von Norman Paech, Ossietzky 9/2002
Der Krieg im Nahen Osten hat viele Probleme und Tabus, die ihn als unlösbar erscheinen lassen. Nur ein Problem hat er nicht: Es fehlt nicht an Vorschlägen und Konzepten, ihn zu beenden. Vor einigen Tagen reiste der saudische Kronprinz Abdullah in die USA, um sein Angebot an Israel, welches nun auch von den anderen arabischen Staaten und der PLO unterstützt wird, Präsident Bush zu erläutern. Es erneuert die alte Formel »Land gegen Frieden«. Bereits Mitte März hatte der UNO-Sicherheitsrat den Vorschlag begrüßt und seinerseits die Umsetzung der Empfehlungen der Mitchell-Kommission vom Mai 2001 und des Zeitplans angemahnt, den CIA-Direktor George Tenet dafür ausgearbeitet hatte. Auch das Ideenpapier von Außenminister Fischer variiert nur die bekannten Vorschläge: Trennung der Konfliktparteien; Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen und Westjordanland; Ausrufung und Anerkennung des palästinensischen Staates und endgültige Regelung des Status Jerusalems als Hauptstadt. So vielfältig die Formulierungen und so variantenreich die Modalitäten auch sind - jetzt sogar mit UN-Truppen und deutscher Beteiligung -, sie umschreiben letztlich alle die zentralen Forderungen des UNO-Sicherheitsrats, die dieser seit fünfunddreißig Jahren an Israel gestellt hat: Rückzug aus den besetzten Gebieten, Aufgabe der Annexion Jerusalems und Regelung der Rückkehr der Flüchtlinge.
Die Reaktion Scharons ist ein immer schärferes »Nein«, welches mit einer Eskalation der militärischen Gewalt und einer neuerlichen Siedlungsoffensive unterstrichen wird. Angesichts dieser Blockade jeglicher Friedensperspektive stellen sich vor allem zwei Fragen: Welche Ziele verfolgt Scharon, hat er überhaupt ein politisches Projekt? Und wo ist anzusetzen, um die Höllenfahrt von Krieg und Terror zu unterbrechen?
Es wird Scharon immer wieder unterstellt, daß er kein politisches Programm habe und deshalb nur eine militärische Lösung kenne. Doch diese Fixierung auf seine Herkunft aus der Armee unterschätzt ihn. Daß er ein erklärter Gegner des Oslo-Prozesses war und daß es der kategorische Imperativ seiner Politik geblieben ist, den Verhandlungstisch zu meiden, hat einen einfachen Grund: Er weiß, daß er dort Positionen räumen müßte und die territorialen Ansprüche seiner orthodoxen Klientel nicht länger aufrechterhalten könnte. Es gibt kaum jemanden in der israelischen Führung, dessen Lebenswerk so bedingungslos mit der jüdischen Besiedlung der besetzten Gebiete verknüpft ist, wie Scharon seit seinen ersten Tagen als Landwirtschaftsminister 1977.
Der politischen Verhandlung kann er sich aber nur entziehen, wenn es gelingt, Arafat auszuschalten - das ist die notwendige Bedingung dieser Strategie. Dafür gab es zwei Konzepte. Das eine war die Korrumpierung der Autonomiebehörde durch ihre Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht. Damit wurde die Entlegitimierung Arafats und der PLO betrieben. Diese Politik hat weit geführt, aber nicht weit genug, weswegen sie jetzt von der anderen Alternative abgelöst worden ist, der politischen, ja auch physischen Liquidierung Arafats. Der ehemalige Leiter des Geheimdienstes Mossad, Shabtai Shavit, hat im Dezember vergangenen Jahres die Gründe für dieses Vorgehen benannt: »In den dreißig Jahren, da Arafat an der Spitze steht, erreichte er es, wirkliche Errungenschaften auf politischer und internationaler Ebene zu erzielen... Er.... bekommt mit einem einzigen Anruf einen Gesprächstermin mit jedem führenden Politiker der Welt. Es gibt niemanden in den palästinensischen Reihen, der im Bezug auf seinen internationalen Status in seine Fußstapfen treten kann. Wenn die Palästinenser diesen Vorteil verlieren, dann ist das für uns eine gewaltige Leistung. Palästina wird als Thema von der internationalen Tagesordnung verschwinden.« (Yediot, 7. Dezember 2001)
Diese Hoffnung mag trügen, und sie mag eher dahin führen, daß sich Scharon politisch selbst liquidiert. Aber sie erklärt die gnadenlose Jagd auf Arafat. Und sie gibt auch einen Hinweis für die Antwort auf die zweite Frage: nach dem Ansatzsatzpunkt für eine Unterbrechung der Eskalation. Die Aufforderungen der Schutzmächte Israels an Arafat, den Terror zu unterbinden, nehmen immer mehr den Charakter von Pflichtappellen an. Denn die Verschärfung der militärischen Gewalt hat deutlich gemacht, wer das Gesetz des Handelns diktiert. Menachem Klein von der Bar Ilan-Universität in Tel Aviv hat die Kausalität jüngst treffend erklärt, als er sagte: »Die Selbstmordattentate richten sich gegen den Aggressor. Wenn er verschwindet, werden sie ausbleiben« (Frankfurter Rundschau, 12. April 2002). Aggressor ist in den nüchternen Kategorien des Völkerrechts derjenige, der rechtswidrig fremdes Land besetzt und sich aneignet. Daher hat die UNO 1974 die PLO als legitime Befreiungsbewegung anerkannt, die sich mit Waffengewalt gegen die Besatzungsmacht wehrt. Wenn auch Palästina noch kein Staat ist, so besteht das Recht des palästinensischen Volkes weiter, sich mit Gewalt gegen die Aggression zur Wehr zu setzen. Allerdings nicht gegen Zivilisten und zivile Objekte, Attentate auf Personen sind Verbrechen ohne Rechtfertigung. Doch vermag der Terror der Selbstmordattentate die Kausalität der Verbrechen nicht umzukehren, an deren Ursprung die Aggression - die Besatzung und Besiedlung - steht.
Dies ist ein Krieg zwischen selbständigen Völkerrechtssubjekten, zwischen dem Staat Israel und dem palästinensischen Volk, nicht nur ein Bürgerkrieg, wie manche meinen. Er verpflichtet beide Seiten auf die Regeln des Kriegsvölkerrechts, vor allem aber auf die Beseitigung der Aggression - womit wir wieder bei der Formel »Land gegen Frieden« und den Forderungen des UN-Sicherheitsrats sind.