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US-Armee plant Großangriff auf Falluja und 21 weitere Städte
- Appelle gegen die drohende Gewalteskalation im Irak

Die USA sind entschlossen nach den Präsidentenwahlen die zentralirakische Großstadt Falluja zu stürmen und an seinen widerspenstigen Bewohnern ein Exempel zu statuieren. Sie haben zusätzliche Truppen einfliegen lassen, die zusammen mit den nach Bagdad verlegten Briten zusätzliche US-Truppen für den Angriff freimachen, eigentlich schon abgelöste Einheiten müssen bleiben. Insgesamt haben die USA nun über 10.000 zusätzliche Soldaten im Irak zusammengezogen. "Wir rüsten uns für einen Großeinsatz", sagte Brigadegeneral Denis Hajlik auf einem Militärstützpunkt nahe Falludscha. "Wenn es soweit ist, wird er entscheidend sein, und wir werden sie fertig machen".

Und das wäre nach dem Prolog in Samarra Anfang Oktober (der innerhalb zweier Tage weit über hundert zivile Opfer forderte), erst der Anfang. Die US-Kommandeure hätten 22 Städte im Irak ausgemacht, die vor den landesweiten Wahlen wieder unter die Kontrolle gebracht werden müssen, so gestern die Washington Post.
Es steht somit eine gewaltige Zunahme von Opfern unter der irakischen Bevölkerung zu befürchten, weit über die hundert- bis zweihunderttaussend hinaus, die die am Freitag veröffentlichte Studie errechnete (siehe Krieg und Besatzung töteten hundert- bis zweihunderttausend Menschen im Irak)

Bereits im April sind in Falluja schon mehrere hundert Menschen durch Luft- und Bodenangriffe getötet und verwundet worden. Das Projekt Iraq Body Count hat in seinem Falluja Archiv ca. 600 Opfer erfaßt, Schätzungen gehen bis zu 1200 Toten.
Seit Wochen werden regelmäßig Ziele in der Stadt bombardiert, sterben wöchentlich Menschen in den Trümmern ihrer Häuser, ohne daß sich in der westlichen Öffentlichkeit ein größerer Protest geregt hätte. Die Medien beruhigen die Gemüter, indem sie regelmäßig die stereotype Rechtfertigung der Besatzungstruppen wiedergeben, die Bomben und Granaten hätten Stützpunkten des allgegenwärtigen Superterroristen Al Zarkawi gegolten.
Die Bürger Fallujahs bestreiten seit langem dessen Anwesenheit in der Stadt. Es wird ihnen, so steht zu befürchten, wenig nützen.

In einem Brief wandten sich Repräsentanten Fallujahs mit dem dringenden Appell an den UN Generalsekretär und die Führer der Welt, gegen die erneute Eskalation aktiv zu werden. Sie weisen in dem Schreiben daraufhin, daß es in den letzten Wochen, während der Verhandlungen mit der Interimsregierung, keine Aktionen des Widerstands aus der Stadt gegeben hat.

"Al Zarkawi" ist für sie nur, wie zuvor die Massenvernichtungswaffen, ein neuer Vorwand "ihre Verbrechen zu rechtfertigen." Auch wenn sie noch so viele Häuser zerstören, "sie werden nie sagen, daß sie ihn getötet haben, den da ist keine solche Person. Und daß heißt das Töten von Zivilisten und der tägliche Völkermord wird weitergehen".

Gäbe es Al Zarkawi in der Stadt würden sie selbst gegen ihn vorgehen. Außerdem hätten Vertreter und Stammesführer der Stadt viele Male die Entführungen und Ermordung von Zivilisten verurteilt und versichert daß sie keine Verbindnung zu irgendeiner Gruppe hätten, die solche  inhumane Akte begehen.

Falluja wird in den Medien als Hochburg der "Aufständischen" hingestellt, der Angriff der USA somit implizit als zwangsläufig und die zu erwartenden Ziviltoten wieder einmal als unvermeidbare "Kollateralschäden" hingestellt. (Der US-Kettenhund Allawi hat vorsorglich schon begonnen, die Öffentlichkeit auf solche Häßlichkeiten einzustellen, "Allawi Says Fallujah Showdown Imminent", Washington Post, 31.10.04)

Schon der Begriff  "Auftständische" ist verfehlt, da sich die Militanten nicht gegen eine etablierte Ordnung auflehnen, sondern gegen Besatzung und Fremdherrschaft.
"Die Stadt war sehr ruhig und friedlich, als ihre Einwohner sie wieder selbst verwalten konnten" heißt es in ihrem Brief. "Wir wollen nur ganz einfach keine Besatzungstruppen. Dies ist unser gutes Recht gemäß der UN-Charta, internationalem Recht und den menschlichen Normen."

Auch der nahende Wahltermin taugt nicht als Begründung für ein militärisches Vorgehen gegen all die Städte, die der US-Kontrolle entglitten sind. Niemand kann wohl im Ernst faire Wahlen in einem Land erwarten, wo die Besatzungsmacht zum Angriff auf 22 Städte übergegangen ist.
Die Besatzungsgegner widersetzen sich im übrigen keinesfalls freien Wahlen, im Gegenteil werden diese seit Mai letzten Jahres von ihnen gefordert. Allerdings dürften diese nicht unter militärischer und politischer Kontrolle der Besatzungsmacht durchgeführt werden (siehe hierzu meinen Text "Im Treibsand Iraks")

Ginge es um die Wiederherstellung irakischer Souveränität und Einführung von Demokratie, so könnte man in Falluja auf kommunaler Ebene auf glaubwürdige Art und Weise damit beginnen. Stattdessen wird die militärischen Auseinandersetzung mit den Gegnern der Besatzung weiter eskaliert.
Der Sturmangriff auf Falluja, eine Stadt mit ca. 300.000 Einwohnern, droht alles bisherige in diesem Krieg in den Schatten zu stellen. Ich denke es ist höchste Zeit gegen das geplante Verbrechen aktiv zu werden.

Dagegen wendet sich auch der Appell "Stop the escalation", der von Prof. Jean Bricmont, einem international bekannter belgischer Wissenschaftler und Autor verfaßt wurde und der mittlerweile international in mehreren Sprachen verbreitet wird.

Zu seinen ersten Unterzeichnern gehören Noam Chomsky, die irakische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Haifa Zangana und Ed Herman

Joachim Guilliard,
Heidelberg, 3.11.2004

Siehe auch: 

Rüdiger Göbel, junge Welt, 3.11.2004
Krieg nach der Wahl
Nach der Präsidentenkür in den USA bereiten sich Iraker auf Großoffensive der Besatzer vor. Massenflucht aus Falludscha

Knut Mellenthin, junge Welt, 2.11.2004
Irak: US-Armee will »Durchbruch« erzwingen
Nach der Präsidentenwahl wollen die USA die Aufstandsbekämpfung im Irak massiv verstärken. Großoffensive gegen Falludscha und 22 weitere Städte geplant