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Günter Pleuger im Interview
SZ: Gab es während der Irak-Krise einen Moment im
Sicherheitsrat, den sie nie vergessen werden? Pleuger: Ja, der 5. Februar 2003, als US-Außenminister Colin Powell mit einer Diashow belegen wollte, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besaß. Es war gespenstisch. Jeder im Saal wusste, dass seine Fakten falsch waren. Jeder wusste auch, dass der Krieg bevorstand. |
Gunter
Pleuger, 65, war bis vor wenigen Wochen deutscher Botschafter bei den
Vereinten Nationen in New York, er gehörte lange zu den profiliertesten
Diplomaten Deutschlands.
In der Zeit der rot-grünen Regierung
war er unter anderem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, bevor er 2002
Leiter der deutschen UN-Mission wurde.
Pleuger wurde im Juli pensioniert
SZ:
Der Sicherheitsrat streitet seit Wochen über eine UN-Friedenstruppe für
den Libanon. Soll sie den Auftrag bekommen, die Hisbollah-Miliz zu
entwaffnen?
Pleuger: Wenn die Hisbollah nicht zustimmt,
wäre das für die Blauhelme ein Selbstmordkommando. Israel hat auch mit
einer massiven Offensive die Hisbollah nicht schlagen können. Wenn
Blauhelmsoldaten nun die Hisbollah entwaffnen sollen, kommen sie in
dieselbe Lage wie das israelische Militär: Dann wird auf sie
geschossen. Zur Entwaffnung der Miliz müsste die UN-Truppe im gesamten
Libanon operieren. Bleiben die Blauhelme nur als Puffer im Süden,
feuert die Hisbollah über sie hinweg nach Israel. Die UN können also
nur verlieren.
SZ: Warum hat der Sicherheitsrat nach mehr als vier Wochen noch
keine Waffenstillstandsresolution erlassen?
Pleuger:
Frankreich und die USA sind sich uneins über die Frage des israelischen
Rückzugs und die Einstellung der ,,offensiven‘‘ militärischen Aktionen
Israels. Das Problem ist, dass Israel jeden Angriff auch defensiv
begründen kann.
SZ: Geht Israels Offensive zu weit?
Pleuger:
Ich teile die kritische Sicht von UN-Generalsekretär Kofi Annan. Die
Grenze zum Libanon war nie ruhig. Nun hat Israels Regierung die
Entführung zweier Soldaten zum Anlass genommen, große Teile des Landes
und seiner Infrastruktur zu zerstören. Falls der Libanon zerbricht,
entsteht ein Krisenbogen vom Libanon über Syrien, Irak, Iran, bis zu
Afghanistan, der die Stabilität der gesamten Region gefährden könnte.
SZ:
Sie haben 2004 im Sicherheitsrat selbst für die Resolution 1559
gestimmt. Sie fordert, die Hisbollah zu entwaffnen. Wurde im Rat jemals
darüber gesprochen, wer das umsetzen soll?
Pleuger: Die
Resolution galt vor allem der Souveränität und Unabhängigkeit der
libanesischen Regierung durch einen Rückzug der Syrer aus dem Land. Die
innerlibanesischen Aspekte standen damals nicht im Vordergrund.
SZ:
Wäre Deutschland stärker in der Pflicht, eigene Soldaten in den Libanon
zu schicken, wenn es ständiges Mitglied im Sicherheitsrat geworden wäre?
Pleuger:
Deutschland handelt als drittgrößter Ressourcengeber der UN bereits wie
ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats. Die Zurückhaltung der
Bundesregierung ist aber vernünftig. Die Libanon-Mission wäre eine der
kritischsten in der Geschichte der UN. Kaum ein Staat will dieses
Risiko eingehen, bevor er nicht genauestens das Mandat kennt.
SZ: Sehen Sie es als persönliche Niederlage, dass Deutschland
den ständigen Sitz nicht bekommen hat?
Pleuger:
Nein, wir haben die Entscheidung zur richtigen Zeit gesucht. Zusammen
mit Brasilien, Indien und Japan wollten wir je einen festen Sitz, dafür
brauchten wir die Stimmen von 128 Staaten in der Generalversammlung.
Wir haben eine genaue Liste darüber geführt, wer für uns war. Wir
hatten nach unserer Einschätzung im Mai und Juni vergangenen Jahres 145
bis 155 Stimmen.
SZ: Warum haben Sie den Vorschlag nicht sofort zur Abstimmung
gestellt?
Pleuger:
Niemand in der Vierergruppe hat sich so dafür eingesetzt wie wir. Aber
die Japaner zögerten. Sie waren unsicher, weil sich die Afrikaner nicht
auf eine gemeinsame Unterstützung des G-4-Vorschlags festlegen konnten.
Wir haben die Japaner auf allen Ebenen bearbeitet, aber sie sagten
immer: "We have to be in a listening mode" (Wir müssen abwarten). Sie
haben zu lange gewartet.
SZ:
Kürzlich hat der Sicherheitsrat Iran ultimativ aufgefordert, sein
Atomprogramm auszusetzen. Werden Russen und Chinesen Sanktionen
mittragen?
Pleuger: Diese Resolution sieht zivile
Sanktionen vor. Ich frage mich, welchen Zweck die haben sollen. Die
Iraner leben seit Jahrzehnten mit US-Sanktionen. Ich bezweifele, dass
etwa Reisebeschränkungen die Ajatollahs abschrecken. Und wir sollten
nicht vergessen, dass Iran mit seinem Einfluss auf Schiiten in der
Region und als Ölproduzent auch Mittel zur Gegenwehr besitzt.
Russen
und Chinesen sind jetzt zwar im Prinzip für Sanktionen, es ist aber
sehr fraglich, ob sie weitergehen. Der Sicherheitsrat entscheidet in
eskalatorischen Schritten, er muss irgendwann drastisch werden oder gar
nichts mehr tun. Sobald der Rat in den Eskalationsprozess eintritt,
kann das eine Verhandlungslösung gefährden.
SZ: Was soll passieren?
Pleuger:
Der Konflikt mit Iran kann nur durch einen umfassenden
Verhandlungskompromiss gelöst werden. Europa, Amerika und Russland
müssen einen grand bargain mit Iran finden. Iran würde garantieren,
dass es keine Bombe baut, wir sichern zu, dass Iran die Kernenergie
voll nutzen darf und die notwendigen Sicherheitsgarantien von den USA
erhält. Wenn der Rat nun aber Sanktionen verhängen sollte, nur weil
Iran das Atomprogramm fortsetzt, dann würde er Iran elementare Rechte
aus dem Atomwaffensperrvertrag nehmen. Iran hat unbestreitbar gegen
Inspektionsregeln verstoßen. Das hat aber nicht zur Folge, dass
automatisch Rechte verloren gehen.
SZ: Die Amerikaner tun aber so, als habe Iran dieses Recht auf
zivile Atomenergie durch seine Tricksereien verwirkt.
Pleuger: Das steht nirgendwo.
SZ:
Iran will bis zum 22. August über das Kooperationsangebot der Europäer
entscheiden. War es nicht schädlich, vor diesem Datum ein Ultimatum zu
stellen?
Pleuger: Es belastetet die Atmosphäre unnötig.
Aber es wird wohl nicht zu Sanktionen kommen. Iran wird am 22. August
wahrscheinlich nicht mit einem klaren Nein antworten, eher mit ,,Ja,
aber‘‘. Dann wird wieder verhandelt.
SZ: Ende des Jahres verlässt Kofi Annan die UN. Hinterlässt er
sie besser, als er sie vorgefunden hat?
Pleuger:
Er ist der beste Generalsekretär seit langem. Er beeindruckt, weil er
Integrität ausstrahlt. Nachdem er den Irak-Krieg für nicht legitim
erklärt hatte, setzte in den USA eine Kampagne gegen ihn ein, die ihm
seelisch und körperlich zugesetzt hat. Der Oil-for-food-Skandal im Irak
wurde ihm angelastet, dabei lag die Schuld beim Sicherheitsrat,
speziell bei den ständigen Ratsmitgliedern, die den Ölschmuggel nicht
unterbunden haben. Annan hat in seiner Amtszeit die bisher
umfassendsten Reformen eingeleitet, sie können die UN stärker und
besser machen. Ob sie umgesetzt werden, liegt an den Mitgliedstaaten.