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Original: "What Does Israel Want?", http://electronicintifada.net/v2/article5003.shtml
* Dr. Ilan Pappe, Jahrgang 1954, ist Professor für
Politikwissenschaft an der Universität von Haifa und Leiter des
dortigen Instituts für Konfliktforschung. Er schrieb mehrere Bücher
über den arabisch-israelischen Konflikt, u.a. "The Making of the
Arab-Israeli Conflict" (London and New York 1992), "A History of Modern
Palestine" (Cambridge 2003), "The Modern Middle East" (London and New
York 2005) "Ethnic Cleansing of Palestine" (2006)
Stellen
Sie sich eine Gruppe hochrangiger Generäle vor, die über Jahre
Szenarien eines dritten Weltkrieges simulieren, in denen sie riesige
Armeen umherziehen lassen und die raffiniertesten
Waffen einsetzen können, die sie zur Verfügung haben und die dabei die
Immunität computerisierter Hauptquartiere geniessen,
von denen aus sie ihre Kriegsspiele führen können. Stellen Sie sich nun
vor, man habe sie dahingehend informiert, dass kein dritter Weltkrieg
stattfinde und ihre Fachkenntnisse nun gebraucht würden, um Ruhe in
einige der nahegelegenen Slums zu bringen
oder um mit der rapide zunehmenden Kriminalität in sozial
unterprivilegierten Gemeinden fertig zu werden. Und dann stellen Sie
sich – als letzte Episode meiner phantasierten Krise – vor, was
geschieht, wenn sie darauf kommen, wie irrelevant ihre Pläne gewesen
sind und wie nutzlos ihre Waffen sind im Kampf gegen die Gewalt in den
Strassen, die durch soziale Ungleichheit, Armut und Jahre der
Diskriminierung in der eigenen Gesellschaft hervorgerufen worden ist.
Entweder gestehen sie ihr Versagen ein oder sie entschliessen
sich, das gewaltige und zerstörerische Arsenal, das ihnen zur Verfügung
steht, trotzdem zum Einsatz zu bringen. Heute sind wir Zeugen des
verheerenden Schadens, den israelische Generäle anrichten, die sich für
die zweite Vorgehensweise entschieden haben.
25 Jahre lang habe ich an israelischen
Universitäten gelehrt. Einige meiner Studenten waren hochrangige
Offiziere der Armee. Ich konnte ihre zunehmende Frustration seit dem
Ausbruch der ersten Intifada von 1987
mitverfolgen. Sie verabscheuten diese Art der Konfrontation, die von
den Gurus des amerikanischen Studienfaches «Internationale Beziehungen»
beschönigend «Konflikte niedriger Intensität» genannt wurde. Für ihren
Geschmack war sie zu niedrig. Sie waren mit Steinen, Molotow-Cocktails
und primitiven Waffen konfrontiert, die nur einen sehr begrenzten
Einsatz des riesigen Arsenals erforderten, das die Armee im Laufe der
Jahre angehäuft hatte, und das Funktionieren ihrer Fähigkeiten auf dem
Schlachtfeld oder im Kriegsgebiet wurden dabei nicht auf die Probe
gestellt. Selbst wenn die Armee Panzer und F-16 Kampfjets einsetzte,
war das alles weit entfernt von den Kriegsspielen, welche die Offiziere
des israelischen Generalstabes in ihren Hauptquartieren spielten – und
für die sie mit dem Geld der amerikanischen Steuerzahler die
höchstentwickelten und modernsten Waffen kauften, die es auf dem Markt
überhaupt gibt.
Die erste Intifada wurde niedergeschlagen,
aber die Palästinenser suchten weiter nach Wegen, um der Besetzung ein
Ende zu setzen. 2000 erhoben sie sich wieder, diesmal von einer
religiöseren Gruppe nationaler Führer und Aktivisten inspiriert. Aber
es handelte sich noch immer um einen «Konflikt niedriger Intensität»
und um nichts mehr. Das war aber nicht das, was die Armee erwartete,
sie sehnte sich nach einem «richtigen» Krieg. Wie Raviv
Druker und Offer
Shelah, zwei israelische Journalisten mit
engen Verbindungen zur Armee, im kürzlich erschienenen Buch Boomerang (Seite 50) zeigen, beruhten die
wesentlichen militärischen Übungen vor der zweiten Intifada
auf dem Szenario eines ausgewachsenen Krieges. Man hatte prophezeit, im
Falle eines weiteren Aufstandes der Palästinenser gäbe es drei Tage
«Unruhen» in den besetzen Gebieten, die dann zu einer
Frontalkonfrontation mit den benachbarten arabischen Staaten, in erster
Linie Syrien, führen würden. Man argumentierte, eine solche
Konfrontation sei nötig, um Israels Abschreckungspotential
aufrechtzuerhalten und das Vertrauen der Generäle in die Fähigkeit
ihrer Armee zu stärken, einen konventionellen Krieg führen zu können.
Die Frustration wurde unerträglich, als die in der Übung vorgesehenen
drei Tage zu sechs Jahren wurden. Und dennoch kreist die hauptsächliche
Vorstellung der israelischen Armee vom Schlachtfeld noch immer um die
Strategie des «shock and awe» [der kurzen, überwältigenden, «ehrfurchtgebietenden» Strategie «Schock und
Ehrfurcht», wie sie die USA im Irak einsetzten], und weniger darum,
Heckenschützen, Selbstmordattentäter oder politische Aktivisten zu
jagen. Der Krieg «niedriger Intensität» stellt die Unbesiegbarkeit der
Armee in Frage und unterhöhlt ihre Fähigkeit, einen «richtigen» Krieg
zu führen. Wichtiger aber als alles andere ist die Tatsache, dass es
Israel damit nicht möglich ist, seine Vorstellung vom Land Palästina
unilateral durchzusetzen – ein [entarabisiertes]
Land ohne Araber und überwiegend in jüdischer Hand. Die meisten
arabischen Regimes waren selbstgefällig und schwach genug, um die
Israeli beim Verfolgen ihrer Politik gewähren zu lassen – abgesehen von
Syrien und der Hizbollah in Libanon. Diese
müssen ausser Gefecht gesetzt werden, wenn
der israelische Unilateralismus Erfolg
haben soll.
Nach Ausbruch der zweiten Intifada im
Oktober 2000 durften sie einen Teil der Frustration abreagieren durch
den Abwurf von 1000-Kilo-Bomben auf ein Haus in Gaza oder während der
Operation «Defense Shield»
von 2002, als die Armee das Flüchtlingslager von Jenin
mit Bulldozern zerstörte. Aber auch das war weit entfernt von dem, was
die stärkste Armee des Nahen Ostens zu tun in der Lage wäre. Und trotz
der Dämonisierung der Form des Widerstandes, den die Palästinenser in
der zweiten Intifada wählten – die
Selbstmordattentäter – brauchte man nur zwei oder drei F-16 und eine
geringe Anzahl Panzer, um die Palästinenser kollektiv zu bestrafen,
indem man ihre menschliche, wirtschaftliche und soziale Infrastruktur
vollständig zerstörte.
Ich kenne diese Generäle so gut, wie sie
jemand überhaupt kennen kann. Letzte Woche hatten sie ihren grossen Tag. Schluss mit dem wahllosen Einsatz
von 1-Kilo-Bomben, von Schlachtschiffen, Hubschraubern oder schwerer
Artillerie: Ohne Zögern akzeptierte der schwache und unbedeutende neue
Verteidigungsminister, Amir Peretz, die
Forderung der Armee, den Gaza-Streifen zu vernichten und Libanon zu
Staub zu zermalmen. Aber das ist womöglich nicht genug. Es kann immer
noch in einen ausgewachsenen Krieg mit der glücklosen Armee Syriens
ausarten, und meine ehemaligen Studenten könnten sogar mit provokativen
Aktionen auf eine solche Möglichkeit drängen. Und glaubt man, was in
der hiesigen Presse steht, könnte es sogar zu einem Krieg mit dem
entfernten Iran eskalieren – unter amerikanischer Protektion von
höchster Stelle.
Selbst die einseitigsten Berichte, die in der israelischen Presse
darüber erschienen, was die Armee der Regierung von Ehud Olmert als
mögliche Operationen für die kommenden Tage vorschlug, machen deutlich,
was die israelischen Generäle zurzeit so begeistert: Nichts weniger als
die totale Zerstörung Libanons, Syriens und Teherans.
Die höchsten Politiker sind bis zu einem gewissen Grad zahmer. Sie
haben das Verlangen der Armee nach einem «Konflikt hoher Intensität»
nur teilweise befriedigt. Aber ihre Tagespolitik ist bereits von
militärischer Propaganda und Argumentation eingenommen. Daher konnte
der israelische Aussenminister, Zipi Livni, ein
ansonsten kluger Mann, am 13. Juli 2006 im israelischen Fernsehen
ernsthaft sagen, der beste Weg, um die zwei gefangenen Soldaten
zurückzuholen, «ist die vollständige Zerstörung des internationalen
Flughafens von Beirut». Entführer und Armeen, die zwei Kriegsgefangene
haben, werden natürlich sofort hingehen und für die Kidnapper und die
zwei Soldaten am internationalen Flughafen ein im Handel erhältliches
Billett für den nächsten Flug kaufen. «Aber sie [die Entführer] könnten
sie [die Soldaten] mit einem Auto hinausschmuggeln», insistierte der
Fragesteller. «O ja, gewiss», antwortete der israelische Aussenminister, «deshalb werden wir auch alle
Strassen zerstören, die aus dem Land führen.» Das sind gute Nachrichten
für die Armee, um Flughäfen zu zerstören, Benzintanks in Flammen zu
setzen, Brücken in die Luft zu jagen, Strassen zu beschädigen und der
Zivilbevölkerung Kollateralschäden
zuzufügen. Auf jeden Fall kann die Luftwaffe ihre «wirkliche» Macht
demonstrieren und die frustrierenden Jahre des «Konflikts niedriger
Intensität» wettmachen, in denen die Besten und Wildesten Israels
ausgeschickt wurden, um in den Gassen von Nablus
oder Hebron Knaben und Mädchen nachzurennen. In Gaza hat die Luftwaffe
bereits fünf solcher Bomben abgeworfen, von denen sie in den letzten
sechs Jahren nur eine niedergehen liess.
Das könnte den Armeegenerälen aber nicht genügen. Am Fernsehen sagen
sie schon deutlich: «Wir hier in Israel sollten Damaskus und Teheran
nicht vergessen.» Frühere Erfahrungen sagen uns, was sie mit diesem
Appell gegen unsere kollektive Amnesie meinen.
Die gefangenen Soldaten in Gaza und in Libanon sind bereits gestrichen
von der hiesigen öffentlichen Tagesordnung. Es geht darum, die Hizbollah und Hamas ein für alle Mal zu
zerstören, und nicht darum, die Soldaten nach Hause zu holen. Ganz
ähnlich hat die israelische Öffentlichkeit im Sommer 1982 das Opfer
völlig vergessen, das der Regierung von Menachem Begin die
Rechtfertigung für die Invasion in Libanon lieferte. Es war Shlomo Aragov,
Israels Botschafter in London, auf den eine palästinensische
Splittergruppe einen Anschlag verübte. Der Angriff auf ihn diente Ariel
Sharon als Vorwand dafür, in Libanon einzumarschieren und dort
18 Jahre zu bleiben.
Alternative Konfliktverläufe werden in Israel
gar nicht aufgebracht, nicht einmal von der zionistischen Linken.
Niemand erwähnt Ideen, die einem der gesunde Menschenverstand eingibt,
wie den Austausch von Gefangenen oder den Beginn eines Dialoges mit der
Hamas und anderen palästinensischen Gruppen – wenigstens während eines
längeren Waffenstillstandes, um den Boden für zukünftige, sinnvollere
politische Verhandlungen zu legen. Dieser alternative Weg nach vorn
wird bereits von allen arabischen Ländern unterstützt, aber leider nur
von ihnen. In Washington mag Donald Rumsfeld
einige seiner Stellvertreter im Verteidigungsministerium verloren
haben, aber er ist noch immer der Minister. Für ihn wird die
vollständige Vernichtung der Hamas und der Hizbollah
– zu welchem Preis auch immer und sofern es ohne Verlust amerikanischen
Lebens geht – die Existenzberechtigung seiner Dritt-Welt-Theorie
«bestätigen», die er zu Beginn des Jahres 2001 propagierte. Für ihn ist
die gegenwärtige Krise ein berechtigter Kampf gegen eine kleine Achse
des Bösen – weg vom Morast des Irak – und ein Vorläufer für die im
Kampf gegen den Terror bisher nicht erreichten Ziele – Syrien und Iran.
Wenn das Imperium im Irak tatsächlich bis zu einem gewissen Grad dem
Vertreter diente, so zeigt die vollumfängliche Unterstützung, die
Präsident Bush der gegenwärtigen Aggression in Gaza und Libanon gibt,
dass nun möglicherweise die Zeit der Entlöhnung gekommen ist: Nun soll
der Vertreter das verwickelte Imperium retten.
Die Hizbollah verlangt den Teil des
südlichen Libanon zurück, den Israel noch immer besetzt hält. Ausserdem möchte sie in der libanesischen
Politik eine bedeutende Rolle spielen, und sie zeigt ideologische
Solidarität sowohl mit dem Iran als auch mit dem palästinensischen
Kampf im allgemeinen sowie dem der Islamisten im besonderen. Die drei Ziele haben
sich nicht immer gegenseitig ergänzt, was in den vergangenen sechs
Jahren zu eher begrenzten kriegerischen Anstrengungen gegenüber Israel
geführt hat. Die völlige Wiederbelebung des Tourismus auf der
israelischen Seite der Grenze zu Libanon bezeugt, dass die Hizbollah ihre Gründe hatte, auf Grund derer sie
– anders als die israelischen Generäle – mit dem Konflikt niedriger
Intensität sehr zufrieden ist. Falls eine umfassende Lösung der
palästinensischen Frage erreicht wird, würde selbst dieser Impuls
aussterben. 100 Meter in das eigentliche Israel einzudringen ist eine
solche Aktion. Der Umstand, dass eine solch mässige
Operation mit totalem Krieg und Zerstörung vergolten wird, lässt klar
erkennen, dass es um die grosse Planung
geht und nicht um den Vorwand.
Das ist nichts Neues. 1948, als die Vereinten
Nationen den Palästinensern ein Abkommen aufdrängten, das ihnen die
Hälfte ihres Heimatlandes entriss und es einer Gemeinde von
Neuankömmlingen und Siedlern übergab, von denen die meisten nach 1945
gekommen waren, entschieden sich die Palästinenser für einen Konflikt
sehr geringer Intensität. Die Führer der Zionisten hatten lange auf
diese Gelegenheit gewartet und begannen mit einer ethnischen
Säuberungsaktion, bei der die Hälfte der einheimischen Bevölkerung
vertrieben und die Hälfte ihrer Dörfer zerstört wurde und die die
arabische Welt in einen unnötigen Konflikt mit dem Westen verwickelte,
dessen Mächte mit dem Niedergang des Kolonialismus schon begonnen
hatten, sich zurückzuziehen. Die beiden Planungen stehen miteinander in
Zusammenhang: Je weiter die militärische Macht Israels sich ausdehnt,
desto leichter kann die unerledigte Aufgabe von 1948 vollendet werden:
die völlige Entarabisierung Palästinas.
Es ist noch nicht zu spät, um die israelische Planung davon abzuhalten,
eine neue und schreckliche Realität zu schaffen. Aber der Spielraum ist
begrenzt, und die Welt muss handeln, ehe es zu spät ist.
•
Übersetzung
Zeit-Fragen
von Duraid
Al Baik
Gulf News vom 13.7.2006
Ein Arzt eines palästinensischen Krankenhauses hat Israel
angeklagt, chemische Munition einzusetzen, die Verbrennungen und
Verletzungen in Weichteilen verursacht und nicht durch Röntgenstrahlen
aufgespürt werden kann.
Chemische Substanzen oder abgereichertes Uran könnte bei der Verwendung
dieses neuen Typs an Munition verwendet worden sein, so Dr. Jomaa al Saqqa,
Chef der Unfallabteilung an Gazas grösster
Einrichtung zur medizinischen Versorgung, dem al Shifa-Krankenhaus.
In einem Telefoninterview erzählte al Saqqa
den «Gulf News», dass Operation Sommerregen
nicht nur der Codename für eine militärische Operation war, die seit
dem 26. Juni von Israel gegen Gaza durchgeführt wird.
«Es ist die lebendige Erprobung einer neuen Munition, die bis jetzt
50 Palästinenser getötet und 200 verletzt hat», sagte er.
Er meinte, er sei sich bisher nicht sicher über die Art der verwendeten
Chemikalien, da die israelische Armee in den ersten Tagen des
Anschlages das einzige kriminaltechnische Labor in Gaza bombardiert
hätte.
Dr. Saqqa, der seit fast 10 Jahren am
al Shifa-Krankenhaus arbeitet, sagte,
er hätte niemals vorher solche Wunden gesehen.
Am Anfang der Operation Sommerregen bemerkte ich, dass die Wunden der
Menschen ungewöhnlich aussehen.
«Ich dachte, der Grund dafür sei, dass der Angriff aus einer kurzen
Distanz erfolgte oder dass die Temperatur der Kugeln, als sie in die
Körper der verletzten oder getöteten Menschen eindrangen, so hoch war,
dass dies Verbrennungen verursachte.
Später fand ich heraus, dass alle Wunden, die in unser Krankenhaus seit
Beginn der Operation eingeliefert wurden, sehr ähnlich waren.
Ich bemerkte ausserdem, dass neben den
Schäden in inneren Weichteilen in den Körpern der verletzten Menschen
keine Splitter durch Röntgenstrahlen gefunden werden konnten. Mit
anderen Worten, sie waren verschwunden oder im Körper aufgelöst.»
Al Saqqa drängte die internationalen
Gesundheitsbehörden, nach Gaza zu kommen und die Wunden der Menschen im
al Shifa-Krankenhaus zu untersuchen.
«Die Situation ist sehr schlimm, denn unter den 200 Verletzten sind 50
Kinder, die schrecklich unter ihren inneren Verletzungen leiden, die
von dieser neuen Art an Munition verursacht wurden», sagte er.
«Gulf News» wandte sich an den Sprecher der
israelischen Armee, aber dieser stand für eine Stellungnahme nicht zur
Verfügung.