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Wie lange
noch wollen wir die Anwesenheit der US-Truppen schweigend erdulden?
Leserbrief zum RNZ-Themenschwerpunkt "11.9." inkl. Interview mit US-General McKiernan
In ihrer Ausgabe vom 11.9.2006 hatte die Rhein-Neckar-Zeitung Themenseiten zum 5. Jahrestag der Anschläge in New York und Washington. Ihr Bonbon war ein Interview mit dem US-General David McKiernan, das erste das der 4-Sterne-Gerneral einer dt. Zeitung gab, seitdem im Dezember 2005 seinen neuen Posten als Oberbefehlshaber der "United States Army, Europe" USAREUR in Heidelberg angetreten hatte.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die überwiegende Reaktion weltweit auf die schockierenden
Anschläge am 11.9.2001 war tatsächlich Mitgefühl und Solidarität
gewesen. Aber
nicht „Ungewissheit“ folgte, wie es in einer Ihrer Überschriften heißt,
sondern
zwei verheerende Kriege. Der Terror dieser Kriege drängte den Terror
des 11.9.
bald in den Hintergrund, zumindest in der Wahrnehmung der Menschen
außerhalb
Nordamerikas und Europas.
Nicht der 11. September ist der eigentliche Schicksalstag,
der die Welt veränderte, stellte der dänische Friedensforscher Jan
Oberg daher
vor kurzem zu Recht fest, sondern der 7. Oktober 2001 – der Tag an dem
die
Bush-Regierung mit dem Angriff auf Afghanistan den „Krieg gegen den
Terror“ begann.
Die Gunst der Stunde nutzend, setzte sie ihn knapp 18 Monate später mit
dem
Überfall auf den Irak fort. „Sie schuf damit eine Welt, die viel
unstabiler
ist, als zu irgendeiner anderen Zeit seit 1945,“ so Obergs einsichtiges
Resümee.
Krieg und Besatzung im Irak und Afghanistan haben
mittlerweile weit über 200.000 Opfer gefordert, d.h. fast hundert mal
mehr wie
die Terroranschläge in New York. Einer, der dafür maßgeblich
Verantwortung
trägt, ist General David
McKiernan, dem die RNZ mit ihrem Interview
viel Raum in ihrer
Ausgabe einräumte:
McKiernan befehligte die gesamte Landstreitmacht der „Koalition der
Willigen“
beim Einmarsch in den Irak.
Es ist erstaunlich wie konsequent diese Kriege - sowohl im Interview, als auch in den anderen Artikel zum Jahrestag
- ausgeblendet
wurden.
Artig erkundigt sich Micha Hörnle beim ranghöchsten US-Kriegsherrn in
Europa,
ob es ihm in Heidelberg gefalle und ob seine Truppen vielleicht nicht
doch noch
etwas länger bleiben könnten. Nicht gerade eine Glanzstunde des
kritischen
Journalismus gegenüber dem Chef einer Armee, die – kommandiert u.a.
auch aus
Heidelberg – völkerrechtswidrige, d.h. verbrecherische Kriege führt und
denen
zahlreiche Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen bei der Kriegführung
vorgeworfen werden.
Warum wurde der General nicht gefragt, wie er den von ihm
angeführten Krieg heute rechtfertigt, nachdem sich alle Kriegsgründe
als
erstunken und erlogen erwiesen haben und wie die hohe Zahl ziviler
Opfer, die
er forderte? Das wäre interessant gewesen. Oder wie er sich erklärt,
dass sich
nach der gewaltsamen „Befreiung“ des Landes, die Lebensbedingungen in
allen
Bereichen rapide verschlechtert haben?
Was hat er den Vorwürfen so namhafter US-Journalisten, wie
Seymour Hersh, entgegenzusetzen, die USA führe unter dem Namen
„Salvador
Option“ einen schmutzigen Krieg gegen die Besatzungsgegner? Was weiß er
über
die Verbindungen zwischen den von US-Truppen aufgestellten irakischen
paramilitärischen Sonderkommandos und den Todesschwadronen?
Wie steht er zur Kritik, die zunehmend auch ehemals führende
US-Generäle an der Fortsetzung der Besatzung üben und der Überzeugung
dieser
Kritiker, dass die Besatzung nicht zur Überwindung von Chaos und Gewalt
beitragen kann, sondern die Hauptursache dafür ist?
McKiernan wirbt für „enge Partnerschaft“ im „globalen Kampf
gegen Terrorismus.“ Bei aller Unschärfe des Begriffs: müsste angesichts
eindeutiger Fakten nicht auch ihm langsam klar werden, dass Kriege kein
Mittel
gegen das vielschichtige Problem „Terrorismus“ sind, sondern diese es – ganz im Gegenteil – in den letzten fünf
Jahren massiv verschärften, bzw. im Irak erst geschaffen haben?
Wie erhellend McKiernans Antworten gewesen wären, sei dahin
gestellt. Zumindest aber wäre klar geworden, welche Fragen uns
Heidelberger
angesichts der massiven Präsenz kriegführender Truppen in der Stadt
beschäftigen. Denn wir müssen eine andere wichtige Frage beantworten:
Wie lange
noch wollen wir deren Anwesenheit hier schweigend erdulden?
Mit freundlichen Grüßen,
Joachim Guilliard
Heidelberg, 18. September 2006