[home] |
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag zum
geplanten Bundeswehreinsatz im Libanon
- Bundeswehreinsatz kategorisch abgelehnt
- Deutschland ist nicht neutral
- Argumente sind latent rassistisch
- Aufbauhilfe statt Militäreinsatz
- Resolution 1701 verlangt umfassende Nahost-Lösung
- Neuorientierung der deutschen Nahostpolitik nötig
Kassel, 16. August 2006 - Zu den Auseinandersetzungen um eine deutsche
Beteiligung an einer UN-Militärmission im Libanon und zu den weiteren
Aktionen der Friedensbewegung gab der Sprecher des Bundesausschusses
Friedensratschlag folgende Erklärung ab:
Der Bundesausschuss Friedensratschlag lehnt einen Bundeswehreinsatz im
Nahen Osten kategorisch ab. Die Diskussion, die in der
Regierungskoalition und zwischen den Oppositionsparteien FDP und Grünen
geführt wird, geht haarscharf an den wirklichen Problemen vorbei.
Die UN-Mission verlangt Soldaten. Polizeikräfte (etwa die
Bundespolizei), die Berlin ins Gespräch brachte, sind in der
aufzustellenden Blauhelmtruppe nicht vorgesehen. Alles andere, nur
keine Soldaten in den Nahen Osten zu schicken, bedeutet dabei sein zu
wollen, ohne wirklich dabei zu sein. Deutschland als omnipräsente
Weltmacht!?
Das häufig vorgebrachte Argument (gegen einen Bundeswehreinsatz),
deutsche Soldaten dürften unter keinen Umständen in eine Lage gebracht
werden, dass sie evtl. auf israelische Soldaten schießen müssten, ist
aus mehreren Gründen aufschlussreich:
Erstens ist es ein unfreiwilliges Eingeständnis der mangelnden
Neutralität Deutschlands im Nahostkonflikt. Solange Berlin einseitig
die Position Israels und damit auch der USA einnimmt, kann es weder
Vermittler, "Makler" oder neutraler Akteur in einer multinationalen
Blauhelmtruppe an einem so neuralgischen Punkt sein. Niemand käme z.B.
auf die Idee, US-Truppen für einen solchen Job anzufordern.
Zweitens versteckt sich hinter dem Argument ein latenter Rassismus. Im
Umkehrschluss heißt es doch nicht anders als: Auf alles andere, auf
islamische Hisbollah-Kämpfer, auf libanesische Soldaten, auf
Hamas-"Terroristen", auf irgendwelche anderen "Araber" kann sehr wohl
geschossen werden, nur Israelis sind "Tabu". Das ist eine nur sehr
unvollständige Konsequenz aus der deutschen Geschichte. Aus der
unheilvollen deutschen Geschichte der millionenfachen Judenvernichtung
und der Behandlung anderer, insbesondere slawischer Völker als
"Untermenschen" gibt es als wichtigste Lehre zu ziehen: Deutschland
darf Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft, Religion usw. nie
wieder als mehr oder weniger "minderwertig" klassifizieren. Deutschland
muss das Lebensrecht aller Menschen gleich hoch bewerten. Die
Menschenrechte, wie sie in der Allgemeinen
Menschenrechtserklärung 1948 und in den beiden
Menschenrechtskonventionen ("Sozialpakt" und "Zivilpakt", 1967)
verankert wurden, haben universelle Gültigkeit.
Drittens wird in Berlin so getan, als könne man dem zerstörten Libanon
(allein die materiellen Kriegsschäden gehen in die Milliarden) nun vor
allem mit deutschen Soldaten helfen. Nein, die Mittel, die von einer
evtl. Bundeswehrmission in Anspruch genommen würden, sind viel besser
in konkreter ziviler Aufbauhilfe aufgehoben. Gerade weil die deutsche
Bundesregierung nichts, aber auch gar nichts unternommen hat, um Israel
vom Libanonfeldzug abzuhalten, ist sie moralisch und politisch in der
Pflicht, wenigstens jetzt dem zerstörten Land zu helfen.
Die Umsetzung der UN-Resolution 1701 (2006) verlangt von den
teilnehmenden Blauhelmtruppen zur Sicherung der
israelisch-libanesischen Grenze (der sog. "Blauen Linie") strikte
Neutralität. Die libanesische Armee, die nun in den Südlibanon
einzieht, wird zum Teil aus eingegliederten Kräften der Hisbollah
bestehen (anders wird es keine funktionierende libanesische Armee
geben). Mit ihr gilt es zusammenzuarbeiten; das wiederum setzt
Neutralität voraus. Eine solche Neutralität ist im Fall der Bundeswehr
nicht gegeben. Außenminisetr Steinmeier hat soeben mit der Absage
seines Syrienbesuchs deutlich gemacht, dass Deutschland im
Nahostkonflikt eindeutig auf der Seite Israels und der USA steht.
Nun wird man davon ausgehen können, dass andere Nationen, die sich an
der Blauhelmtruppe beteiligen wollen (Italien, Frankreich), auch nicht
neutral sind. Es stellt sich ohnehin die Frage, ob eine UN-Truppe, auch
wenn sie - wie die seit 1978 stationierte UNIFIL - von seither 2.000
auf 15.000 Mann aufgestockt wird, im Friedensprozess des Nahen Ostens
hilfreich sein kann. In dem Augenblick, da sich die gegenüber stehenden
Parteien (hier: Israel und Libanon bzw. Hisbollah, dort Israel und die
Palästinenserbehörde bzw. Hamas, dort Israel und Syrien) nicht mehr an
den Waffenstillstand halten und nicht bereit sind in ernsthafte
Verhandlungen miteinander einzutreten, hilft auch die UN-Truppe nicht.
Hier gälte es vielmehr, politisch auf die Parteien einzuwirken, in
einen umfassenden Friedensprozess einzutreten.
Genaus dies verlangt im Grund genommen auch die Resolution 1701. In
Ziffer 18 heißt es unmissverständlich, dass der Waffenstillstand
genutzt werden solle, um einen "umfassenden, gerechten und anhaltenden
Frieden im Nahen Osten" auf der Grundlage aller "relevanten
UN-Resolutionen" herbeizuführen. Aufgeführt werden namentlich die
Resolutionen 242 (1967) und 338 (1973), in denen der Rückzug Israels
aus den besetzten Gebieten auf die Grenzen von 1967 verlangt und ein
Rückkehrrecht der Flüchtlinge anerkannt wird. Und genau hierin liegt
auch der Schlüssel für die Lösung so mancher Probleme im Nahen Osten.
Die Diskussion um eine Beteiligung deutscher Truppen im Libanon führt
in die Irre. Zu diskutieren wäre vielmehr über einen politischen
Beitrag zu einer umfassenden Lösung des israelisch-palästinensischen
Konflikts. Wem es wirklich ernst ist um die Sicherheit Israels, muss
endlich auch die Sicherheitsinteressen der anderen Seite(n) anerkennen.
Dies erfordert von der Bundesregierung eine vollkommene Neuorientierung
ihrer Nahost-Politik.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)