junge Welt, 18.07.2006 / Interview / Seite 2
Norman Paech ist Professor für öffentliches Recht in Hamburg und seit 2005 Mitglied des Bundestages. Er ist außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke. |
Wer trägt die Verantwortung für die Eskalation im Nahen Osten?
Unabhängig davon, wer den ersten Toten verursacht hat – die Situation ist so eskaliert, daß es jetzt zur Explosion kam. Dahinter steht die Enttäuschung über den Friedensprozeß, der keine Perspektiven mehr offen ließ. Von israelischer Seite kommen dazu der Mauerbau, der weitere Ausbau von Siedlungen sowie der Olmert-Plan, der nichts anderes als ein Annexionsplan ist. Zu berücksichtigen ist auch die Reaktion des Westens auf die palästinensischen Wahlen, die allgemein demokratisch waren. Dieser Komplex von Ursachen, verbunden mit der unhaltbaren Situation im Gazastreifen, dessen Bewohner wie in einem Freiluftgefängnis leben, mußte zur Explosion kommen.Sind die Luftangriffe auf den Libanon eine Kurzschlußreaktion Israels oder steckt dahinter eine langfristige Strategie?
Zweifelsohne ist das eine kontrollierte Aktion und nicht irgendeine Verzweiflungstat. Das hat auch nichts mit einem Selbstverteidigungsrecht zu tun, sondern geht weit darüber hinaus. Es hat den Anschein, daß Israel versucht, die militärische Lösung des Problems auf die Spitze zu treiben. Deutlich wird dabei, daß es sich nicht einfach um ein Problem zwischen Israelis und Palästinensern, sondern um eines der gesamten Region handelt.Droht jetzt ein Flächenbrand im Nahen Osten?
Ich halte alles für möglich. Die israelische Regierung will offensichtlich bis zum äußersten gehen. Es liegt jetzt in den Händen der G 8, nicht nur Resolutionen zu verabschieden, sondern sich einzumischen. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, UN-Truppen in den Libanon zu schicken, die beide Parteien voneinander trennen. Ein solcher Vorschlag wurde auch für Israelis und Palästinenser diskutiert, scheiterte aber bisher immer am israelischen Veto.Sollten sich auch deutsche Soldaten an einer UN-Truppe beteiligen?
Ich bin der Überzeugung, daß sich deutsche Truppen aus einem solchen Konflikt raushalten sollten. Es gibt andere, die einen derartigen Auftrag wirksam erfüllen können.
Die Hamas hat die palästinensischen Parlamentswahlen gewonnen, und die Hisbollah stellt Minister in der libanesischen Regierung. Trägt die EU an der jetzigen Eskalation nicht Mitschuld, indem sie diese beiden demokratisch legitimierten Organisationen auf ihre Antiterrorliste setzte und damit für vogelfrei erklärt hat?
Die Strategie, unliebsame Organisationen, zu denen ja auch die PKK in der Türkei gehört, auf eine Terrorliste zu setzen, um sie dann justitiell behandeln und diskreditieren zu können, ist gerade in diesen Fällen sehr anrüchig. Schließlich betont der Westen immer wieder das Prinzip Demokratie und Wahlen. Doch wenn solche Wahlen dann – wie zu Beginn der 90er Jahre in Algerien – stattgefunden haben, werden die falschen Konsequenzen daraus gezogen, und die Wahlsieger sollen gestürzt werden. Wir haben es hier also mit einer Putschstrategie gegen demokratische Wahlen zu tun, die ich mit für eine Ursache der jetzt eskalierenden Gewalt halte.
Sie haben im Mai im Rahmen einer Linkspartei-Delegation Israel besucht, aber sich nicht mit Vertretern der gewählten palästinensischen Regierung treffen wollen. Ist das nicht eine indirekte Unterstützung dieser Strategie der EU?
Nein. Für uns war es wichtig, alle Parteien zu sprechen. Doch von der deutschen Botschaft wurde uns erklärt, wenn wir jemanden von der palästinensischen Regierung treffen würden, bekämen wir keine Israelis als Gesprächspartner. Und wir wollten unsere Position gerade auch den Israelis deutlich machen. Wenn wir nach Ramallah gekommen wären, hätten wir keinen Bogen um palästinensische Vertreter gemacht. Ich wollte auch in den Gazastreifen, aber das war zu gefährlich, und Abdallah Frangi (der ehemalige PLO-Vertreter in Deutschland) hat mich ausgeladen. Die Linkspartei plant vom 3. bis 5. November eine Palästina-Konferenz mit israelischen und palästinensischen Vertretern sowie mit europäischen und deutschen Wissenschaftlern und Politikern. Wir sind bereits im Kontakt mit der Hamas und werden sicherstellen, daß zwei bis drei ihrer Vertreter an der Konferenz teilnehmen.