Nayla Ayesh ist Leiterin des Women’s Affairs Center von Gaza. Ihr
politisches Credo: Der »nationalistische Kampf« müsse »durch den Kampf
um soziale und politische Gleichheit vervollständigt werden«. Sie war
bereits mehrfach aus politischen Gründen in Israel inhaftiert.
Am 3.November 2006 eröffneten israelische Besatzungssoldaten das
Feuer auf eine unbewaffnete Frauendemonstration in der Stadt Beit Hanun
im Gazastreifen. Es gab mehrere Tote und zahlreiche Verletzte. Die
Frauen hatten sich mit palästinensischen Kämpfern solidarisiert, die
sich – von israelischen Soldaten umzingelt – in einer Moschee
verschanzt hatten.
Was bedeutet es, daß die Frauen von Beit Hanun das »menschliche
Schutzschild« abgaben und so denjenigen zur Flucht verhalfen, die sich
in der Moschee verborgen hatten?
Das ist ein Punkt, über
den man Klarheit schaffen muß. Wenn man von menschlichen Schutzschilden
spricht, dürfen wir nicht an Personen denken, die den feindlichen
Gewehren ihre Brust hinhalten und bereit sind, anstelle anderer zu
sterben. Die Frauen haben nichts von alledem getan, sondern nur das,
was unter den schrecklichen Bedingungen der letzten Monate richtig war.
Sie sind auf die Straße gegangen, um die Israelis zum Rückzug
aufzufordern und dazu, ihre Ehemänner, Brüder und Söhne nicht zu
verhaften. Auf jeden Fall war das israelische Feuer unerwartet und
völlig ungerechtfertigt. Jemand wollte die Frauen dafür bestrafen, daß
sie sich zur Verteidigung ihres Landes gegen die Invasoren geschlossen
und vereint gezeigt haben.
Sind nur Hamas-Frauen auf die Straße gegangen?
Nein,
von allen Fraktionen. Natürlich zusammen mit vielen anderen, die keine
Politik machen, die angesichts dessen, was in Gaza geschieht, aber
nicht gleichgültig bleiben können. Die Medien haben ungenaue
Informationen verbreitet. Sie haben gesagt, daß die Frauen in Beit
Hanun alle von Hamas waren, weil sie den Hijab trugen, und haben dabei
vergessen, daß in Gaza alle Frauen (mit wenigen Ausnahmen) verschleiert
sind. Auch diejenigen, die keine Aktivistinnen sind oder für die
islamische Bewegung gestimmt haben. In jedem Fall haben die beiden
Gefährtinnen in Beit Hanun und die weiteren, die am 3. November unter
dem Feuer der Israelis gefallen ist, mit ihrem Opfer zu einer
Annäherung der verschiedenen Organisationen der palästinensischen
Frauen beigetragen und die erneute Schaffung einer Einheitsfront
begünstigt. Die brauchen wir, weil die innenpolitische Krise dabei ist,
die Oberhand über das wichtigste Problem der Palästinenser zu gewinnen:
die Besatzung. Solange die israelische Unterdrückung andauert und das
Licht eines unabhängigen palästinensischen Staates nicht zu erkennen
ist, wird die Arbeit, die viele Organisationen geleistet haben, um die
Situation der Frauen in Gaza und in den übrigen besetzten Gebieten zu
verbessern, niemals eine konkrete Entwicklung zur Folge haben. Die
harten Lebensbedingungen, der alltägliche Kampf darum, daß die Kinder
etwas zu essen haben, erlauben es nicht, die Debatte auf die zentralen
Themen der Frauenfrage auszudehnen.
Sie sprachen von dem
stärkeren Zusammenhalt zwischen den Aktivistinnen der Hamas und denen
der laizistischen Organisationen, der auch aufgrund der Verschärfung
der Lage in Gaza zustande komme. Aber welche Fortschritte haben Sie in
bezug auf die Rechte der Frauen gemacht?
Es hat
Fortschritte gegeben, auch wenn die Differenzen groß bleiben. Es ist
klar, daß es nicht leicht ist, in bezug auf die Rolle der Frau in der
Familie und in der Gesellschaft mit den Hamas-Führern eine Übereinkunft
zu finden. Zu meinen, daß das ganze Leben, nicht nur einer Frau,
sondern auch eines Mannes, nur auf die religiöse Lehre ausgerichtet
sein muß, ist sehr weit von dem entfernt, wofür die Frauen in Gaza
viele Jahre lang gekämpft haben. Gleichzeitig ist die Debatte eröffnet,
und sie wird von uns allen, Laizistinnen und Religiösen, in dem
Bewußtsein geführt, daß das Erreichen einer Übereinkunft im Interesse
aller palästinensischen Frauen liegt.
Das Interview erschien am 4. November in der linken
italienischen Zeitung Il Manifesto. Interview: Michele Giorgio.
Übersetzung: Rosso (Antifa-AG der Uni Hannover, Gewerkschaftsforum
Hannover) für das Internetportal Indymedia (http://de.indymedia.org)