die darin erfahren ist. Wenn der Iran neue Waffensysteme liefert, werden ein, zwei Instruktoren in den Iran geschickt und so ausgebildet, dass sie ihr Wissen zu Hause weitergeben können. Das ist das ganz normale Prozedere, das alle Streitkräfte dieser Welt anwenden.SPIEGEL ONLINE: Hassan Nasrallah hat Angriffe über Haifa hinaus angekündigt, ob die Hisbollah dazu tatsächlich in der Lage ist, ist unklar. Warum weiß man so wenig über ihre Stärke?
Goksel: Die Hisbollah ist unglaublich vorsichtig, das geht bis hin zur Paranoia. Ihre militärische Stärke ist eins der bestgehütetsten Geheimnisse, selbst innerhalb der Organisation sind nur wenige Führungspersonen eingeweiht. Sie hat einen sehr gesunden Respekt vor den Geheimdienstmethoden der Israelis, vor deren Technik und ihren Informanten. Ihre Zellen, etwa 10 bis 20 Mann, arbeiten unabhängig voneinander und kommunizieren möglichst wenig, miteinander, weniger noch als der Vietkong.
SPIEGEL ONLINE: Trotz aller Vorsicht könnte die Hisbollah versuchen, durch eine Propaganda der Stärke Angst zu säen. Warum geschieht das so selten?
Goksel: Die Hisbollah will, dass Israel über ihre Stärke im Unklaren bleibt und sich deshalb Sorgen machen muss. Es ist eine Neuerung, dass die Hisbollah überhaupt Journalisten empfängt und durch das zerstörte Südbeirut führt.
SPIEGEL ONLINE: Die israelische Armee fährt die gegenteilige Taktik.
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SPIEGEL ONLINE: Wo sehen Sie mögliche Fehler der israelischen Armee?
Goksel: Die militärische Darbietung Israels ist höchst peinlich. Da meldet das Militär gestern erst, es habe Bint Dschbeil eingenommen, dann muss die Führung zugeben, dass in fünfstündigen Gefechten acht Soldaten umgekommen und 20 verwundet sind. Zum Schluss heißt es dann, man habe die Stadt doch nicht eingenommen, das aber auch nie gewollt. Diese Armee unterschätzt ihren Gegner und denkt viel zu sehr an das Publikum zu Hause. Der größte Verlust der israelischen Armee in diesem Krieg wird der Verlust der Glaubwürdigkeit sein. Die werden sie nicht wieder herstellen können. So ist jeder Tag, der gekämpft wird ein Sieg für die Hisbollah.
SPIEGEL ONLINE: Was wird das für Auswirkungen auf die arabische Welt haben?
Goksel: Die Angst einflössende Stärke der israelischen Armee war ihre wichtigste Waffe gegenüber den arabischen Ländern. Dabei hat sich Israel selbst überschätzt: Sie rücken mit kleinen Einheiten in die Dörfer vor, weil sie auf ihre Gegner herabschauen. Die Hisbollah hat gezeigt, dass man vor Israels Streitkräften keine Angst mehr haben muss. Mit einer kleinen Truppe hat die Miliz die Israelis in die Ecke getrieben, und dadurch die Regeln des Spiels geändert. Das muss Israel gewaltig zu denken geben.
SPIEGEL ONLINE: Israels erklärtes Ziel ist es, die Hisbollah zu zerschlagen. Ist das realistisch?
Goksel: Man kann die Hisbollah nicht zerstören, denn sie ist eine Idee, nicht nur eine Miliz. Wenn man versucht, sie zu vernichten, wird sie nur noch radikaler. In dieser Weltgegend ist es enorm wichtig, die Menschen mit Würde und Respekt zu behandeln. Diese Leute sterben lieber aufrecht stehend, als auf den Knien zu leben. Man darf die Hisbollah nicht marginalisieren, nicht dämonisieren. Ihre Kämpfer Terroristen zu nennen, ist der größte Fehler. Man muss nicht direkt mit der Hisbollah reden, aber man muss ihr zuhören.
SPIEGEL ONLINE: Wie lange wird es Ihrer Ansicht nach dauern, bis die Bedingungen für einen Waffenstillstand perfekt sind?
Goksel: Ich gehe von mindestens einer Woche aus. Beide Seiten haben eine harte Haltung eingenommen, was einen Waffenstillstand angeht. Israel kann nicht einlenken, so lange es keine militärischen Erfolge vorzuweisen hat. Und die Hisbollah wird einer Friedenstruppe unter Nato-Mandat nicht zustimmen, weil das nicht nur einer Entwaffnung gleich käme, sondern auch eine De-facto-Besetzung des Libanon durch eine US-geführte Armee wäre.
SPIEGEL ONLINE: Nasrallah wird in diesem Punkt also hart bleiben?
Goksel: Machen Sie Witze? Er kann nicht, er wird einer solchen Truppe niemals zustimmen. Denn dann würden sich alle Fragen erübrigen, wozu die Hisbollah das Ganze gestartet hat. Der Vorschlag, Nato-Truppen in den Libanon zu entsenden ist nicht nur naiv, sondern auch dumm. Außerdem wüsste ich gern, wer dafür als Freiwilliger herhalten soll. Die Amerikaner und Engländer sind im Irak gebunden, und sonst sehe ich niemanden, der das machen wollen würde.
SPIEGEL ONLINE: Was geschieht, wenn die Führungsspitze der Hisbollah durch einen israelischen Angriff getötet wird?
Goksel: Wenn Hassan Nasrallah getötet wird, ist das ein Desaster für die westliche Welt. Dann wird die Hisbollah in Splittergruppen zerbrechen, die sich gegenseitig bekämpfen, dann ist alles möglich, auch ein Bürgerkrieg. Sollte Nasrallah umkommen, wird uns das früher oder später sehr Leid tun. Und selbst die Israelis werden ihn irgendwann vermissen.
Das Interview führte Ulrike Putz in Beirut