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Deutsche Version von der AG
Friedensforschung an der Uni Kassel
Englische Version bei ZNet:
Andrew Kennedy: Es scheint klar, daß Israel geradezu auf einen
Vorwand wartete, um seine (Militär-) Aktion starten zu können, und daß
Hizbollah ihn lieferte. Ist dies (auch) Ihre Ansicht?
Gilbert Achcar: Israels Absicht ist tatsächlich klarer, als es
jene Hizbollahs war, als sie die Operation am 12. Juli in Szene setzte.
Es scheint, daß die Operation von Hizbollah seit mehreren Monaten
vorbereitet worden war, wie Hassan Nasrallah sagte, und daß sie sie
hauptsächlich als einen Weg betrachteten, die Herausgabe von
libanesischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen durch einen
Austausch zu erlangen. Sie war ursprünglich nicht als eine Reaktion auf
die Ereignisse in Gaza gedacht - obwohl sie von der arabischen
öffentlichen Meinung als eine Geste der Solidarität mit der
palästinensischen Bevölkerung wahrgenommen wurde. Auf jeden Fall
erwartete Hizbollah sicher nicht eine israelische Reaktion diesen
Ausmaßes.
Israels Absicht ist sehr klar und wurde von Beginn an dargelegt. Die
Operation am 12. Juli wurde als ein Vorwand aufgegriffen, um eine
Offensive zu starten, die auch sehr offensichtlich seit einer langen
Zeit in Vorbereitung gewesen war. Die Absicht war natürlich, Hizbollahs
Vernichtung zu erreichen: das, was die israelische Armee während ihrer
Besatzung Libanons zu erreichen nicht im Stande war, sollte jetzt
dadurch erreicht werden, daß die Libanesen genötigt werden sollten,
dieses selbst zu tun und so das Land an den Rand des Bürgerkriegs zu
stoßen.
Die israelische Regierung wies die Idee eines internationalen
Kontingents zunächst zurück, darauf bestehend, daß nur die libanesische
Armee in den Süden gehen sollte, und so deutlich machend, daß sie
wollte, daß die Libanesen Hizbollah entwaffnen. Die israelische
Strategie war einerseits, Hizbollah direkte Schläge zu erteilen, und
andererseits, die ganze libanesische Bevölkerung als Geisel zu nehmen,
um zu erhalten, was sie von der libanesischen Regierung wollte. Im
Lichte des israelischen militärischen Mißerfolgs, der Hizbollah einen
bedeutenden Schlag zu versetzen, und ihres bisherigen politischen
Mißerfolgs bei der Spaltung der libanesischen Bevölkerung, haben sie
sich mit einem revidierten Ziel abgefunden, der Stationierung
europäischer NATO-Kräfte im südlichen Libanon - mit oder ohne
Feigenblatt der Vereinten Nationen.
A.K.: Wer sind hier die Hauptakteure? Ist das ein
Stellvertreter-Krieg der Vereinigten Staaten? Wie weit ist das mit
Israels eigenen Interessen und Zielen abgestimmt?
Achcar: Die Übereinstimmung der Ziele der Regierungen Israels und der
Vereinigten Staaten ist historisch nie so durchsichtig gewesen, wie sie
das seit 2001 gewesen ist, als George W . Bush in den Vereinigten
Staaten an die Macht kam, gefolgt von Sharon in Israel. Der Grad der
Offenheit ihres Einverständnisses ist beispiellos. Nie haben die
Vereinigten Staaten so offensichtlich und offen eine israelische
Aggression gebilligt. Die israelische Armee macht die militärische
Arbeit, während die Vereinigten Staaten die diplomatische Arbeit
übernehmen, indem sie Waffenstillstandsresolutionen blockieren und
Israel Zeit verschaffen, um seine militärischen Ziele erfüllen zu
können, und es zudem mit den erforderlichen Waffen zu beliefern. Die
US-Bedingungen für eine Waffenruhe sind mit denjenigen identisch, die
von den Israelis definiert sind und mit ihnen verabredet. Washington
sieht dies als einen Teil des 'Anti-Terror-Kriegs' der
Bush-Administration: Israels Aggression paßt in den US-geführten
imperialistischen Kriegkurs, der seit 9/11 in diesem Teil der Welt in
Gang gesetzt wurde, wo zwei Drittel der Welterdölressourcen unter der
Erde liegen.
Andererseits bekämpft die US-israelische Allianz mit Hizbollah den Iran
oder die von Iran geführte Allianz in dieser Region, einschließlich
schiitischer Kräfte im Irak, des syrischen Regimes und den Appell
dieser Allianz an Sunni-Fundamentalisten wie Hamas und die
Moslembruderschaft in Ägypten, die Hizbollah in der aktuellen Krise
unterstützten. So gibt es zwei Konflikte verflochten im gegenwärtigen
Krieg den unmittelbaren, bestehend aus Israels Aggression gegen die
Hizbollah und den Libanon, und den indirekten, bestehend aus der
US-Kampagne gegen den Iran. Der UN-Sicherheitsrat hat gerade eine
US-gesponserte Resolution zu dem Problem des iranischen Nuklearprogramm
angenommen - ziemlich unverschämt, wenn man bedenkt, daß derselbe Rat
noch nicht die Beendigung von Israels Massenmord im Libanon verlangt
hat.
A.K.: Welche Rolle spielt Frankreich bei alldem?
Achcar: Die französische Position hat sich entwickelt. 2004 bot Jacques
Chirac den Vereinigten Staaten eine gemeinsame Front gegen die
syrischen Streitkräfte im Libanon in den Vereinten Nationen an. Ihre
grundlegenden Interessen waren sich in diesem Fall nahe, im Gegensatz
zu dem, was in Punkto Irak gewesen war. In diesem Fall interessieren
sich die Franzosen hauptsächlich für das saudische Geld. Gerade vor ein
paar Tagen unterzeichneten sie eine Abmachung über einen großen
Waffenverkauf an das saudische Königreich. Die Freundschaft von Chirac
mit Hariri, Vater und Sohn, paßt sehr gut in diesen Rahmen - wie jeder
weiß, ist der Hariri-Clan den Saudis eng verbunden. Als Hariri, mit den
Saudis hinter ihm, in die Auseinandersetzung mit Syrien eintrat, bot
Frankreich Washington seine Hilfe beim Fördern der UN-Resolution 1559
an, die den Abzug der syrischen Streitkräfte aus dem Libanon verlangte
sowie die Entwaffnung von bewaffneten Nichtregierungs-Gruppen im Land,
womit Hizbollah und die palästinensischen Flüchtlingslager gemeint
waren. Seit 2004 hat Frankreich so in enger Allianz mit den Vereinigten
Staaten beim Libanon-Problem zusammengearbeitet.
Aber die letzte Offensive hat Risse in der Allianz verursacht. Die
Saudis verurteilten Hizbollah zunächst, aber als die israelische
Aggression immer offensichtlicher brutal und mörderisch wurde und
Einfluß hatte auf die arabische öffentliche Meinung, mußten die Saudis,
die Ägypter, die Jordanier, alle arabischen Klientel Washingtons ihre
Haltung ändern und Washington erzählen: Eure israelischen Freunde sind
dabei, alles zu verderben, wir erreichen einen Siedepunkt, der ziemlich
gefährlich ist, es ist Zeit anzuhalten. Die Krise wird immer
gefährlicher für die gesamte Stabilität der Pro-US--Regime - zum
Beispiel in Ägypten, wo die Moslembruderschaft Kapital aus der
Situation schlägt. Chirac nimmt den Mittelweg seitdem - den Saudis mehr
gefallend als Bush mit seinem Verlangen nach einer unmittelbaren
Waffenruhe und einer internationalen Truppen-Präsenz, die auf einer
politischer Abmachung basiert.
A.K.: In Ihrem Interview mit Liberazione am 15. Juli sagten Sie, daß
die israelische Militäraktion die libanesische Bevölkerung mehr gegen
Israel radikalisieren könnte als gegen Hizbollah. Geschieht das?
Achcar: Es geschieht tatsächlich und jenseits meiner Erwartungen. Die
große Brutalität der israelischen Aggression ist wirklich
kontraproduktiv für die israelischen Absichten - und vereinigt den
Libanon im Widerstand gegen die israelischen Offensive. Israels Angriff
ist so mörderisch, so unterschiedslos gewesen, daß die große Mehrheit
der Libanesen dieselben Schlüsse gezogen hat: erstens, daß die
israelische Offensive vor langer Zeit vorbereitet worden war, so daß
die ganze Diskussion der Operation vom 12. Juli etwas irrelevant ist,
und sie eindeutig als Vorwand benutzt wurde; zweitens, daß Israel nicht
die Hizbollah allein und sogar nicht nur die Schiiten, sondern die
gesamte Bevölkerung ins Visier nimmt. Das ganze Land wird als Geisel
gehalten. Die ganze Wirtschaft ist zerstört. Stimmt, die Offensive hat
hauptsächlich libanesische Schiiten getötet - wahrscheinlich mehr als
1000 bereits, wenn man diejenigen, die noch unter den Trümmern sind,
einbezieht - aber in Bezug auf die Leben, die betroffen sind, arm
gemacht und ruiniert sind, ist eine riesige Zahl von Libanesen
betroffen, und Israel wird klar als der Feind des libanesischen Volkes
als Ganzes wahrgenommen. Auf einer mehr allgemeinen regionalen Ebene
erreicht der Haß auf Israel und die Vereinigten Staaten neue
Spitzenwerte. All das wird zweifellos das Wachstum von
Terrororganisationen des Typs Al Qaeda befördern. Ich fürchte, daß das,
was wir bis jetzt - 9/11, 7/7 und Madrid - gesehen haben nur ein
Vorgeschmack des Horrors ist, der noch kommen und der die
Zivilbevölkerungen im Westen betreffen wird.
A.K.: Ist die libanesische Linke in der Lage gewesen, in dieser
nationalen Welle der Wut und des Widerstands eine Rolle zu spielen und
sie zu politisieren? Oder ist sie marginalisiert?
Achcar: Die Libanesische Kommunistische Partei (LKP) ist ein Schatten
ihrer selbst, dessen, was sie in den 70er Jahren und 80er Jahren zu
sein pflegte. Sie war eine der wichtigsten kommunistischen Parteien in
der arabischen Welt, in Relation zur Größe des Landes, und sie war
einer der bedeutenden Akteure im Bürgerkrieg 1975-1990. Die LKP war die
erste, die Angriffe gegen die israelische Besatzung 1982 im Namen des
´nationalen Widerstands` unternahm, nachdem sich die Invasion
festgesetzt hatte. Erst später gab es den 'Islamischen Widerstand' und
Hizbollah. Für Hizbollah war die LKP ein Rivale, da die hauptsächliche
soziale Basis Letzterer unter Schiiten und im südlichen Libanon war,
der Zielgruppe von Hizbollah. Hizbollah baute sich teilweise auf durch
den Kampf gegen die LKP um diese Zielgruppe und es gelang ihr, die
Vorherrschaft zu erringen. Dabei wurde ihr durch die iranische
Unterstützung und durch die Tatsache außerordentlich geholfen, daß sie
auf den dominierenden ideologischen Trend in der Region setzte, der
sich zugunsten des islamischen Fundamentalismus seit den 1970er Jahren
entwickelte, wohingegen es der LKP an politischer Kühnheit mangelte und
sie durch die sich entfaltende Krise der Sowjetunion tief getroffen
wurde. In den 1990er Jahren durchlebte die LKP tiefe Krisen ein, sich
spaltend und fragmentierend. Was bleibt, ist nicht völlig unsichtbar,
aber sie ist nicht mehr in der Lage, eine wichtige Rolle zu spielen -
unglücklicherweise, da sie die wichtigste linke Gruppierung im Lande
ist. Folglich ist der Libanon keine Ausnahme von der allgemeinen Regel
in der Region: Der historische Mißerfolg von nationalistischen Kräften
und der Mißerfolg der Linken hat ein Vakuum geschaffen, das von
islamischen Fundamentalisten gefüllt worden ist.
A.K.: Einige britische Linke tragen sich wahrscheinlich mit dem
Gedanken, daß Hizbollah fähig ist, sich nach links zu entwickeln. Ist
das eine Phantasie?
Achcar: Grundsätzlich ja. Sogar eine plebejische Gruppe wie die
Organisation von Muqtada Al Sadr im Irak ist eine größere soziale
Bedrohung der Bourgeoisie als Hizbollah. Die Letztere ist natürlich
radikal in ihrer Opposition zu Israel, wie es gewöhnlich bei
islamischen fundamentalistischen Kräften ist, die dem Iran verbunden
sind, aber in der libanesischen Politik ist Hizbollah völlig ins System
integriert. Sie hat zwei Minister in der Regierung, die von
Hariri-geführter US-Klientel beherrscht wird, und sie alliiert sich mit
ganz reaktionären Figuren. Stimmt, sie organisiert Sozialeinrichtungen,
aber nur wie Kirchen oder Wohlfahrtsorganisationen es tun - sie
repräsentieren überhaupt keine soziale Bedrohung für die bürgerliche
Gesellschaftsordnung. Es gibt nicht einmal ein Potential dafür in
Anbetracht der Ideologie von Hizbollah, ihrer Struktur, ihrer engen
Verbindungen zum Iran und zu Syrien. Der Iran, Hizbollahs Modell von
Gesellschaft und Staat, ist in seiner sozialen Struktur äußerst
bourgeois. Was auch immer ein populistisch herumschimpfender
Ahmadinejad (der iranische Präsident) im letzten Jahr in seinem
Wahlkampf um die Präsidentschaft gegen den Kapitalisten Rafsanjani
losgelassen hat, das wird in keinerlei Art konkreter sozialer Maßnahmen
übersetzt. In dieser Hinsicht ist das Venezuela von Chavez ein viel
progressiverer Staat: Der Iran ist keine moslemische Entsprechung von
Venezuela. Solche Vergleichbarkeiten gab es im Mittleren Osten in den
60er Jahren, aber es ist ihrem Mißerfolg geschuldet, daß der islamische
Fundamentalismus wachsen konnte.
A.K.: Ben Gurion hatte die Idee, daß Israels Grenzen natürliche sein
sollten - der Litani-Fluß im Norden und der Fluß Jordan im Osten. Ist
es das, was die Angriffe auf den Libanon und die Palästinenser
verbindet?
Achcar: Die Projekte eines Größeren Israel sind obsolet und sind das
schon seit einer sehr langen Zeit. Die Raketen der Hizbollah sind ein
weiterer Beweis für die Tatsache, daß 'natürliche Grenzen´ nicht viel
bedeuten. Sogar nachdem es 1982 in den Libanon eingefallen war, konnte
Israel das neu okkupierte Territorium nicht lange unter seiner direkten
Kontrolle behalten. Diese sind gebirgige Gebiete, passend für den
Guerillakampf, und die libanesische Bevölkerung hatte eine militärische
Ausbildung im Laufe mehrerer Jahre des Bürgerkriegs erhalten. Daher die
riesige Vorsicht der israelischen Truppen beim Eindringen in den
südlichen Libanon nach dem 12. Juli. Die Israelische
Verteidigungsstreitkräfte nahmen gerade mal drei Dörfer in den ersten
zwei Wochen ein und das mit relativ hohen Kosten; sie trafen auf
heftigen Widerstand. Sie entschieden sich dafür, Zuflucht zu suchen
beim Plattmachen der kleinen Stadt von Bint Jubail, nachdem es sich als
unmöglich erwiesen hatte, sie zu kontrollieren. Die Israelis fahren
fort zu sagen, daß sie den südlichen Libanon nicht wieder in Besitz
nehmen wollen - aus gutem Grund.
Als in Palästina die Kosten der direkten Kontrolle der
Palästinensergebiete nach der ersten Intifada 1987-88 zu hoch wurden,
beendete Israel sie und gab diese direkte Kontrolle auf. Aber es plant,
den Hauptteil seiner Kolonialsiedlungen in der Westbank
aufrechtzuerhalten sowie seine direkte Kontrolle der Grenzen zwischen
den Palästinensergebieten und benachbarten Ländern, ob nun die Grenze
von Gaza mit Ägypten oder das Land entlang dem Jordan zur Isolierung
der Westbank von Jordanien.
A.K.: Ist Israel jetzt verwundbarer?
Achcar: Diese Frage bezieht sich auf ein von jüdischen Kritikern des
Zionismus lange vorgebrachtes Argument. Weit davon entfernt, das
Sanktuarium (Schutzort) für die Juden der Welt zu werden, was die
Zionisten versprachen, verwandelt sich Israel immer mehr in eine
tödliche Falle für seine jüdischen Einwohner. Die alte Warnung
antizionistischer Juden wird immer relevanter wegen der Evolution
zerstörerischer Techniken und Waffen. Israel setzt seine eigene
Bevölkerung riesigen Gefahren aus. Israels unbarmherzige, barbarische
Weise im Umgang mit den Palästinensern und den Libanesen, nährt Haß
gegen sich in der ganzen Region. Das wird sicher viele Menschen dazu
bringen, den Israelis den schmerzhaftesten Schaden zufügen zu wollen,
der möglich ist, und mit dem verglichen die Katyusha-Raketen von
Hizbollah ziemlich gütig aussehen könnten. Es bedarf ungefähr 50
Raketen von Hizbollah, um durchschnittlich einen Israeli in der
laufenden Konfrontation zu töten. Aber was ist, wenn Geräte gemacht
werden könnten, um Israel Massenvernichtung zuzufügen? Das ist es, was
Israel gegen sich selbst anstachelt. Zawahiri, Stellvertreter Bin
Ladens, gab eine Erklärung ab, die Schläge gegen Israel verlangt, als
ob er Hizbollah überbieten wollte. Israel fügt jetzt einen
schrecklichen Albtraum den Libanesen zu, es hat einen dauerhaften
Albtraum den Palästinensern zugefügt, aber es bereitet auch einen
entsetzlichen Albtraum für sein eigenes Volk vor.
A.K.: Wie sind die Aussichten für den Aufbau einer neuen arabischen
sozialistischen Linken? Was können Sozialisten und Antiimperialisten
tun?
Achcar: In der heutigen Arabischen Welt ist der Raum für den Aufbau
einer sozialistischen Linken ziemlich marginal, die Linke ist
ideologisch isoliert. Dennoch sollte es eine permanente Anstrengung für
den Wiederaufbau einer sozialistischen Linken geben, und das kann nicht
am Schwanzende des islamischen Fundamentalismus getan werden.
Linksaktivisten sollten den Fundamentalisten nicht allein das Terrain
des Kampfs gegen Imperialismus und den zionistischen Staat in Besitz
nehmen lassen, wie einige Abteilungen von ihnen neigen zu tun, aber es
ist klar, daß die Linke es mit den religiösen Kräften in dieser
Beziehung nicht bald wird aufnehmen können. Auf vielen anderen Gebieten
jedoch sind die Fundamentalisten keine Mitbewerber - wenn sie dort
nicht gar Feinde sind: im Kampf für die Rechte und Interessen von
Arbeitern und Bauern, für die Rechte der Arbeitslosen, für
Frauenrechte, im Kampf gegen die sexuelle Unterdrückung, für den
Säkularismus, für die Freiheit des Gewissens und für die Freiheit von
religiöser Herrschaft im gesellschaftlichen Leben usw. Dies sind
Probleme, um die die Linke in der arabischen Welt intensiv kämpfen
sollte - aber sie sollte es tun ohne anzunehmen, einen Durchbruch in
der nahen Zukunft erreichen zu können, sonst wird sie schnell
demoralisiert sein. Dem Aufbau einer neuen sozialistischen Linken in
der arabischen Welt kann durch die internationale Linke geholfen
werden. Wenn auch Lateinamerika ganz weit weg ist, die linke Wende dort
ist anregend. Aber der Haupteinfluß auf die Entwicklung einer
sozialistischen Kraft im Mittleren Osten wird aus Europa kommen, wo es
einen bedeutende sozialistische Linke gibt. Die Antikriegsbewegung in
den westlichen Ländern war sehr wichtig im Unterrichten der arabischen
Öffentlichkeit, daß es nicht ein Konflikt von Zivilisationen oder
Religionen ist, sondern ein imperialistischer Kriegskurs, der
kapitalistischen Interessen dient und als solcher von den sozialen
Bewegungen im Westen bekämpft wird. Der Fortschritt der sozialen
Bewegung in Europa kann nur vorteilhafte Wirkungen im Mittleren Osten
haben. Deshalb ist es auch für die europäische sozialistische Linke
entscheidend, in der vordersten Reihe des Kampfs gegen Islamophobie zu
stehen, so die islamische fundamentalistische Propaganda untergrabend,
die durch ebendiese Islamophobie genährt wird.
* GILBERT ACHCAR wuchs im Libanon auf, bevor er nach Frankreich
ging, wo er Politische Wissenschaften an der Universität Paris-VIII
unterrichtet. Unter seinen neusten Arbeiten sind "Östlicher
Hexenkessel" (2004) und "Der Konflikt der Barbarismen" (2. Aufl. 2006);
ein Buch seiner Dialoge mit Noam Chomsky über den Mittleren Osten,
Gefährliche Macht, steht vor der Herausgabe bei Paradigm Publishers
Gilbert Achcar wurde von Andrew Kennedy am 1. August für die
September-Ausgabe des Socialist Outlook interviewt.
ZNet | Mideast, 4. August 2006
Für uns ins Deutsche übersetzt von Klaus D. Fischer