junge Welt vom 01.11.2003
 
Wochenendbeilage

In die Irre geführt

Offener Brief von Norman Paech an Micha Brumlik

 
* Prof. Dr. Micha Brumlik, Direktor des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt/Main, erreichte durch seine Angriffe auf das Buch »Nach dem Terror« von Ted Honderich, daß der Suhrkamo-Verlag das bereits im Handel befindliche Buch zurückgezogen hat. Der Melzer-Verlag wird Ted Honderichs Buch demnächst erneut herausgeben.

Prof. Norman Paech lehrt in Hamburg Völkerrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik

Sehr geehrter Kollege Brumlik,

der Anlaß, deswegen ich Ihnen schreibe, liegt schon etwas zurück. Aber es hat einige Zeit und Mühe gekostet, mir das Buch zu besorgen, welches der Suhrkamp-Verlag auf Grund Ihrer Intervention vom Markt genommen hat. Inzwischen habe ich es gelesen und möchte es nicht wieder weglegen, ohne ihren Vorwurf des Antisemitismus noch einmal aufzugreifen. Denn dieser hat sich allmählich wie ein Virus in die Palästina-Debatte eingenistet, der jede kritische Auseinandersetzung mit dem, was sich in Palästina und Israel inzwischen zur Katastrophe entwickelt hat, deformiert und zersetzt. Mit der Indizierung des Buches von Ted Honderich erlebt der Vorwurf nun einen seltsamen Exzeß.

Ich habe mit fortschreitender Lektüre von »Nach dem Terror« immer mehr Zweifel bekommen, ob Sie das Buch überhaupt ganz gelesen haben. Die sofort applaudierenden Medien – offenbar nicht minder ahnungslos und unbelesen – und die Reaktion des Suhrkamp-Verlages haben Ihnen aber hoffentlich die weitere Lektüre nicht als überflüssig erscheinen lassen.

Zentraler Fixpunkt Ihres ja nur aus drei Zitaten bestehenden Angriffs auf Honderichs Buch ist sein Fazit kurz vor Schluß auf Seite 236: »Ich für meinen Teil habe keinen ernsthaften Zweifel, ... daß die Palästinenser mit ihrem Terrorismus gegen die Israelis ein moralisches Recht ausgeübt haben.« Ein Satz in der Tat von erheblicher Problematik. Doch bekommt er seinen genauen Stellenwert im Buch erst durch den folgenden Satz, den Sie nicht zitieren: »Sie hatten ein moralisches Recht, das dem moralischen Recht etwa der afrikanischen Menschen in Südafrika gegenüber ihren weißen Sklavenhaltern und dem Apartheidstaat in nichts nachsteht.« Sie werden Honderich doch nicht auch noch Rassismus vorwerfen wollen. Oder stört sie der Vergleich von Israel mit dem Apartheidstaat? Dann sollten Sie sich an die enge Zusammenarbeit beider Staaten nicht nur bei der Entwicklung ihrer Nuklearkapazitäten, sondern auch bei Konzepten zur Eindämmung ihrer schwarzen bzw. arabischen Bevölkerung erinnern.

Auf Seite 160 wird der Satz bereits vorbereitet durch die Feststellung: »Unsere Definition des Terrorismus behält sich die Möglichkeit vor, daß so mancher Terrorismus als eine Reaktion auf das, was andere strukturelle Gewalt nennen, gerechtfertigt werden könnte.« Als Beispiele nennt Honderich den »Terrorismus, der zur Gründung Israels führte, zum neuen Südafrika nach der Apartheid, zu einer Gesellschaft, die fairer mit den Katholiken in Nordirland umgeht, und, um weiter zurückzuschauen, zu den Vereinigten Staaten selbst...«

Es geht in diesem Buch überhaupt nicht um Juden, Israelis oder Palästinenser, sondern allein um Terrorismus in allen seinen Varianten: von den Selbstmordattentaten, Sprengstoffanschlägen bis zum Staatsterrorismus. Der Terror in Palästina wird lediglich als Beispiel herangezogen. So z.B. auf Seite 158, wenn Honderich seine Definition des Terrorismus erläutert: »Sie läßt die Möglichkeit offen, daß es etwa eine Rechtfertigung für den besonderen Terrorismus gab, der zur Existenz des Staates Israel führte.« An dieser Passage haben Sie keinen Anstoß genommen. In dieser Weise hatte bereits Yitzak Schamir 1991 argumentiert, als er unter Anspielung auf die eigenen Kämpfe vor der Gründung des Staates Israels den Terrorismus als »ein Mittel des Kampfes, das unter bestimmten Bedingungen akzeptabel ist«, verteidigte: »Der bewaffnete Kampf ist im allgemeinen nicht gerechtfertigt, außer er dient politischen, nationalen oder sozialen Zielen ... wenn diese Ziele und Mittel, um sie zu erreichen, gerecht sind, dann ist auch der bewaffnete Kampf gerecht.« (FR v. 7. 9. 1991) Er mag dabei an den 22. Juli 1946 gedacht haben, als die von seinem Amtsvorgänger Menachim Begin befehligte Widerstandsbewegung Etzel den Südflügel des Luxushotels »King David« in Jerusalem, in dem das Hauptquartier der britischen Mandatsverwaltung untergebracht worden war, in die Luft sprengte und 91 Menschen tötete.

Honderich spricht also von der Rechtfertigung jüdischen wie palästinensischen Terrors, was Ihnen offensichtlich entgangen ist. Diese Rechtfertigung ist allerdings nach juristischen Kriterien genauso inakzeptabel wie die jedes anderen Terrors, mag er auch aus bestimmten Gründen politisch verständlich sein. Das Völkerrecht - in diesen Fragen der einzige Maßstab mit universaler Gültigkeit – liefert zumindest in der Beurteilung des Terrors eine relativ sichere Basis: danach ist er in allen seinen hier zur Diskussion stehenden Varianten verbrecherisch und nicht zu legitimieren. Dies gilt auch für den von Honderich ganz allgemein legitimierten »Befreiungsterrorismus, also einen Terrorismus, der um der Freiheit und der Macht eines Volkes willen betrieben wird, und zwar dann, wenn klar ist, daß nichts anderes ihm diese Freiheit und Macht verschaffen wird.«(S. 236).

Obwohl Honderich den »Terrorismus für Humanität« rundheraus ablehnt, da es »in unserer heutigen Welt keine vernünftige Hoffnung für den Terrorismus im Namen der Menschlichkeit« gibt, rächt sich hier seine begriffliche Unschärfe, indem er zwei so unterschiedliche Kategorien wie Moral und Recht im »moralischen Recht« aufweicht und den völkerrechtlich legalen Befreiungskampf mit dem illegalen Terrorismus zum »Befreiungsterrorismus« koppelt. Und hier liegt das zentrale Problem der Honderich`schen Moralphilosphie. Terror ist niemals zu legitimieren aber er ist streng vom legalen Befreiungskampf zu trennen.

Dieser militärische Befreiungskampf wurde Mitte der siebziger Jahre von der UNO als legitime Form des Widerstandes gegen koloniale und rassistische Unterdrückung anerkannt, ausdrücklich auch der bewaffnete Kampf der PLO. Davon war jedoch jede Form des Terrors, d.h. der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und zivile Einrichtungen ausgeschlossen. Der unglückliche Begriff des »Befreiungsterrorismus« transportiert den gleichen Widerspruch wie das »moralische Recht«. Was als Befreiungskampf (der Palästinenser, Angolaner, Moçambiquaner, Südafrikaner, der Saharouis oder Kurden etc.) Recht ist, bedarf kaum einer partikularen moralischen Rechtfertigung und wird einer wahrhaft universalistischen Moralkonzeption, so es sie gibt, entsprechen. Was aber als Terrorismus rechtlich ein Verbrechen ist, kann m. E. auch moralisch nicht gerechtfertigt werden. Auf dem Gebiet von Krieg und Frieden geht heute jeder Widerspruch zwischen Moral und Recht zu Lasten der Moral. Allenfalls kann man darüber streiten, ob ein bewaffneter Kampf als Befreiungskampf anerkannt werden kann – in jedem Fall aber ist ein Angriff auf zivile Einrichtungen und Zivilisten verboten. Dies galt für Juden vor Gründung des Staates Israel, bei denen Honderich wohl an der Seite Begins und Schamirs gestanden hat, wie er in einem Interview bekennt, wie später für Israelis nach 1948 und die Palästinenser gleichfalls. Deren Recht zum gewaltsamen Widerstand darf sich nach internationalem Recht nur gegen militärische Einrichtungen und Personal richten. Dazu gehören offensichtlich auch die jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten, die von dem Obersten Gericht in Jerusalem schon Ende der siebziger Jahre als temporäre militärische Außenposten definiert worden sind.

Das alles hat aber überhaupt nichts mit Antisemitismus zu tun und bedarf dringend der offenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Dies gilt auch für die Daten und Fakten, die Honderich auf S. 48-53 über jüdische Siedlungsgeschichte und den gegenseitigen arabisch-israelischen Terror mitteilt und in keiner Weise für Israel sprechen. Sie sind aber kaum anfechtbar. Gegen Ende des Abschnitts (S. 53) rührt er wieder an das Tabu: »So wie die Dinge liegen, wurde der Zionismus zu Recht von den Vereinten Nationen als rassistisch verurteilt.« Ein Satz, den Sie ebenfalls als Beleg für Antisemitismus zitieren. Andere stoßen sich an dem vorangehenden Satz: »Als Hauptopfer von Rassismus in der Geschichte scheinen die Juden nun von ihren Peinigern gelernt zu haben«. Sätze, deren letzter sich für uns angesichts der Anspielung auf den deutschen Genozid und der Weckung falscher Assoziationen verbieten mag. Sätze jedoch, deren Aussage auf Grund der permanenten Verurteilungen Israels wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen durch die UNO und der rassistischen Ausgrenzung der Palästinenser beiderseits der grünen Linie vor allem auch Wahrheiten benennt, die nicht mit einem Denkverbot belegt werden dürfen, wie Sie es tun.

Einige Tage nach der Zionismus-Resolution der UNO vom November 1975 schrieb die New York Times: »Der schmerzvolle Punkt bei der UNO-Resolution über die Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus ist, daß sie ein Element der Wahrheit für sich hat.« Das ist es, was Benjamin Beit-Hallahmi 1992, zwei Jahre vor der Rücknahme der Resolution durch die UNO, in seinen »Reflexionen über die Geschichte des Zionismus und Israel« im Grunde bestätigte: »Die zionistischen Siedler fühlten sich als Herren in der neuen alten Welt... Sie waren eine winzige Minderheit in Palästina, wie eine Diaspora; aber ungleich der Diaspora-Situation war hier die Mehrheitsbevölkerung nicht dominant... Bevor die jüdischen Siedler nach Palästina kamen, waren sie in Europa Außenseiter gewesen. Hier waren sie Europäer und Herren, die die technologische Überlegenheit über die Eingeborenen genossen, die schwach, passiv und arm waren.« Sendungsbewußtsein, Siedlungsaktivitäten und Staatsgründung führten zwangsläufig zu den Widersprüchen, die laut Maxime Rodinson Rassismus und Krieg hervorbringen mußten: »Der Wunsch, einen rein jüdischen oder vorwiegend jüdischen Staat in einem arabischen Palästina im zwanzigsten Jahrhundert zu schaffen, konnte zu nichts anderem als zu einer kolonial-typischen Situation und der ... Entwicklung eines rassistischen Bewußtseins und in letzter Konsequenz zu einer militärischen Konfrontation führen.«

Rodinson sagt zwar nicht, daß der Zionismus eine Form des Rassismus sei, aber er sagt, daß er ihn notwendig hervorbringe – und damit steht er im Urteil über die israelische Gesellschaft wahrlich nicht auf Seiten von Neonazis. Er befördert damit auch kein antisemitisches Ressentiment, denn dieses bedarf bekanntlich keiner wissenschaftlichen Quellen. Die Indizierung derartiger Aussagen mit dem Vorwurf des Antisemitismus erzeugt jedoch ein Denkverbot, welches die Verknüpfung der israelischen Staatsideologie mit Rassismus und Gewalt indiskutabel als denkunmöglich tabuisiert und undiskutierbar macht und letztlich nur die Politik der gegenwärtigen Regierung Israels immunisiert. Diejenigen jedoch, »die dieses Tabu mißbrauchen, um Israels rassistische und genozidale Politik gegenüber Palästinensern zu unterstützen, tun nichts anderes, als die Erinnerung an jene jüdischen Opfer zu schänden, deren Tod aus humanistischer Perspektive nur insofern Sinn hat, als er eine ewige Warnung an die Menschheit ist vor aller Diskriminierung, Rassismus und Genozid.« Letzterer Satz wird Ihnen wiederum als ein Beweis für den überall grassierenden und vor allem den linken Antisemitismus gelten. Er stammt jedoch von Ran HaCohen von der Universität Tel Aviv, Literaturkritiker der Zeitung Yedioth Ahronoth.

Ich frage mich, was Sie dazu bewogen hat, mit dem Hammer dreinzuschlagen. Stört Sie vielleicht seine unverblümte und bei uns ebenfalls tabuisierte Ansicht, daß sich neben Milosevic, Reagan und Thatcher auch Ariel Sharon vor einem echten Gerichtshof für Verbrechen gegen die Menschlichkeit einfinden müßte? (S.198) Sie beschneiden eine wissenschaftliche Diskussion, die angesichts des weltweiten Ausgreifens des Terrorismus kontrovers und deshalb ohne Tabus geführt werden muß. Ist Ihnen einmal der Gedanke gekommen, daß eine derart exekutivische Gedankenzensur dem Antisemitismus, der in unserer Gesellschaft ja unleugbar besteht, neuen Auftrieb geben könnte? Ihre Intervention führt in die Irre und ist zutiefst antiaufklärerisch. Ich begrüße es deshalb, dass ein anderer Verlag eine neue Übersetzung und Veröffentlichung des Buches vorbereitet, um diese für eine demokratische Wissenschaftskultur unerträgliche Situation zu beenden.

Angesichts der großen öffentlichen Bedeutung dieser Diskussion behandele ich dieses Schreiben als offenen Brief.

Mit freundlichen Grüßen

Norman Paech

Hamburg, d. 29. Oktober 2003

 

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Ausdruck erstellt am 01.11.2003 um 01:11:01 Uhr

 
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