aus Guantánamo Bay ASHWIN RAMAN
taz, 11.10.2003
Die Gefangenen erwähnt General James E. Payne III mit keinem Wort. "Seien Sie herzlich eingeladen, die Geschichte der JTF zu erzählen. Sie werden sehen, wie unsere Soldaten und Zivilisten ihren Beitrag im Kampf gegen den Terrorismus leisten", heißt es in der Einladung des hohen Offiziers der Joint Task Force (JTF). Und: "Genießen Sie die Tage bei uns in der Karibik."
Die fünf Kilometer breite Bucht von Guantánamo an der südöstlichen Spitze Kubas teilt den dortigen US-Militärstützpunkt in zwei Hälften. Die Landebahn befindet sich auf der westlichen Seite. Besucher werden hier in Häusern direkt am Meer untergebracht. Die Zimmer sind klimatisiert, ausgestattet mit TV und Telefon, jedoch mit dem Hinweis, dass jedes Gespräch abgehört werde. Während man sich auf der westlichen Seite noch relativ frei bewegen kann, ist, sobald einen die Leute vom Pressestab für die Fahrt auf die andere Seite abholen, Schluss damit - dort liegt das Camp Delta.
Isoliert, ohne Anklage und rechtlichen Beistand leben hier seit fast zwei Jahren über 600 Gefangene aus dem Afghanistankrieg. Und allem Anschein nach handelt es sich bei ihnen außer einem halben Dutzend Al-Qaida- und Taliban-Führern mehrheitlich um einfache Soldaten der Taliban, die nach dem Krieg von skrupellosen afghanischen Warlords als Terroristen an die Amerikaner verkauft wurden. Der Status von Kriegsgefangenen wird ihnen verwehrt. Die Regierung in Washington konstruierte einen eigenen Rechtsstandpunkt: Die USA befänden sich im Dauerkriegszustand gegen den Terrorismus, demzufolge gehörten Terroristen bis zur Beendigung dieses Krieges weggesperrt.
Zwar werden die Männer in Guantánamo Bay nicht mehr, wie noch vor gut einem Jahr, in Drahtkäfigen gehalten; das Camp X-Ray wurde geschlossen, vor zehn Monaten wurde Camp Delta mit festen Stahlmauern und Toiletten eingeweiht. Aber nach wie vor dringen kaum Informationen über das Leben der Gefangenen an die Öffentlichkeit, abgesehen davon, dass sich bald die ersten sechs Häftlinge vor einem Militärtribunal verantworten sollen. Wann genau, weiß keiner (zur Rechtslage siehe Kasten auf Seite 5). Aber noch in diesem Jahr soll der Gerichtssaal auf dem US-Stützpunkt bezugsfertig sein.
Die begleitenden Presseoffiziere sind allesamt Reservisten, die von ihren Arbeitgebern daheim freigestellt wurden, um ihren Anteil am "Kampf gegen den Terrorismus" zu leisten. Sie sind freundlich, aber dezidiert. Ab jetzt ist ständig einer in der Nähe, nur auf der Toilette ist man allein. Die Fahrt mit der Fähre auf die östliche Seite dauert 25 Minuten. Am Ufer warten bereits ein Bus mit weiteren "Begleitern" und jede Menge kalt gestellter Mineralwasserflaschen Marke Paradise. Es ist 40 Grad .
Dieser Teil von Guantánamo Bay ist mit seinen McDonalds-, Kentucky-Fried-Chicken- und den Souvenirläden, die Sweatshirts, Käppis, Trinkbecher oder Taschen mit dem Guantánamo-Bay-Signet verkaufen, wie jede andere Kleinstadt in den USA. Drei Kilometer südlich ändert sich die Landschaft: Alle 500 Meter gibt es jetzt Straßensperren und Ausweiskontrollpunkte. Auch die Identität des Begleitpersonals wird überprüft, obwohl sich alle gut kennen.
Ab sofort ist Filmen und Fotografieren verboten. Die "Betreuer" deuten flüsternd an, dass wir uns nun dem Camp Delta nähern, wo die "illegalen Kombattanten" untergebracht sind. Kurz darauf tauchen Wachtürme und kilometerlange Stacheldrahtzäune auf, die mit grünen Planen abgedeckt sind, damit man von der Straße nicht hinein- und von drinnen nicht herausschauen kann. Camp Delta wurde mit Absicht direkt am Meer eingerichtet, um etwaige Fluchtversuche zu vereiteln.
Um Camp Delta herum befinden sich weitere Camps, so etwa das Camp America, ein Komplex aus 83 Baracken, die hauptsächlich von der Verwaltung genutzt werden. Camp America beherbergt auch Fitness- und Interneträume sowie einen TV-Saal mit Großleinwand für die Soldaten. Im Camp America North sind die Gefängniswärter und Sicherheitskräfte untergebracht sowie die Seaside Galley, eine Kantine, wo 2.000 Soldaten essen können.
Das Camp Delta selbst ist unterteilt in die Abschnitte 1 bis 4. In Camp 1 sind etwa 150 "bedingt gefährliche" Gefangene untergebracht. Camp 2 und 3 bewohnen rund 340 Häftlinge, die als "gefährlich" eingestuft werden. Camp 4 umfasst um die 160 "ungefährliche" Gefangene, die eine gute Chance haben, in den nächsten Monaten freizukommen. Insgesamt sollen sich etwa 660 Gefangene aus 42 Ländern im Camp Delta befinden. Die Verantwortlichen geben nie eine genaue Zahl bezüglich der Häftlinge an. Aus "Sicherheitsgründen" ist alles hier immer nur "circa", "etwa" oder "ungefähr".
Die Häftlinge in den Camps 1, 2 und 3 tragen orangefarbene Uniformen und leben in Einzelhaft. Ihre Fünf-Quadratmeter-Zellen sind mit einem Stahlbett und Kunststoffmatratze, einem Waschbecken und einer Hocktoilette ausgerüstet. Darüber hinaus erhalten Gefangene Seife, Shampoo, Zahnbürste, Zahnpaste, zwei Handtücher, einen Lappen, einen Becher, Sandalen, zwei Decken, ein Bettlaken, eine Gebetshaube und einen Koran. Auf den Boden jeder Zelle ist ein Pfeil, der in Richtung Mekka zeigt, gemalt. Auch die Entfernung zwischen den Zellen und Mekka ist angezeigt.
Die Häftlinge in Camp 2 und 3 werden dreimal die Woche für jeweils 30 Minuten aus ihren Zellen geholt, um zu duschen und sich zu bewegen. Die Gefangenen im Camp 1 dagegen dürfen jeden Tag duschen und sich bewegen. Insassen der Kategorie 2 und 3 dürfen nur vier Postkarten und zwei Briefe im Monat schreiben, die in Camp 1 Inhaftierten dürfen jeden Tag schreiben. Die Inhalte unterliegen jedoch strenger Zensur, nur Mitteilungen persönlicher Art, etwa: "Mir geht es gut", sind zugelassen (siehe Dokumentation auf Seite 5).
Das im März 2003 eingerichtete Camp 4 ist völlig anders, die Gefangenen haben "Privilegien". Sie sind hier wegen guter Führung und ihrer Kooperationsbereitschaft. Sie tragen weiße Uniformen. Die offizielle Erklärung dafür ist, dass im Islam die Farbe Weiß als ein Symbol der Reinheit gilt. Es gibt Sammelunterkünfte mit sechs bis zwölf Betten, je nach Größe der Zimmer. Jeder Häftling hat ein Schließfach für Schreibwaren und Bücher. Die Gefangenen können gemeinsam an Betontischen im Freien essen. Auch Fußball- und Volleyballplätze hat die Anlage. Und die Häftlinge dürfen Briefe schreiben, wann immer sie wollen. Dreimal am Tag gibt es Mahlzeiten nach islamischem Gesetz, und alle haben Zugang zu einem muslimischen Geistlichen der US-Army [der jüngst wegen Spionageverdachts vom FBI festgenommen wurde; d. Red.].
Unweit von Camp Delta liegt Camp Iguana. Hier sind die "ungefähr" drei minderjährigen Gefangenen untergebracht, in einem Häuschen, das zwei Zimmer hat, mit Blick aufs Meer. Die jugendlichen Gefangenen werden erzogen, sie lernen Englisch und spielen Scrabble. Sie dürfen im Garten Fußball spielen. Ein Erzieher erklärt: "Die Anzahl der Bälle, die wir ans Meer verloren haben, ist mit Sicherheit höher als 29, aber niedriger als 31." Im gleichen Stil heißt es, der jüngste Gefangene sei "um die 14", der älteste "um die 16 Jahre alt".
Vier schwere Eisentore muss passieren, wer ins Camp Delta hineinwill. Einmal drinnen, fühlt man sich wie im Vakuum: blauer Himmel und Stacheldraht überall, schwer bewaffnete Soldaten auf den Wachtürmen. Gefangene sind zunächst nicht zu sehen, man hört sie nur: eine Geräuschkulisse von 30 bis 40 Menschen, die alle gleichzeitig sprechen. In Urdu, Arabisch, Paschtu, Dari und Englisch fallen Wörter wie "Briefe", "Gebet", "Heimat", "Gott", "die Weißen" … Mehr Themen gibt es, abgeschnitten von der Außenwelt, nicht. Die einzige Nachricht, die die Häftlinge jüngst zu hören bekamen, war der Sturz Saddam Husseins. Sie durften an diesem Tag zehn Minuten länger duschen.
Plötzlich befinden sich die Gefangenen nur ein paar Meter entfernt. Mit ihnen zu sprechen ist allerdings nicht gestattet, nicht einmal, Guten Tag zu sagen. Aber den Augenkontakt können die Bewacher nicht kontrollieren. Augen sprechen genauso wie Mimik und Körperhaltung. Bärtige Gesichter strahlen Wut, Hass und Empörung, aber auch Hilflosigkeit und Scham aus.
Einige aus einer Gruppe von 15 Gefangenen nicken mit dem Kopf, geben zu verstehen, dass sie den Reporter als jemanden vom eigenen Subkontinent erkannt haben. Und so werden während der Gebete, während des Rezitierens des Korans, vom Wachpersonal unbemerkt, Botschaften in Urdu an die Familien daheim vermittelt.
Anhand von Beobachtungen im Camp Delta und auf der Grundlage von Gesprächen mit freigelassenen Häftlingen in Afghanistan dürften in Guantánamo Bay neben Gefangenen aus vielen anderen Ländern 158 Saudis, 55 Tschetschenen, 82 Pakistanis, 80 Afghanen, zwölf Europäer und drei Türken inhaftiert sein - überwiegend junge Männer im Alter zwischen 25 und 35 Jahre. Und mit ziemlicher Sicherheit handelt es sich zumindest bei den Afghanen überwiegend um zwangsrekrutierte Soldaten der Taliban, die nach dem Afghanistankrieg von skrupellosen Kriegsfürsten als Terroristen an die US-Militärs verkauft wurden (siehe Artikel unten). Dazu kommen junge Männer aus pakistanischen Koranschulen, die von korrupten Polizisten ebenfalls für Geld an das US-Militär weitergereicht worden sind.
Mullah Khairullah, der Taliban-Gouverneur von Herat, Abdul Salaam Zaeef, der Taliban-Botschafter in Islamabad, Sultan Mohammad, Dad Gul und Abdul Rauf, die Taliban-Kommandeure in Nordafghanistan, sind nach Aussagen inzwischen freigelassener Häftlinge - laut US-Angaben bisher 68 - die einzig bedeutenden Gefangenen im Camp Delta. Ein Freigelassener, der heute wieder in Afghanistan lebt, will gehört haben, wie Abdul Rauf den Wachen gesagt habe: "Die Leute hier sind keine Taliban. Ich bin der richtige Talib."
Oberflächlich betrachtet, sind die Insassen von Camp Delta bei guter Gesundheit. Die Amerikaner erzählen gerne, dass die meisten Häftlinge im Lager sogar zugenommen hätten. Mental sieht es etwas anders aus. Nach Berichten der Lagerführung haben in den vergangenen 18 Monaten 21 Häftlinge insgesamt 32 Selbstmordversuche unternommen. Allein in den ersten drei Monaten des Jahres 2003 wurden 14 Suizidversuche gemeldet.
Angesicht der Tatsache, dass die Häftlinge fast nie Gegenstände in die Hand bekommen, mit denen sie sich Schaden zufügen könnten, sprechen die Zahlen für sich. John Edmondson, Arzt im Lazarett von Camp Delta, räumt ein, dass einige Häftlinge in psychiatrischer Behandlung seien und regelmäßig Beruhigungsmittel und Antidepressiva eingesetzt würden - vor allem bei Häftlingen, die sich aggressiv gegen Wärter und Sicherheitsbeamte verhielten.
Die Wärter pflegen keine Kontakte mit den Gefangenen. Die Namensschilder auf den Uniformen sind überklebt. Nicht einmal eine Begrüßung ist gestattet. Die Soldaten hier sind stolz darauf, dass sie ausgesucht wurden, um diese "gefährlichen Terroristen" zu bewachen. "Honor bound to defend freedom" (aus Ehre verpflichtet, die Freiheit zu verteidigen), das ist hier überall zu lesen. Viele Soldaten begrüßen sich sogar mit diesem Spruch. Auf die Frage, ob es nicht zynisch sei, von Freiheit zu sprechen, solange hier über 600 Menschen hinter Gittern leben, guckt ein Offizier nur verständnislos. Ein anderer sagt: "Freiheit kann man nur verteidigen, wenn solche Elemente da drinnen sitzen."
taz Nr. 7179 vom 11.10.2003, Seite 4-5, 349 TAZ-Bericht ASHWIN RAMAN
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"Sei gegrüßt, Vater. Hast Du inzwischen Informationen darüber, wie ich in Gardez gefangen genommen wurde? Ich fuhr mit meinem Taxi von Kabul nach Khost … [Rest zensiert] … Meine besten Wünsche an Sharif Khan, Wali Rehman und Ingenieur Amin. [Rest zensiert]. Ich habe Sharif, Rehman und Amin vier Briefe aus Kuba geschickt, so um den 14. Juni 2002. Die zwei Briefe, die mir Amin geschrieben hat, als ich im Gefängnis von Kandahar war, habe ich mit nach Kuba genommen. Gott ist barmherzig und wird mir helfen […]. Die Amerikaner sind gute Leute. Sie behandeln mich gut. Bitte betet für mich."
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"Ich habe Euch mehrere Briefe geschrieben, aber nichts von Euch gehört. Ich habe den Eindruck, dass Ihr meine Briefe nicht bekommen habt. Bitte tut alles, was Ihr könnt, um mich freizubekommen."
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"Meine Fahrzeugpapiere sind bei den Amerikanern. Macht Euch keine Sorgen, solche Dinge passieren eben. Was ich hier durchmache, gehört zum Leben. Ich habe mit meinen Händen und Füßen nichts Falsches gemacht. Ich glaube an Gott und akzeptiere seine Wünsche. Ich bin unschuldig."