[ Konferenz in Berlin am 18. 11.2006]     [home]

 

»Vereint gegen die Besatzung«

Im Kampf für ein unabhängiges Palästina sind laizistische und religiöse Frauen im Gazastreifen vereint. Ein Gespräch mit der palästinensischen Feministin Naila Ayesh

junge Welt, 10.11.2006 / Feminismus / Seite 15
http://www.jungewelt.de/2006/11-10/008.php
Nayla Ayesh ist Leiterin des Women’s Affairs Center von Gaza. Ihr politisches Credo: Der »nationalistische Kampf« müsse »durch den Kampf um soziale und politische Gleichheit vervollständigt werden«. Sie war bereits mehrfach aus politischen Gründen in Israel inhaftiert.

Am 3.November 2006 eröffneten israelische Besatzungssoldaten das Feuer auf eine unbewaffnete Frauendemonstration in der Stadt Beit Hanun im Gazastreifen. Es gab mehrere Tote und zahlreiche Verletzte. Die Frauen hatten sich mit palästinensischen Kämpfern solidarisiert, die sich – von israelischen Soldaten umzingelt – in einer Moschee verschanzt hatten.

Was bedeutet es, daß die Frauen von Beit Hanun das »menschliche Schutzschild« abgaben und so denjenigen zur Flucht verhalfen, die sich in der Moschee verborgen hatten?

Das ist ein Punkt, über den man Klarheit schaffen muß. Wenn man von menschlichen Schutzschilden spricht, dürfen wir nicht an Personen denken, die den feindlichen Gewehren ihre Brust hinhalten und bereit sind, anstelle anderer zu sterben. Die Frauen haben nichts von alledem getan, sondern nur das, was unter den schrecklichen Bedingungen der letzten Monate richtig war. Sie sind auf die Straße gegangen, um die Israelis zum Rückzug aufzufordern und dazu, ihre Ehemänner, Brüder und Söhne nicht zu verhaften. Auf jeden Fall war das israelische Feuer unerwartet und völlig ungerechtfertigt. Jemand wollte die Frauen dafür bestrafen, daß sie sich zur Verteidigung ihres Landes gegen die Invasoren geschlossen und vereint gezeigt haben.

Sind nur Hamas-Frauen auf die Straße gegangen?

Nein, von allen Fraktionen. Natürlich zusammen mit vielen anderen, die keine Politik machen, die angesichts dessen, was in Gaza geschieht, aber nicht gleichgültig bleiben können. Die Medien haben ungenaue Informationen verbreitet. Sie haben gesagt, daß die Frauen in Beit Hanun alle von Hamas waren, weil sie den Hijab trugen, und haben dabei vergessen, daß in Gaza alle Frauen (mit wenigen Ausnahmen) verschleiert sind. Auch diejenigen, die keine Aktivistinnen sind oder für die islamische Bewegung gestimmt haben. In jedem Fall haben die beiden Gefährtinnen in Beit Hanun und die weiteren, die am 3. November unter dem Feuer der Israelis gefallen ist, mit ihrem Opfer zu einer Annäherung der verschiedenen Organisationen der palästinensischen Frauen beigetragen und die erneute Schaffung einer Einheitsfront begünstigt. Die brauchen wir, weil die innenpolitische Krise dabei ist, die Oberhand über das wichtigste Problem der Palästinenser zu gewinnen: die Besatzung. Solange die israelische Unterdrückung andauert und das Licht eines unabhängigen palästinensischen Staates nicht zu erkennen ist, wird die Arbeit, die viele Organisationen geleistet haben, um die Situation der Frauen in Gaza und in den übrigen besetzten Gebieten zu verbessern, niemals eine konkrete Entwicklung zur Folge haben. Die harten Lebensbedingungen, der alltägliche Kampf darum, daß die Kinder etwas zu essen haben, erlauben es nicht, die Debatte auf die zentralen Themen der Frauenfrage auszudehnen.

Sie sprachen von dem stärkeren Zusammenhalt zwischen den Aktivistinnen der Hamas und denen der laizistischen Organisationen, der auch aufgrund der Verschärfung der Lage in Gaza zustande komme. Aber welche Fortschritte haben Sie in bezug auf die Rechte der Frauen gemacht?

Es hat Fortschritte gegeben, auch wenn die Differenzen groß bleiben. Es ist klar, daß es nicht leicht ist, in bezug auf die Rolle der Frau in der Familie und in der Gesellschaft mit den Hamas-Führern eine Übereinkunft zu finden. Zu meinen, daß das ganze Leben, nicht nur einer Frau, sondern auch eines Mannes, nur auf die religiöse Lehre ausgerichtet sein muß, ist sehr weit von dem entfernt, wofür die Frauen in Gaza viele Jahre lang gekämpft haben. Gleichzeitig ist die Debatte eröffnet, und sie wird von uns allen, Laizistinnen und Religiösen, in dem Bewußtsein geführt, daß das Erreichen einer Übereinkunft im Interesse aller palästinensischen Frauen liegt.

Das Interview erschien am 4. November in der linken italienischen Zeitung Il Manifesto. Interview: Michele Giorgio. Übersetzung: Rosso (Antifa-AG der Uni Hannover, Gewerkschaftsforum Hannover) für das Internetportal Indymedia (http://de.indymedia.org)