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»Es gibt keine militärische Lösung«

Gespräch mit Dr. Matin Baraki. Über die anhaltende Besatzung Afghanistans, über das Zivile als Bestandteil des Militärischen und über die Chancen für einen politischen Ausweg aus dem Krieg Raoul Wilsterer
Aus: trikont, Beilage der jW vom 05.09.2007
Dr. phil. Matin Baraki, Afghanistan-Experte, lehrt internationale Politik an den Universitäten Marburg, Gießen und Kassel. Er ist Mitglied des Zentrums für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg

F: Die Afghanistan-Besetzung nähert sich ihrem sechsten Jahrestag. Was haben die ausländischen Mächte mit den USA als militärischer Vorhut und Speerspitze seit Oktober 2001 ausgerichtet?

Zunächst das Taliban-Regime gestürzt. Doch noch während des Krieges wurde unter der formellen Regie der Vereinten Nationen eine Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn einberufen. Dazu war ein erlauchter Kreis aus drei ehemaligen Mudschaheddin-Gruppen, die gleichzeitig Kriegsverbrecher, Warlords und Heroin-Barone waren, ebenso eingeladen wie eine monarchistische Gruppe – zum größten Teil Kräfte, die die USA aus den Jahren des Bürgerkrieges gegen die linksorientierte afghanische Regierung und ab 1980 gegen die sowjetische Regierung kannten und ausrüsteten. Engste Verbündete Washingtons und der CIA, versteht sich.

F: Welche Alternativen hätte es damals dazu gegeben?

Alternativen waren zwar in jeder Phase des Bürgerkriegs vorhanden, aber nicht erwünscht. Die USA wollten jene Kräfte in die Regierung hieven, die man kannte. Alle davon abweichenden Vorschläge wurden abgelehnt – wie zum Beispiel die säkular orientierte Gruppe um Sahir Schah, die Akzeptanz in der afghanischen Bevölkerung hatte. Dagegen hatten die USA etwas. Dann führten sie einen regelrechten Krieg gegen die Taliban und später auch gegen den Widerstand, zerstörten das Land noch weiter. Afghanistan ist heute über weite Teile vermint, unter anderem mit US-Cluster-Bomben, und viele Bauern können ihr Land nicht mehr bebauen. Auf den wenigen übrigen Flächen wird überwiegend der geschäftsträchtige Mohn kultiviert. Wegen der Lebensmittelimporte sind einheimische Agrarprodukte nicht mehr konkurrenzfähig, und die Landbevölkerung kann nicht davon leben.

F: Welche Unterschiede sehen Sie zwischen den Taliban und anderen Teilen des Widerstands?

Der Widerstand ist nicht ausschließlich religiös motiviert. Er besitzt Breite. Die fundamentalistischen Taliban werden vor allem dort vom großen Teil der Bevölkerung unterstützt, wo massenhaft Bomben der NATO abgeworfen wurden. Das geschieht in den Gebieten unter US-Besatzung inzwischen flächendeckend.

F: Wie kann das völkerrechtswidrige Vorgehen Washingtons gestoppt werden?

»Well, come on mothers throughout the land 
Pack your boys off to Vietnam.
Come on fathers, don’t hesitate, 
Send ’em off before it’s too late. 
Be the first one on your block 
To have your boy come home in a box.«
Country Joe McDonald,
US-Musiker und Woodstock-Veteran, 1967 in seinem satirischen Antikriegssong »I-feel-like-I’m fixin’-to-die-Rag«. 
Freie Übersetzung: Los, Mütter im ganzen Land/Jagt eure Jungs nach Vietnam/Los, Väter, zögert nicht,/schickt sie los, bevor es zu spät ist/Seid die ersten im Viertel/Deren Sohn in der Kiste zurückkehrt


Die USA begehen permanent Kriegsverbrechen. Afghanistan ist Operations- und Experimentierfeld für deren modernste Waffen, die zum Teil international geächtet sind. Dieses Vorgehen wird nirgendwo richtig öffentlich gemacht und verurteilt – und gerade das wäre wichtig, damit auch der internationale Widerstand oder die Kritik eine andere Schärfe gewinnen.

F: Nun ist Deutschland ebenfalls Kriegspartei – durch das Bundeswehrkontingent im Norden und durch die Tornados in den umkämpften Gebieten. Sehen Sie einen Unterschied zu den anderen Besatzungsmächten?

Das muß man tatsächlich differenziert sehen. Daß die Deutschen in der Region Kundus bis jetzt relativ unbehelligt agieren konnten, hatte auch damit zu tun, daß sie dort den Sack mit dem Dieb gehalten haben. Für die Warlords wurde eine Infrastruktur geschaffen, Schule und Straßen beispielsweise; gleichzeitig konnten die Drogenhändler unter den Augen der Deutschen schalten und walten, wie sie wollten. Auch deswegen ist im Norden relativ wenig passiert.

F: Und die Tornados...?

... machen die Deutschen ebenso zur Kriegspartei wie ihr Engagement in Süd- und Ostafghanistan. Als die Diskus­sion um die Tornados noch lief, war ich gerade in Afghanistan. Dieser Einsatz wurde dort als Kriegserklärung gewertet. Die Folge waren mehrere Attentate auf Bundeswehrsoldaten. Inzwischen sind auch deutsche Funker nach Süd- und Ostafghanistan geschickt worden. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden, wie von den USA verlangt, auch Bodentruppen dorthin entsandt werden.

F: Argumentiert wird von deutscher Seite derzeit, daß zwar die Truppenstärken erhöht werden müßten, aber damit vorrangig das zivile Engagement gestärkt werden soll. Wird der Wiederaufbau befördert?

Sie reden von zivilen Angeboten und kommen mit Panzern, vorgeblich um Entwicklungshelfer zu schützen. Nein, das Zivile ist nicht unabhängig von den Besatzern – trotzdem hat man den Einsatz als Wiederaufbau verkauft. Heraus kam indes, daß sich die NATO-Stützpunkte über das ganze Land wie ein Krebsgeschwür verbreitet haben. Aufbau fand kaum statt. Das kann auch nicht funktionieren: Das Zivile wird zwangsläufig zum Bestandteil des Militärischen, auch die sogenannten Nichtregierungsorganisationen (NGO). Wo das Militär sie »beschützt«, werden sie auch Angriffsziel des Widerstands. Wo sie ohne Militär auftreten, können sie fast ungestört ihre Arbeit leisten, auch in Kriegsregionen Afghanistans.

F: Sehen Sie überhaupt einen zivilen, also einen politischen Ausweg aus dem Krieg?

Es gibt einen politischen Ausweg. Doch wird derzeit immer noch eine zivil-militärische Zusammenarbeit angepriesen, obwohl diese längst gescheitert ist – ob in Afghanistan oder in Irak. Als die USA dort einmarschiert sind, hat Außenminister Colin Powell offen gesagt: Die NGOs sind Bestandteil unserer Strategie. Das sehen viele Afghanen in der Tat ähnlich. Ihrer Meinung nach stehen nicht humanitäre Gründe Pate für den Wiederaufbau. Vielmehr sollen die NGOs die Drecksarbeit leisten und den von den Besatzern angerichteten Scherbenhaufen aufräumen.

F: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt, meinte einst Minister Struck. Worin besteht das wirkliche Interesse Deutschlands?

Das kann man in den Verteidigungspolitischen Richtlinien und im Weißbuch des Bundesverteidigungsministeriums nachlesen: Nicht die nationalen Grenzen, sondern die ganze Welt gilt mittlerweile als Verteidigungsgrenze. Wenn es die Interessen des Landes verlangen, operieren wir weltweit – auch militärisch, heißt es. Deutschland betreibt Großmachtpolitik. Die führte nach Afghanistan, in den Libanon und nach Afrika. Afghanistan war Türöffner für künftige Großmachtambitionen. Die Deutschen wollten unbedingt dabei sein. Kanzler Schröder hat bei Bush in Washington förmlich darum gebettelt.

F: Und die Interessen der USA?

Ein Blick auf die Landkarte veranschaulicht diese: Afghanistans Crux ist die geostrategische Bedeutung des Landes. Es liegt einfach zentral im mittelasiatischen Raum mit dem Nachbarn Iran, einem Öl exportierenden Land, und dem Kaukasus, dem indischen Subkontinent. Auch Irak oder der Nahe Osten, wo sich die meisten Ölquellen befinden, sind nicht allzu fern.

F: Inzwischen stehen die Besatzer stark unter dem Druck des afghanischen Widerstands. Sie setzen auf einen Ausbau ihrer militärischen Präsenz und der Intensität ihrer Kriegsführung. Welche wirklich politischen Alternativen sehen Sie?

Daß die Besatzervariante gescheitert ist, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Der Afghanistan-Konflikt wird niemals militärisch gelöst werden. Es gibt eine einzige zivile Lösung: Es muß ein politischer Rahmen geschaffen werden. In diesem wird eine unabhängige, demokratisch kontrollierte Versammlung einberufen, die eine provisorische Regierung bildet. Diese bereitet Wahlen vor, die nicht durch die Besatzungsmächte kontrolliert werden. Vielmehr werden sie getragen von Organisationen, die nicht an der Misere in Afghanistan beteiligt sind – nichtpaktgebundene Staaten beispielsweise, Frauen- und Friedensorgansiationen, islamische Staaten. Ich bin davon überzeugt, daß die Ergebnisse ganz anders aussehen werden als das, was während der Konferenz auf dem Petersberg und danach geschehen ist. Die Wahlen, die von den USA in Afghanistan durchgeführt wurden, waren nichts als billiges Theater.

F: Und die Besatzungstruppen würden im Land bleiben?

Nein. Die Bundeswehr beispielsweise könnte sofort abgezogen werden. Sie besitzt keine wichtige Funktion für die Sicherheit Afghanistans. Wenn die politischen Rahmenbedingungen geschaffen sind, können alle Besatzer abziehen. Falls dann noch nötig, könnte von den Nichtpaktgebundenen oder von islamischen Staaten auf Nachfrage militärischer Schutz gewährt werden. In diesem Fall wird die afghanische Bevölkerung keinen Widerstand leisten, weil das Land nicht mehr vom großen Satan besetzt wäre.

F: Wie stellen Sie sich den politischen Rahmen konkret vor, und welche Rolle spielen hierin insbesondere die islamistischen Kräfte, also die Taliban und Al Qaida?

Einhergehend mit allen demokratischen und zivilisatorischen Maßnahmen bis hin zu den Wahlen brauchen wir eine nationale Versöhnungspolitik. Derzeit stecken wir als Gesellschaft in einem Sumpf. Taliban und Al Qaida gehören dazu, die islamistischen Fundamentalisten in der Regierung, Warlords, Drogenbarone im Parlament. Sie sind existent, und manche von ihnen auch in der Bevölkerung verankert. Dieses Problem kann nur in einem Prozeß im Rahmen einer nationalen Versöhnungspolitik gelöst werden, die auf regelmäßigen Versammlungen aller Beteiligten immer wieder initiiert und kontrolliert wird.

F: Ein schwerer Weg sicherlich – welche Erfolgschancen rechnen Sie ihm zu?

Sie sind nicht riesig, aber eine Alternative dazu gibt es in der Tat nicht. Es wird so getan, als wenn Afghanen die Fundamentalisten waren und sind. Das stimmt so nicht. Fundamentalismus ist ein Kuckucksei des Westens, vor allem der CIA und der USA, das uns ins Nest gelegt wurde. In Afghanistan gab es vor 30 Jahren keine nennenswerten islamischen Fundamentalisten, keine Mudschaheddin, Al Qaida und Taliban. Was uns andere eingebrockt haben, ist heute zum Problem für die gesamte internationale Politik geworden. Wir müssen zivile Lösungen versuchen. Das gilt für den Irak genauso. Dort können sie den Konflikt ebenfalls nicht militärisch lösen – und Afghanistan ist auf dem besten Weg, sich zu irakisieren.