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Günter Pleuger im Interview

"Die Entwaffnung der Hisbollah ist Selbstmord"

Der frühere Botschafter bei den Vereinten Nationen, Gunter Pleuger, über Blauhelme im Nahen Osten, das Scheitern der UN-Reform und den iranischen Atomkonflikt.
Interview von Nicolas Richter
Süddeutsche Zeitung, 12.08.2006, http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/631/82549/

 

SZ: Gab es während der Irak-Krise einen Moment im Sicherheitsrat, den sie nie vergessen werden?
Pleuger: Ja, der 5. Februar 2003, als US-Außenminister Colin Powell mit einer Diashow belegen wollte, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besaß. Es war gespenstisch. Jeder im Saal wusste, dass seine Fakten falsch waren. Jeder wusste auch, dass der Krieg bevorstand.

Gunter Pleuger, 65, war bis vor wenigen Wochen deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, er gehörte lange zu den profiliertesten Diplomaten Deutschlands.
In der Zeit der rot-grünen Regierung war er unter anderem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, bevor er 2002 Leiter der deutschen UN-Mission wurde. Pleuger wurde im Juli pensioniert

SZ: Der Sicherheitsrat streitet seit Wochen über eine UN-Friedenstruppe für den Libanon. Soll sie den Auftrag bekommen, die Hisbollah-Miliz zu entwaffnen?

Pleuger: Wenn die Hisbollah nicht zustimmt, wäre das für die Blauhelme ein Selbstmordkommando. Israel hat auch mit einer massiven Offensive die Hisbollah nicht schlagen können. Wenn Blauhelmsoldaten nun die Hisbollah entwaffnen sollen, kommen sie in dieselbe Lage wie das israelische Militär: Dann wird auf sie geschossen. Zur Entwaffnung der Miliz müsste die UN-Truppe im gesamten Libanon operieren. Bleiben die Blauhelme nur als Puffer im Süden, feuert die Hisbollah über sie hinweg nach Israel. Die UN können also nur verlieren.

SZ: Warum hat der Sicherheitsrat nach mehr als vier Wochen noch keine Waffenstillstandsresolution erlassen?

Pleuger: Frankreich und die USA sind sich uneins über die Frage des israelischen Rückzugs und die Einstellung der ,,offensiven‘‘ militärischen Aktionen Israels. Das Problem ist, dass Israel jeden Angriff auch defensiv begründen kann.

SZ: Geht Israels Offensive zu weit?

Pleuger: Ich teile die kritische Sicht von UN-Generalsekretär Kofi Annan. Die Grenze zum Libanon war nie ruhig. Nun hat Israels Regierung die Entführung zweier Soldaten zum Anlass genommen, große Teile des Landes und seiner Infrastruktur zu zerstören. Falls der Libanon zerbricht, entsteht ein Krisenbogen vom Libanon über Syrien, Irak, Iran, bis zu Afghanistan, der die Stabilität der gesamten Region gefährden könnte.

SZ: Sie haben 2004 im Sicherheitsrat selbst für die Resolution 1559 gestimmt. Sie fordert, die Hisbollah zu entwaffnen. Wurde im Rat jemals darüber gesprochen, wer das umsetzen soll?

Pleuger: Die Resolution galt vor allem der Souveränität und Unabhängigkeit der libanesischen Regierung durch einen Rückzug der Syrer aus dem Land. Die innerlibanesischen Aspekte standen damals nicht im Vordergrund.

SZ: Wäre Deutschland stärker in der Pflicht, eigene Soldaten in den Libanon zu schicken, wenn es ständiges Mitglied im Sicherheitsrat geworden wäre?

Pleuger: Deutschland handelt als drittgrößter Ressourcengeber der UN bereits wie ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats. Die Zurückhaltung der Bundesregierung ist aber vernünftig. Die Libanon-Mission wäre eine der kritischsten in der Geschichte der UN. Kaum ein Staat will dieses Risiko eingehen, bevor er nicht genauestens das Mandat kennt.

SZ: Sehen Sie es als persönliche Niederlage, dass Deutschland den ständigen Sitz nicht bekommen hat?

Pleuger: Nein, wir haben die Entscheidung zur richtigen Zeit gesucht. Zusammen mit Brasilien, Indien und Japan wollten wir je einen festen Sitz, dafür brauchten wir die Stimmen von 128 Staaten in der Generalversammlung. Wir haben eine genaue Liste darüber geführt, wer für uns war. Wir hatten nach unserer Einschätzung im Mai und Juni vergangenen Jahres 145 bis 155 Stimmen.

SZ: Warum haben Sie den Vorschlag nicht sofort zur Abstimmung gestellt?

Pleuger: Niemand in der Vierergruppe hat sich so dafür eingesetzt wie wir. Aber die Japaner zögerten. Sie waren unsicher, weil sich die Afrikaner nicht auf eine gemeinsame Unterstützung des G-4-Vorschlags festlegen konnten. Wir haben die Japaner auf allen Ebenen bearbeitet, aber sie sagten immer: "We have to be in a listening mode" (Wir müssen abwarten). Sie haben zu lange gewartet.

SZ: So lange, bis der günstige Zeitpunkt zur Abstimmung verstrichen war.

Pleuger: Der damalige Präsident der Generalversammlung, der Afrikaner Jean Ping, hat uns im April oder Mai einbestellt. Er hat uns bekniet, sofort abstimmen zu lassen. ,,Wartet nicht auf eine afrikanische Position‘‘, sagte er, ,,lasst abstimmen, dann entscheidet jedes afrikanische Land nach seinem Nationalinteresse, mehrheitlich also für die wirtschaftlich starken G 4‘‘. Auch Annan hat uns zur Abstimmung gedrängt. Natürlich haben wir überlegt, ob wir es ohne die Japaner versuchen sollen. Aber es hätte die Abstimmung negativ beeinflusst, wenn die Vierergruppe geplatzt wäre.

SZ: Im Juli stellten sich auch die Amerikaner offen gegen die G 4. Hat Sie die Opposition durch einen engen Verbündeten überrascht?

Pleuger: In dieser Massivität ja. Anfang der neunziger Jahre sagte uns die Regierung von Bush senior, wir sollten ständiges Mitglied werden, wir könnten die USA entlasten. Heute denkt die Regierung anders. Erst wollte sie die Ratsreform durch Verzögerung abwenden. Die plötzlich heftige Opposition der USA hat dann gezeigt, dass die Sache für uns gut lief. Die Amerikaner wollten einen schnellen Reformbeschluss verhindern.

SZ: Aber sie hätten später eine Art Veto einlegen können, indem sie die Reform einfach nicht ratifizieren.

Pleuger: Dann hätten sie sich gegen zwei Drittel aller Staaten stellen müssen, darunter alle Verbündeten. Diese Isolation hält keine Regierung lange durch.

SZ: Sie haben im Sicherheitsrat oft Widerstand gegen die USA geleistet, zusammen mit Frankreich die Koalition gegen den Irak-Krieg angeführt. War das Nein der USA nicht eine Bestrafung?

Pleuger: Rachsucht spielt in der Politik gelegentlich durchaus eine Rolle. Nach dem Krieg kursierte ja die US-Losung: Verzeiht den Russen, bestraft die Franzosen, ignoriert die Deutschen. Doch bei den UN ist die Psychologie anders: Politische Differenzen werden nicht mit persönlichen Emotionen vermischt, sondern man sucht nach Lösungen. Das haben wir nach dem Irak-Krieg auch versucht. Gleichwohl wollen die USA die Reform verhindern, weil sie eine Machteinbuße befürchten. Allerdings weiß jeder, dass der Rat zu wenig Legitimität besitzt. Die Reform muss kommen.

SZ: Gab es während der Irak-Krise einen Moment im Sicherheitsrat, den sie nie vergessen werden?

Pleuger: Ja, der 5. Februar 2003, als US-Außenminister Colin Powell mit einer Diashow belegen wollte, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besaß. Es war gespenstisch. Jeder im Saal wusste, dass seine Fakten falsch waren. Jeder wusste auch, dass der Krieg bevorstand.

SZ: John Bolton, der amerikanische UN-Botschafter, ist sehr umstritten. Kann man mit ihm zusammenarbeiten?

Pleuger: Er ist einer der schwierigsten Kollegen, mit denen ich je zu tun hatte. Er ist sehr ideologisch geprägt, er argumentiert nicht politisch, sondern in Kategorien von Richtig und Falsch oder Gut und Böse. Das sind moralische Begriffe, während in der Politik über Alternativen und Kompromisse entschieden wird.

SZ: Ein Beispiel?

Pleuger: Die Debatte über den neuen Menschenrechtsrat. Fast alle hatten eine Formel gebilligt, sie war nicht ideal, aber besser, als gar keinen Rat für Menschenrechte zu haben. Bolton stimmte dagegen, weil er den Kompromiss nicht gut genug fand. 170 Staaten stimmten dafür. Damit hatten die USA die Chance vergeben, sich in den neuen Rat wählen zu lassen. Ausgerechnet die Amerikaner, die die Menschenrechte so vor sich hertragen. Für Amerika ein Trauerspiel.

SZ: Kürzlich hat der Sicherheitsrat Iran ultimativ aufgefordert, sein Atomprogramm auszusetzen. Werden Russen und Chinesen Sanktionen mittragen?

Pleuger: Diese Resolution sieht zivile Sanktionen vor. Ich frage mich, welchen Zweck die haben sollen. Die Iraner leben seit Jahrzehnten mit US-Sanktionen. Ich bezweifele, dass etwa Reisebeschränkungen die Ajatollahs abschrecken. Und wir sollten nicht vergessen, dass Iran mit seinem Einfluss auf Schiiten in der Region und als Ölproduzent auch Mittel zur Gegenwehr besitzt.

Russen und Chinesen sind jetzt zwar im Prinzip für Sanktionen, es ist aber sehr fraglich, ob sie weitergehen. Der Sicherheitsrat entscheidet in eskalatorischen Schritten, er muss irgendwann drastisch werden oder gar nichts mehr tun. Sobald der Rat in den Eskalationsprozess eintritt, kann das eine Verhandlungslösung gefährden.

SZ: Was soll passieren?

Pleuger: Der Konflikt mit Iran kann nur durch einen umfassenden Verhandlungskompromiss gelöst werden. Europa, Amerika und Russland müssen einen grand bargain mit Iran finden. Iran würde garantieren, dass es keine Bombe baut, wir sichern zu, dass Iran die Kernenergie voll nutzen darf und die notwendigen Sicherheitsgarantien von den USA erhält. Wenn der Rat nun aber Sanktionen verhängen sollte, nur weil Iran das Atomprogramm fortsetzt, dann würde er Iran elementare Rechte aus dem Atomwaffensperrvertrag nehmen. Iran hat unbestreitbar gegen Inspektionsregeln verstoßen. Das hat aber nicht zur Folge, dass automatisch Rechte verloren gehen.

SZ: Die Amerikaner tun aber so, als habe Iran dieses Recht auf zivile Atomenergie durch seine Tricksereien verwirkt.

Pleuger: Das steht nirgendwo.

SZ: Iran will bis zum 22. August über das Kooperationsangebot der Europäer entscheiden. War es nicht schädlich, vor diesem Datum ein Ultimatum zu stellen?

Pleuger: Es belastetet die Atmosphäre unnötig. Aber es wird wohl nicht zu Sanktionen kommen. Iran wird am 22. August wahrscheinlich nicht mit einem klaren Nein antworten, eher mit ,,Ja, aber‘‘. Dann wird wieder verhandelt.

SZ: Ende des Jahres verlässt Kofi Annan die UN. Hinterlässt er sie besser, als er sie vorgefunden hat?

Pleuger: Er ist der beste Generalsekretär seit langem. Er beeindruckt, weil er Integrität ausstrahlt. Nachdem er den Irak-Krieg für nicht legitim erklärt hatte, setzte in den USA eine Kampagne gegen ihn ein, die ihm seelisch und körperlich zugesetzt hat. Der Oil-for-food-Skandal im Irak wurde ihm angelastet, dabei lag die Schuld beim Sicherheitsrat, speziell bei den ständigen Ratsmitgliedern, die den Ölschmuggel nicht unterbunden haben. Annan hat in seiner Amtszeit die bisher umfassendsten Reformen eingeleitet, sie können die UN stärker und besser machen. Ob sie umgesetzt werden, liegt an den Mitgliedstaaten.