BERLIN taz Das Mahl wird serviert in gelber Plastiktüte auf ödem Sand, garniert mit Streubombe und Minenfeld. Humanitarian Daily Ration und Food Gift From the People Of The UNITED STATES OF AMERICA steht darauf, und weil der gemeine hungrige Afghane das vielleicht nicht versteht, ist auch noch ein Sternenbanner und das Piktogramm eines essenden Jungen darauf gedruckt. Weiter unten steht in den afghanischen Nationaldialekten Englisch, Spanisch und Französisch, dass es sich bei dem Paket um den "kompletten Nahrungsbedarf für einen Tag" handelt. Das ist sie also, die Nahrung, die von aus dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein aufsteigenden Flugzeugen bis Donnerstag 400.000fach über Afghanistan abgeworfen wurde.
Die tägliche Ration Kriegslegitimation besteht aus englisch beschrifteten Päckchen: 241 g Vegetable Barley Stew, 241 g Peas in Tomato Sauce, 42,5 g Peanut Butter, 28,35 g Strawberry Jam, 2 Vegetable Biscuits, 1 FIG BAR, 1 Shortbread, 2 Fruit Pastry, 1 Plastiklöffel mit langem Stiel, je 1 Tütchen Salz, Pfeffer und Zucker, 1 Päckchen Streichhölzer, 1 Alcohol Free Anti-Microbial Moist Towelette und 1 Serviette.
Ich beginne mit dem Vegetable Biscuit und entscheide mich für Erdnussbutteraufstrich: Die geschmacksfreien Cracker sind ohne Schere unmöglich aus der Packung zu entfernen. Heftiges Reißen am Zellophan zerkrümelt die 10-x-10-cm-Kekse - wie dieses Luftgebäck wohl nach dem Abwurf aus einem Flugzeug aussieht? Die Erdnussbutter lässt sich hingegen leicht öffnen und quillt auf starken Druck hin zäh auf den Keks. Zum Verteilen braucht es den Löffel. Wissen die Afghanen, dass die US-Amerikaner die Erdnussbutter gemeinsam mit der Erdbeermarmelade essen? Wenn nicht, haben sie das gleiche Problem wie ich. Biscuit mit Erdnussbutter allein vermischen sich zu einem fast nicht mehr zu schluckenden krümeligen Kleister. Schon beim dritten Bissen bricht das Biscuit auseinander und fällt mir vor die Füße. Gut, dass keine Erdbeermarmelade drauf ist. Man braucht Wasser, um sich die Krümel aus dem Mund zu spülen. Satt bin ich nicht.
Das erste Hauptgericht lockt: Vegetable Barley Stew. Die Verpackung zeigt: einfach die Tüte aufreißen und den Inhalt mit dem Löffel aufessen. Ich reiße die Tüte auf - leider ist der Löffel noch verschmiert mit Erdnussbutter. Egal: Der Hunger treibts in den Afghanen. In der Tüte ist eine hart gepresste Masse, aus der Gerstenkörner, geronnenes Tomatenpüree und das eine oder andere Maiskorn hervorstechen. Leicht pikant gewürzt. Der Löffel bricht fast beim Versuch, aus dem Barren Stücke herauszubrechen. Kernig in der Konsistenz, würzig im Abgang. Man braucht Wasser, um sich die Krümel aus dem Mund zu spülen. Satt bin ich nicht.
Gleich das zweite Hauptgericht? Nein, erst Nachtisch. Die Fruit Pastry, zwei platt gedrückte Apfeltaschen, sind sehr süß und sehr trocken. Man braucht Wasser, um sich die Krümel aus dem Mund zu spülen. Satt bin ich nicht.
Zwischenmahlzeit, der Fig Bar in braunem Plastik: Feigenpaste ist zwischen zwei Teigscheiben gepresst, die beim Aufreißen der Tüte zerbröseln. Schon der erste Bissen entzieht dem Mund jeglichen Speichel. Unendliche Zeit verweilt die Masse unerbittlich festgeklebt am Gaumen, bis die geballte Ladung süßen Zeugs gelöst und geschluckt werden kann. Man braucht Wasser, um sich die Krümel aus dem Mund zu spülen. Satt bin ich nicht. Irgendetwas drückt.
Das Alcohol Free Anti-Microbial Moist Towelette erweist sich als ungenießbar.
Es ist Zeit für die Peas in Tomato Sauce. Ein kräftiger Hauch von Erasco dringt aus der Tüte, die angekündigten Erbsen sind weiß, die Konsistenz ist pampig, zum Weglöffeln. Pikanter Nachgeschmack. Satt bin ich nicht.
Gierig reiße ich die letzte Packung auf. Das Shortbread, ein ovaler gelbbrauner Keks von etwa zwölf Zentimeter Länge, gehörig schwer und steinhart, riecht nach Mandeln. Mir dämmert die US-Strategie: Wenn vor allem die Taliban die Lebensmitteltüten aufklauben, sollen sie elendig am Zuckerschock zugrunde gehen. Die Erdbeermarmelade ist auch noch da. Widerwillig probiere ich den Mandelkeks. Es zieht mir den Gaumen zusammen, aus meinem Mund staubt es. Man braucht Wasser, um sich die Krümel aus dem Mund zu spülen. Satt bin ich nicht, aber fürchterlich voll. Mir ist unwohl. Ich habe 2.000 Kalorien gegessen.
BERND PICKERT
taz vom 20.10.2001