"Bush's Globalstrategie"
Referat auf der Regionalkonferenz von attac in Stuttgart 29.6.2003
Der Begriff "Globalstrategie" ist wahrscheinlich schon zu viel der Ehre für den derzeitigen US-Präsidenten. Ich glaube nicht dass die Bush-Administration tatsächlich eine klare langfristige Planung für das hat, was sie erreichen wollen. Selbstverständlich gibt es aber handfeste Interessen und auch ein Bündel von Ideen, wie diese durchgesetzt werden könnten. Darüber wird es im folgenden gehen. Auch darum, was daran neu für die US-Außenpolitik ist, wie es tatsächlich um die Stärke der einzig verbliebenden Supermacht bestellt ist und welche weitere Länder und Regionen von den aggressiven Aktivitäten des Bush-Regimes betroffen sind.
Die Schlacht zum Feind tragen
Im Januar 2002 bezeichnete US-Präsident Bush in seiner "State of the Union Address" die "Achse des Bösen" als zentrale Bedrohung für den Weltfrieden. Gegen diese würden die USA künftig mit präventiven - auch militärischen - Maßnahmen vorgehen. Diese Präsidentenrede wurde weltweit als einschneidender Strategiewechsel angesehen.
Im Sommer 2002 sprach er vor den Kadetten der Militärakademie von West Point davon, dass die altbewährten Methoden der Abschreckung und Eindämmung nicht mehr ausreichten, um die Sicherheit der USA und ihrer Alliierten zu garantieren. Wer mit Terroristen und Diktatoren fertig werden wolle, müsse "die Schlacht zum Feind tragen, bevor die Bedrohung ihr schlimmstes Ausmaß erreicht". Daher sollten "alle Amerikaner zum präemptiven (s.u.) Handeln bereit sein, um ihre Freiheit und ihr Leben zu verteidigen".
Die verschiedenen Bekenntnisse zur präventiven Selbstverteidigung firmierten fortan unter der Bezeichnung "Bush-Doktrin" und wurden mit der im September 2002 dem US-Kongress vorgelegten "Nationalen Sicherheitsstrategie" (NSS) zur offiziellen Regierungspolitik.
Kann man aber dabei tatsächlich von einem fundamentalen, gar "revolutionären" Wandel reden? Hatte nicht z.B. die NATO schon unter Clinton - mitten im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien - eine neue Strategie beschlossen, die einiges davon vorwegnahm. "Im Kern nichts Neues" urteilte auch der kriegskritische Oberstleutnant der Bundeswehr, Jürgen Rose. Die "Bush-Doktrin vom Präventivkrieg sei nicht so ‚revolutionär' wie allenthalben suggeriert wird. "Sie gründet auf einer langen Tradition strategischen Denkens in den USA" (1)
Auch Noam Chomsky, der beim Weltsozialforum in Porto Alegre Ende Januar, Bush und seine Leute als "rassistische Nationalisten" die "skrupellos imperialistische Gewalt benutzen", charakterisierte, verweist darauf, dass die Politik der sogenannten "Liberalen" aus der Demokratischen Partei über weite Strecken kaum weniger aggressiv gewesen war.
Das gilt z.B.. auch für die Vorzeigeliberalen um John F. Kennedy. So teilte Kennedys Berater Dean Acheson 1963 der US-amerikanischen "Gesellschaft für Internationales Recht" mit, dass nach Ansicht der Regierung, die USA das Recht hätten, einen Präventivkrieg gegen eine bloße Antastung ihrer Position und Prestiges zu führen. Eine Bedrohung ihrer Existenz wäre dazu nicht unbedingt erforderlich. Seine Wortwahl war Chomsky zufolge dabei sogar noch extremer als die der NSS vom letzten September. Hintergrund damals war die Ausweitung der Terrorkampagne der USA gegen das revolutionäre Kuba gewesen, die auch damals schon den Regimesturz zum Ziel hatte.
Es war zudem Kennedy gewesen, der zu Beginn seiner kurzen Präsidentschaft die Invasion in der Schweinebucht Kubas befohlen hatte und es war ebenfalls Kennedy, der die ersten Truppen nach Vietnam entsandte. (2)
Grand Area Planning - "die Ungleichheit bewahren"
Gehen wir also, bevor wir uns dem Neuen in der Bush-Doktrin widmen, zunächst zu den Konstanten in der US-Außenpolitik.
Deren Kern drückte ein anderer zu den "Tauben" zählender Liberaler unmittelbar nach dem WK II sehr anschaulich aus. George F. Kennan schrieb 1948 in der (damals geheimen) "Policy Planning Study 23" des State Departments, das den Rahmen für die Absicherung der US-amerikanischen Hegemonie nach WK II absteckte:
"Wir verfügen über mehr als 50% des Reichtums der Welt, sind aber nur 6,3% ihrer Bevölkerung. In dieser Situation wird es nicht ausbleiben, daß wir Objekt von Neid und Ressentiments werden. Unsere tatsächliche Aufgabe in der kommenden Periode wird sein, ein Schema von Beziehungen zu erarbeiten, das es uns erlauben wird, diese Position der Ungleichheit zu bewahren. ... Um dies zu tun, werden wir alle Sentimentalität und Tagträumerei ablegen [...] Wir sollten aufhören über so vage und unwirkliche Ziele, wie Menschenrechte und Hebung des Lebensstandards und Demokratisierung [in anderen Ländern J.G.] zu reden. Der Tag ist nicht weit, wenn wir anfangen müssen nach geradlinigen Machtkonzepten zu handeln - je weniger wir dann von idealistischen Slogans behindert werden, um so besser."
Kennan redet hier von "bewahren", wo natürlich ein unerbittlicher Kampf für eine Ausweitung der Verhältnisse gemeint ist, die eine für die weißen Nordamerikaner so angenehme Reichtumsverteilung ja erst ermöglichen und mit "Neid und Ressentiment" der Widerstand der betroffenen Völker dagegen.
Chomsky zitiert das gerne, bevor er loslegt und die Liste der Staaten der "Dritten Welt" durchgeht, die diese Skrupellosigkeit zu spüren bekamen und deren einzige "Sünde" es war, sich dem ungezügelten Zugriff auf ihre Ressourcen zu widersetzen und eine an nationalen Interessen orientierte Politik zu entwickeln. In der Propaganda wurde eine solche Politik dann als Ausdruck sozialistischer, pro-sowjetischer, Orientierung bekämpft.
Bereits während des Zweiten Krieges hatten die Vereinigten Staaten - als neue Hegemonialmacht der kapitalistischen Welt - einen Plan ausgearbeitet, wonach sie die Kontrolle über die strategischen Zentren der Weltwirtschaft gewinnen wollten - ein ehrgeiziges Ziel, dem damals allerdings noch durch die Existenz der sowjetischen Einflusssphäre Grenzen gesetzt waren. Noam Chomsky beschrieb in der Monthly Review vom November 1981 die Formierung der geopolitischen Strategie der USA in jener Periode so:
"Der allgemeine Rahmen, innerhalb dessen sich die außenpolitischen Überlegungen der USA nach dem Zweiten Weltkrieg bewegten, ist am besten beschrieben in den Dokumenten, die während des Krieges von den Strategen des State Departement und dem Rat für Auswärtige Angelegenheiten gefertigt wurden. ...
Sie entwarfen eine Konzeption, die als Grand Area Planning [Großgebietsplanung] bekannt wurde. Die Grand Area wird darin bestimmt als jenes Gebiet, das, in ihren Worten, ‚strategisch notwendig [ist], um die Welt zu kontrollieren'. Die zugrunde liegende geopolitische Analyse versuchte herauszuarbeiten, welche Weltregionen ‚offen' sein müssen - offen für Investitionen, offen für die Rückführung von Profiten. Offen also für die Beherrschung durch die Vereinigten Staaten.
Damit die US-Wirtschaft ohne interne Veränderungen würde prosperieren können ... also ohne Umverteilung von Einkommen oder Macht oder strukturelle Modifikationen, hatte ... das für die strategische Kontrolle über die Welt notwendige Gebiet zumindest die gesamte westliche Hemisphäre, das frühere, jetzt in Auflösung begriffene Britische Empire und den Fernen Osten zu umfassen. Das war das Minimum - das Maximum war das Universum.
Irgendwo zwischen beidem war die Konzeption der Grand Area angesiedelt - und die Aufgabe, sie in Form von Finanzinstitutionen und Finanzplanung zu organisieren. Dies war der Rahmen, der für die gesamte Nachkriegsperiode gültig blieb." (3)
Entscheidend für die gesamte Konzeption der Grand Area war die Kontrolle des Mittleren Ostens. Ein Dokument des Außenministeriums über das "Öl des Mittleren Ostens" von 1945 beschrieb ihn als "enorme Quelle strategischer Macht und als eines der größten zu erringenden materiellen Gewinne der Weltgeschichte."
Um ihren Zugriff darauf zu sichern, stützen die USA seither die Golfmonarchien und brachten 1953 im Iran durch Sturz einer demokratisch gewählten fortschrittlichen Regierung, den Schah an die Macht. Mittels einer ganzen Reihe vielfältiger Interventionen gelang es den USA ihren Anteil an der Ölproduktion der Region zwischen 1940 und 1967 von 10% auf 60% zu erhöhen. (4)
Als der Schah 1979 nach langen Jahren unter vielen Opfern gestürzt worden war, hat ein anderer liberaler Präsident seine Doktrin formuliert: Jimmy Carter, der im letzten Jahr den Friedensnobelpreis erhielt. Nach seiner Doktrin sollten die USA bereit sein, jeder Bedrohung der Vormachtstellung der USA im Mittleren Osten - durch regionale oder auswärtige Mächte -auch unter Einsatz militärischer Gewalt zu begegnen. Die Golfregion mit ihren gewaltigen Öl-Reserven wurde zur unmittelbaren vitalen Interessenssphäre der USA erklärt und das militärische Engagement verstärkt. "Öl sei ein zu wichtiger Rohstoff, als dass er den Arabern überlassen werden könne", so Henry Kissinger kurz und bündig.
Für die Region wurde ein eigener militärischer Stab, das Central Command (CENTCOM) gebildet, das sich mittlerweile zu einer Kommandostruktur entwickelt hat, dass Kriege von Afrika bis Afghanistan führen kann und schließlich auch führte. Wichtigster Verbündeter wurde Israel, nachdem dieses sich mit seinem Sieg im Sechs-Tage-Krieg empfohlen hatte.
Lange Jahre waren die USA allerdings in ihrer Machtentfaltung durch die andere Supermacht stark behindert. Die neue offen aggressive Politik des jetzigen Bush-Regimes, wie z.T. auch ihrer beiden Vorgängerregierungen ist daher vor allem bestimmt durch die ungeheuren neuen Möglichkeiten, die nach dem Zusammenbruch der SU entstanden sind.
Bush senior demonstrierte bereits kurz danach die "Neue Welt Ordnung" mit dem ersten Krieg gegen den Irak. Durch diesen gelang den Vereinigten Staaten endlich das, was seit Carter angestrebt wurde: bei der Sicherung ihrer Vorherrschaft nicht mehr auf Stellvertreter verlassen zu müssen, sondern massiv mit eigenen Truppen vor Ort präsent zu sein.
Die Grundzüge der "Bush-Doktrin" (5)
Nachdem in einem Kraftakt, der mit Demokratie wenig zu tun hatte, George W. Bushs zum Präsidenten gemacht worden war, wurden die sog. "Neokonservativen" zur bestimmenden politischen Kraft in Washington - "Neokonservativ", weil sie sich von den eigentlichen Konservativen u.a. durch ihren Drang nach ungezügeltem, gewaltsamen Interventionismus unterscheiden.
Im Zentrum der Bestrebungen dieser Ultrarechten, in Allianz mit christlichen Fundamentalisten und der (aktuell regierenden) israelischen Rechten nahestehenden Kreisen, steht die Forderung nach einer Verewigung der unangefochtenen Vorherrschaft.
Der Vermeidung des Aufkommens potenzieller Rivalen - genannt werden insbesondere Russland und China, aber auch die EU ist nicht ausgenommen - kommt aus ihrer Sicht entscheidende Bedeutung zu. Es soll in Zukunft auch keiner Koalition großer Mächte möglich sein, eine ebenbürtige Stellung zu erreichen.
In der Konfrontation mit "Amerikas Widersachern", heißt es in dem Papier, "werden wir nicht zögern, alleine zu handeln und notfalls unser Recht auf Selbstverteidigung auch durch einen Erstschlag wahrzunehmen". Staaten, die "nach Macht streben", um mit "den USA rivalisieren zu können", werden gewarnt, daß sie sich einen Krieg mit den USA einhandeln: "Der Präsident hat keinerlei Absicht, irgendeinem Staat zu gestatten, den riesigen Vorsprung aufzuholen, den die USA seit dem Fall der Sowjetunion vor mehr als einem Jahrzehnt errungen haben. (...) Unsere Streitkräfte werden stark genug sein, um potentielle Widersacher davon abzuhalten, eine Militärmacht aufzubauen, mit der sie die Macht der USA zu übertreffen oder mit ihr gleichzuziehen hoffen."
Schon unter Bill Clinton kam dem Erhalt der US-Führungsposition ebenso wie vielen in der NSS beschriebenen operativen Elementen der US-Hegemonialpolitik - Unilateralismus, Sendungsbewusstsein, Interventionismus - eine wichtige Rolle zu. Auch den Eingangs erwähnten Acheson und Kennan war dies nicht fremd. Erstmals wurden aber diese verschiedenen Elemente in einer offiziellen Doktrin zusammengefasst und stellen nun das bisher aggressivste Konzept einer imperialen US-Politik nach Ende des "Kalten Krieges" dar.
Welche konkreten neuen Aufgaben sich in der US-Außenpolitik danach stellen, wurde in ihren Grundzügen bereits 1992 in einer - unter anderem vom jetzigen Vizepräsident Dick Cheney und dem stellv. Verteidigungsminister Paul Wolfowitz - unter dem Namen "Defense Planning Guidance" verfassten Denkschrift dargelegt.
Eine im September 2000 von den führenden Neokonservativen verfasste Studie mit dem Titel "Rebuilding Americas Defenses" unterstrich, dass sich diesem Ziel die gesamte US-Außenpolitik unterzuordnen habe: "Derzeit sieht sich die USA keinem globalen Rivalen ausgesetzt. Die Grand Strategy der USA sollte darauf abzielen, diese vorteilhafte Position so weit wie möglich in die Zukunft zu bewahren und auszuweiten". Die Studie wurde verfasst vom derzeit einflussreichsten Think-Tank der USA, dem 1997 gegründeten "Project for the New American Century". Zu den Mitarbeiter zählt das "Who's who" der "neokonservativen" Rechten des US-Establishments - aktive Politiker wie Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz, Jeb Bush (der Bruder des Präsidenten), Zalmay Khalilzad, Elliott Abrams und Dan Quayle, sowie Intellektuelle, wie Francis Fukuyama und Norman Podhoretz.
Auf Seite 51 dieser Studie befindet sich ein, vor dem Hintergrund der späteren Ereignisse vom 11.9.2001, bemerkenswerten Satz: "Zudem wird der Transformationsprozess, auch wenn er revolutionäre Änderungen mit ich bringt, abseits irgend eines katalysierenden Ereignisses, ähnlich einem neuen Pearl Harbor, wahrscheinlich ein langwieriger sein".(6)
Tatsächlich erhielten die Falken in Washington erst durch die Anschläge vom 11.9. die Chance ihre Ideen umzusetzen. Afghanistan und vor allem Irak sollen nun, wenn es nach ihnen geht, nur die erste Schritte sein.
Proliferation - die neue Gefahr
Propagandistisch wurden die Gefahren durch "Verbreitung von Massenvernichtungswaffen" (Proliferation) ins Zentrum der Bemühungen gestellt.. Dieser "Kampf gegen die Proliferation" wurde auch zentraler Bestandteil der NSS. Neu ist hierbei die nahezu ausschließliche Konzentration auf militärische Mittel zur Abwehr solcher potentieller Gefahren. Andere Möglichkeiten - insbesondere die Rüstungskontrolle - werden als völlig zweitrangig erklärt.
Angeblich hätten die Anschläge des 11. September belegt, dass die traditionellen Ansätze, mit Massenvernichtungsmitteln, Terrororganisationen und Schurkenstaaten umzugehen - Abschreckung, Eindämmung und Rüstungskontrolle - nach dem Kalten Krieg nicht mehr funktionieren würden.
Zusätzlich habe sich die Gefahr seit dem 11. September drastisch erhöht, da, wie Vizepräsident Cheney betont, "alte Sicherheitsdoktrinen" nicht mehr gelten. "Eindämmung ist nicht möglich, wenn Diktatoren Massenvernichtungsmittel erwerben und bereit sind, diese mit Terroristen zu teilen, die beabsichtigen, den Vereinigten Staaten katastrophale Verluste zuzufügen." Der Besitz, ja sogar der bloße Versuch, an Massenvernichtungsmittel zu gelangen, stelle inzwischen, so die US-Regierung, eine nicht mehr tolerierbare Gefahr dar, die zum militärischen Eingreifen berechtige. (7)
Allerdings liefert die US-Regierung keine plausiblen Belege dafür, dass solche Gefahren ernsthaft existieren. Es liegt näher, dass es nicht die Sorge vor Angriffen ist, die die Falken der USA umtreibt, sondern das Problem, dass Länder, die über ein Waffenarsenal verfügen, mit der sie den USA oder ihren Verbündeten - im Falle dass sie angegriffen werden - ernsthaften Schaden zufügen können, natürlich wesentlich schwerer unter Druck zusetzen sind, als wehrlose.
Der "Krieg gegen den Terror" sei ein Krieg gegen alle missliebigen Regime, schrieb auch der britische Guardian, "ein Krieg um die US-Hegemonie zu verstärken. ... Was sie [Irak, Iran, Nordkorea] natürlich gemein haben, ist, dass sie alle lange Zeit sich der US-amerikanischen Macht in ihren Regionen entgegengestellt haben (für 10, 23, 52 Jahre respektive) und sich eines Tages die Waffen verschaffen könnten, deren Besitz die USA ihren Freunden und Vasallen vorbehalten wollen." (8)
Über Bord geworfen wurden vor allem die Bestrebungen, Abrüstung und Non-Proliferation mittels multilateraler Regelungen und globaler Abmachungen zu erreichen. Statt internationaler Kontrollsysteme, die gleichermaßen für alle gelten (wie die von den USA abgelehnten Vorschläge für eine Erweiterung der Biowaffenkonvention), sollen Beschränkungen und Kontrolle nun "zielgerichtet" bei den "States of concern" (der vornehme Ausdruck für "Schurkenstaaten") durchgesetzt werden.
Besorgniserregend ist hierbei, dass die EU-Staaten nicht nur gegen den Irak, sondern nun auch gegen den Iran und Nordkorea dabei sind, sich Letzterem anzuschließen. Auch der Iran soll sich z.B. nun verschärften Kontrollen bzgl. seiner nuklearen Kapazitäten unterwerfen, Kontrollen die sie bei sich selbst ablehnen. Einig sind sie sich mit den USA auch, sich die Möglichkeiten zu verschaffen, Schiffe, mit - ihrer Ansicht nach - verdächtigen Ladungen in internationalen Gewässern aufzubringen. Eine neue Art der Piraterie, von der - so sie dies durchsetzen können - selbstverständlich ebenfalls allein Schiffe aus ganz bestimmten Staaten, wie z.B. Nord-Korea, betroffen sein werden.
"Vorbeugendes Handeln" - Krieg auf Verdacht
Da es außerhalb militärischen Eingreifens keine Möglichkeiten gäbe, Diktatoren und Terroristen von Angriffen auf die USA abzuhalten, sieht sich die US-Regierung dazu befugt, in Zukunft vorbeugend zu handeln. Die NSS fordert deshalb, die "Gefahr zu beseitigen, bevor sie unsere Grenzen erreicht", indem die USA "nicht zögern werden, wenn notwendig auch allein, durch präemptives Handeln ihr Recht auf Selbstverteidigung auszuüben." Mit dem Begriff "Präemptiv" knüpft die neue NSS durchaus an alten Formulierungen an. Als "präemptiv" gilt ein Angriff, wenn er sich gegen zweifelsfrei unmittelbar bevorstehende oder bereits stattfindende Angriffshandlungen richtet. Der Kontext macht aber deutlich, dass sich die USA prinzipiell das Recht zu "präventiven" Angriffshandlungen herausnehmen wollen, d.h. Kriege allein auf Verdacht.
Selbst einem imperialistischen Haudegen, wie Henry Kissinger war es daher angesichts der Tragweite der neuen Doktrin nicht ganz wohl: "Die Ablösung einer fremden Regierung zum Gegenstand militärischer Drohungen und möglicher Interventionen zu machen, stellt das gesamte System des Westfälischen Friedens von 1648 infrage, dessen Grundlage die Nichteinmischung fremder Mächte in die internen Angelegenheiten souveräner Staaten ist. Ebenso steht die Bereitschaft der USA zu ‚gerechtfertigten Präventivschlägen' im völligen Gegensatz zum modernen Völkerrecht. Der Einsatz von Waffengewalt ist ausschließlich zur Selbstverteidigung erlaubt - gegen eine tatsächliche, nicht eine potenzielle Bedrohung." (9)
Zwar nicht explizit in der NSS erwähnt, aber doch nahe liegend ist das beängstigende Szenario, das sich aus einer Verbindung der Bush-Doktrin mit der Nuclear Posture Review (NPR) ergibt. Sie enthält die vom Pentagon erarbeiteten Grundlagen zur künftigen US-Nuklearpolitik. Sie sieht den Einsatz nuklearer Waffen nun auch gegen Gegner vor, die selbst nicht über Atomwaffen verfügen, unter Umständen allein aus dem Grund, dass Ziele auf andere Weise nicht zerstört werden können. Dieser eklatanter Bruch des Non-proliferation-Abkommens wird fraglos andere Staaten nun dazu animieren, sich verstärkt um eigene ABC-Waffen zu bemühen.
Die Besonderheit des Bush-Regimes, die sowohl Johan Galtung als auch Fidel Castro dazu brachten im Hinblick auf die US-Außenpolitik von "Geo-Faschismus" zu reden, liegt in der besonderen Skrupellosigkeit und dem Rechtsnihilismus, mit der die eigenen Interessen verfolgt werden - ohne jegliche Rücksicht, auch nicht auf ihre Verbündete. Dies ist daher kaum noch als Hegemonialpolitik zu bezeichnen, da diese sich in der Regel auf eine - wenn auch ungleiche Partnerschaft - mit möglichst vielen Verbündeten stützt. Was die Falken in Washington anstreben kann eher als totalitäre Herrschaft bezeichnet werden.
USA militärischer Koloss auf tönernen Füßen
Weitsichtige Hegemonialpolitik besteht darin mit den eigenen Kräften zu haushalten und wesentliche Aufgaben und Lasten auf Vasallen zu übertragen. Das Bush-Regime musste den jetzigen Krieg gegen den Irak letztlich mit recht geringer Unterstützung anderer Staaten führen. Ein hoher Einsatz eigener Ressourcen schränkt aber die längerfristigen Möglichkeiten zur Machtentfaltung ein - es droht die Überdehnung der Kräfte, während die Feindschaft derer wächst, deren Interessen auf der Strecke bleiben. Es ist daher kein Wunder, dass nun angesichts des breiten Widerstands der Bevölkerung im Irak gegen die Besatzung, massiv die Forderung laut wird, die zuvor verprellten Verbündeten doch mit einzubeziehen und auch an der Beute zu beteiligen.
Viele Kritiker der US-Politik sehen in der kriegerischen US-Politik ohnehin keinen Ausdruck überlegener Stärke, sondern eher die Aggressivität eines verwundeten Raubtiers.
"Die beschränkten wirtschaftlichen, militärischen und ideologischen Ressourcen lassen den Vereinigten Staaten, wenn sie ihre Rolle als Weltmacht behaupten wollen, keine andere Möglichkeit, als den kleinen Mächten übel mitzuspielen. ... Das wahre Amerika ist so schwach, dass es nur mit militärischen Zwergen eine Konfrontation suchen kann. ... Seine wirtschaftliche Abhängigkeit von der Welt macht auf die eine oder andere Art universelle Präsenz notwendig", schreibt Emmanuel Todd in seinem viel beachteten Buch "Weltmacht USA. Ein Nachruf".(10)
Ein sichtbares Kriterium für die Verwundbarkeit der USA ist ihre exorbitante Verschuldung. Angesichts ihrer Militärausgaben ,die mit 400 Milliarden Dollar jährlich beinahe die kumulierten Militärausgaben aller übrigen Länder der Erde übersteigen, stellt sich jedenfalls die Frage, wie stabil die finanzielle Basis dieses Imperiums ist, das sich fast für allmächtig hält.
Die Kreditaufnahme der Privatwirtschaft stieg zwischen 1964 und 2002 von 53 Milliarden Dollar auf 7,62 Billionen Dollar, was 72 Prozent des jährlichen US-Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Innerhalb der letzten vier Jahrzehnte stiegen die privaten Schulden von 200 Milliarden Dollar 1964 auf 7 200 Milliarden Dollar 2002 (72 Prozent des jährlichen BIP). 1985 lagen sie bei 26 Prozent des Pro-Kopf-Einkommens, Ende 2002 bereits bei 40 Prozent.
Die Einfuhren übersteigen heute den Wert der Ausfuhren um 42 Prozent. Eine Verringerung des Handelsbilanzdefizits scheint angesichts der geringen Wettbewerbsfähigkeit von US-Erzeugnissen auf dem Weltmarkt so gut wie ausgeschlossen. Um das jährlich um 10 Prozent wachsende Leistungsbilanzdefizit auszugleichen, müssen die USA aber bereits heute an jedem Werktag fast 2 Milliarden Dollar (!) im Ausland aufnehmen. (11)
Nur so lange der US-Dollar auf der gesamten Welt als Leitwährung akzeptiert wird, kann die auf Pump angelegte US-Wirtschaftspolitik weiter funktionieren, indem ausländisches Kapital stetig nachfließt und ausländische Güter durch ständiges Drucken von neuen Dollarscheinen billig erstanden werden können. Mit diesem Mechanismus schöpfen die USA seit Jahrzehnten nicht unerhebliche Reichtümer anderer Volkswirtschaften in der Welt ungeniert ab. Mit dem Euro als neuer Weltwährungskonkurrenz ist dieses System ernsthaft bedroht. (12)
Seit Ende des Jahres 2000 berechnete der Irak seine tägliche Ölförderung nicht mehr in Dollar, sondern in Euro. Auch der Iran verkauft nun sein Öl zum größten Teil in Euro. Nordkorea hat seine gesamten Devisen in Euro eingewechselt, so eine dpa-Meldung am 12.11.02. China kündigte bereits im November 2001 an, seine 200 Milliarden Dollar-Devisen-Reserve zu einem großen Teil in Euro umzutauschen. "Wenn diese Beispiele Schule machen - und dies tun sie - ist der American way of life aufs Höchste gefährdet." (13)
Syrien, Iran, Nordkorea - Wer ist als Nächster dran?
Die Ernsthaftigkeit mit der die Ziele der "Bush-Doktrin" umgesetzt werden, haben wir ja mit dem Krieg gegen den Irak sehr drastisch erfahren müssen. Gleichzeitig aber auch die Kurzsichtigkeit ihrer Strategen. Die nächsten Staaten, die gleich im Anschluss mit offenen Drohungen in Visier genommen wurden, waren erwartungsgemäß Syrien und der Iran, sowie Nord-Korea. (14)
Weniger präsent in der Öffentlichkeit ist die Eskalation des Krieges in den Philippinnen im Zuge der Anwendung der neuen Strategie. Auch die Aktivitäten im südlichen Teil des amerikanischen Kontinents dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden.
Akuter Kriegsschauplatz in Amerika ist Kolumbien. Der dort unter dem Deckmantel des Antidrogenkampfs geführte Krieg gegen die linksgerichtete Guerilla dient nicht allein der Sicherung des Einflusses der USA in diesem ölproduzierenden Land. Er richtet sich auch gegen die unbotmäßige Regierung Hugo Chavez Mena in Venezuela und die Entwicklungen in Brasilien und Ecuador. Die USA haben die Andenregion im Zuge dieses Krieges mittlerweile vollständig mit Militärstützpunkten umgeben und massive Truppenkontingente stationiert.
Auch Kuba im Visier (15)
Eine sehr bedrohliche Radikalisierung gab es mit Antritt der Bush-Administration aber auch in der Politik gegen Kuba. Der US-Präsident nannte Kuba im Zusammenhang seines "Feldzuges gegen den Terror" und forderte von Havanna ultimativ Wahlen nach westlichem Muster und eine Privatisierung und Öffnung der Wirtschaft. Mit Hinweis auf das hohe Niveau der biomedizinischen Industrie Kubas, wurden auch erste Vorwürfe laut, Kuba entwickle Biowaffen.
Ich gehe an dieser Stelle etwas ausführlicher darauf ein, da diesem Konflikt in der globalisierungskritischen Bewegung bisher wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde, obwohl er, wie wir sehen werden, gerade für sie besonders interessant sein sollte.
Die Politik der Feindseligkeit und Aggression der USA gegen die kubanische Revolution ist bekanntlich nicht neu. Sie begann im Jahre 1959 und ist mit unterschiedlichen Varianten nacheinander von zehn republikanischen und demokratischen Regierungen der USA umgesetzt worden. Neben der Wirtschafts-, Finanz- und Handelsblockade, gehört dazu auch die Durchführung von Sabotageakten und Terroranschläge. Von den USA organisierte Söldner vernichteten Ernten, zerstörten Industrieeinrichtungen, entführten kubanische Flugzeuge oder sprengten sie in der Luft. Gemäß einer Klage Kubas gegen die US-Regierung wurde durch diese Form internationalen Terrorismus bis Anfang 1999 3.478 kubanischen Bürgern getötet und 2.099 schwer verletzt. (16)
Mit dem Amtsantritt des neuen US-Botschafter in Havanna, James Cason wurden die US-Aktivitäten auch auf der Insel selbst intensiviert. Dieser stellte Regimegegnern die Räume und Infrastruktur der Botschaft zur Verfügung und reiste durch das Land mit dem Ziel die prowestliche Opposition zu einen. Ziel war auch, die Verbündeten vor Ort zu Aktivitäten anzuhalten, die geeignet sind, die Spannungen zwischen den USA und Kuba zu verschärfen, die politischen und ökonomischen Beziehungen Kubas mit anderen Ländern zu stören und die sich anbahnenden Intensivierungen von Geschäftsbeziehungen Dritter mit Kuba zu sabotieren.
In der gleichen Zeit nahm auch aufgrund der "toleranten" Haltung der USA die Zahl terroristischer Aktionen gegen Kuba sprunghaft zu, allein von Januar bis März des Jahres wurden fünf Flugzeuge und Schiffe in die USA entführt. In der westlichen Öffentlichkeit erhielten diese Ereignisse erst größere Aufmerksamkeit, als eine größere Zahl der mit Cason eng zusammenarbeitenden Regimegegner zu langen Haftstrafen verurteilt und wenig später drei Schiffsentführer nach einem kurzen Verfahren hingerichtet wurden. Insbesondere die Hinrichtungen stießen verständlicher Weise auch bei weiten Teilen der Linken auf Kritik. Viele wiesen bei aller Kritik auch auf die schwierige Situation Kubas hin und auf die Tatsache, dass die Todesstrafe in Kuba - im Gegensatz z.B. zu den USA - nur sehr selten angewandt wird. Ungeachtet dessen stellte sich die Europäische Union in dieser Frage hinter die USA und verhängte auf Betreiben Spaniens und Italiens Sanktionen gegen Kuba.
Die Aggression gegen Kuba zielt nicht auf Bodenschätze oder geostrategische Ziele, sondern auf das "schlechte" Beispiel, das die Insel aus Sicht der USA und seinen Verbündeten abgibt. Kuba ist weit davon entfernt, eine perfekte Gesellschaft zu sein, hat aber trotz US-Embargo einen viel höheren Lebensstandard als jedes andere Land südlich der mexikanischen Grenze. Das Gesundheitssystem kann sich mit dem europäischen messen und ist zudem frei zugänglich für alle, ebenso wie das Bildungssystem.
Die vielen sozialen Errungenschaften fußen auf einer Politik, die konträr zu den neoliberalen Grundsätzen ist. Kuba ist so der lebende Beweis, dass - sogar unter widrigen Umständen - eine andere Welt, als die der "neoliberalen Globalisierung", der Diktatur des Kapitals, möglich ist.
Dies sollte - unabhängig von vielfältiger Kritik an den kubanischen Realitäten - eine zusätzliche Motivation sein, sich der von Europa unterstützten US-Interventionspolitik entgegenzustellen.
Was ist zu tun?
Dieser Frage ging u.a. auch Tarik Ali nach. Er kommt zum meines Erachtens richtigen Schluß, dass es vergeblich ist, darauf zu hoffen ,daß die UNO, Euroland, Russland oder China den US-Plänen z.B. im Mittleren Osten wirksame Hindernisse in den Weg stellen werden..
"Wo sollte Widerstand ansetzen? Zuallererst natürlich in der Region selbst." so Ali weiter.
"Mark Twain, geschockt durch den Boxeraufstand in China und die Eroberung der Philippinen initierte 1899 eine Mammutversammlung in Chicago, und gründete dort die American Anti-Imperialist League. Innerhalb von zwei Jahren wuchs deren Mitgliederzahl auf eine halbe Million.
Das World Social Forum hat sich bis jetzt auf die Macht von multinationalen Konzernen und neoliberalen Institutionen konzentriert. Aber deren Fundament gründeten immer auf imperiale. Macht. Folgerichtig war Friedrich von Hayek, der Vordenker des 'Washington Consensus' (17), ein strikter Befürworter von Kriegen, um das neue System zu stützen und setzte sich 1979 für die Bombardierung des Iran ein und 1982 Argentiniens ein. Das World Social Forum sollte diese Herausforderung annehmen. Warum sollte es nicht eine Kampagne starten, zur Schließung aller US-amerikanischen Militärbasen und -einrichtungen im Ausland - das heiß in mehr als hundert Ländern, wo die USA mittlerweile Truppen, Flugzeuge oder Nachschubbasen haben. Die unmittelbare Aufgabe, derer sich eine anti-imperialistische Bewegung gegenübersieht ist die Unterstützung für den irakischen Widerstand gegen die Anglo-Amerikanische Besatzung." (18)