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Ulrich Duchrow
„Ich lebe nur, weil und insofern du auch lebst“
Abschlussrede auf der Kundgebung: "60 Jahre Hiroshima und Nagasaki" - Für eine Welt ohne nukleare Waffen
Heidelberg, 6.August 2005
Liebe Friedensfreundinnen und –freunde,
an erster Stelle muß an diesem Tag das Gedenken an die unschuldigen
Menschen stehen, die bei den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und
Nagasaki auf qualvollste Weise von den USA ermordet wurden oder die
Schäden über Generationen hinweg davontrugen. Nur der Blick auf die
konkreten Opfer gibt die Perspektive, aus der die Kämpfe gegen die mehr
denn je wahnsinnige Politik der heutigen Täterstaaten menschlich
geführt werden kann. Und die Opfer von Hiroshima und Nagasaki waren
bekanntlich nicht die letzten. Seit den Kriegen am Golf, gegen
Afghanistan und Kosovo werden urangehärtete Waffen eingesetzt, die
weitere Opfer forderten und fordern. Sogar die Opfer der
Niedrigstrahlung aus der sog. friedlichen Nutzung der Kernenergie
gehören dazu.
Nach dem Ende des Kalten Krieges schien zunächst die Hoffnung
berechtigt, dass Abrüstung und insbesondere atomare Abrüstung
möglich sei. Aber allen voran die USA als entscheidende Weltmacht
brechen notorisch den Atomwaffensperrvertrag, indem sie nicht nur ihre
Abrüstungsverpflichtungen nicht einhalten, sondern weiter auf rüsten,
nun sogar mit Waffen, die nicht nur der Abschreckung dienen, sondern
der Kriegführung. Der ehemalige Verteidigungsminister der USA, Robert
McNamara, selbst früher ein Falke, sagte in diesem Jahr über die US
Politik:
„I would characterize U.S. nuclear weapons policy as immoral, illegal,
militarily unnecessary and dreadfully dangerous”.
Die USA spielen hier sicher die unheilvollste Rolle, zumal sie
wahrscheinlich sogar einen nuklearen Angriff auf den Iran vorbereiten,
obwohl sie es sind, die den Atomsperrvertrag brechen und nicht der
Iran. Für uns aber muß im Vordergrund stehen unsere eigene Regierung.
In Deutschland lagern etwa 150 Atombomben, vor allem in
Rheinland-Pfalz. Sie sollen sogar, z.B. vom Fliegerhorst Büchel, von
deutschen Tornado-Piloten bei Bedarf ins Ziel geflogen werden. Das ist
„verfassungs- und völkerrechtswidrig. Deutschland hat sich im
Nichtverbreitungsvertrag verpflichtet, weder mittelbar noch unmittelbar
Verfügungsgewalt über Atomwaffen anzustreben. Aber die Bundesregierung
hat mit der ‚nuklearen Teilhabe’ eine mittelbare Verfügungsgewalt über
diese Atomwaffen“, sagt der Friedensforscher und
-aktivist Wolfgang Sternstein und fügt hinzu: „Das halte ich für einen
unerträglichen Zustand. Unsere Verfassung garantiert ein Recht auf
Leben und körperliche Unversehrtheit,
das in einem Atomkrieg nicht nur angetastet, sondern gänzlich
vernichtet würde“ (in: Ohne Rüstung leben, Informationen 114, 3/2005).
Wir alle sollten uns seine Forderung zueigen machen:
Die „auf deutschem Boden gelagerten Atomwaffen (müssen) abgezogen
werden. Die Bundesrepublik muss auf die ‚Nukleare Teilhabe’ verzichten
und ein Atomwaffenverzicht muss im Grundgesetz festgeschrieben werden“.
Dies wird aber nur durch großen Druck aus der Öffentlichkeit erreicht
werden können. Das ist leichter gesagt als getan. Denn die
Friedensfrage scheint gegenüber der sozialen und ökologischen Frage in
den Hintergrund geraten zu sein. Alle drei gehören aber zentral
zusammen. Es geht um die Überlebensfähigkeit der Menschheit und der
Erde. Und genau die wird durch das Hand in Hand Gehen der
globalisierten kapitalistischen Weltwirtschaft und deren
imperial-militärischer Absicherung mit allen Mitteln gefährdet. Wir
sind auf einem Selbstzerstörungskurs auf der ganzen Linie.
Mohamed el Baradei, Generaldirektor der Internationalen
Atomenergieorganisation, sagt: „Wenn die Welt ihren Kurs nicht ändert,
riskieren wir die Selbstzerstörung. Wir brauchen dringend einen
Fahrplan für die Abrüstung von Atomwaffen. Wir dürfen nicht länger dem
Irrglauben anhängen, dass das Streben nach Atomwaffen bei einigen
Ländern moralisch verwerflich ist, während wir bei anderen moralisch
akzeptieren, das sie für ihre Sicherheit auf Atomwaffen bauen.“
Genau so zerstörerisch arbeitet aber die kapitalistische
Weltwirtschaft: sie akkumuliert Kapital für die Kapitaleigner ins
Unendliche, während die Gesellschaften, Menschen und die Natur leiden.
Damit ruiniert sie aber gleichzeitig ihre eigene Basis. Franz
Hinkelammert, der lateinamerikanische Ökonom und Philosoph bringt die
Situation auf die kurze Formel:
In der globalisierten Welt ist Mord Selbstmord. Eine ausreichend mit
Flugkraft ausgestatte Kugel, auf einen anderen Menschen abgefeuert,
läuft um die Erde herum und trifft uns selbst im Rücken. Die Atombombe
ist der historisch erste Beweis für diese Aussage: Mord ist Selbstmord.
Wir können aber Geist, Logik und Praxis dieser selbstmörderischen
Wirtschaft und Rüstung nur glaubwürdig bekämpfen, wenn wir erkennen,
dass wir alle, willentlich oder unfreiwillig, mehr oder weniger in die
Verhaltensweisen des gewalttätigen kapitalistischen Systems
hineingezogen werden: grenzenlose Vermehrung von Macht, Reichtum und
Ansehen steckt als dominierendes Ideal in unserer Gesellschaft und
prägt uns von Kindergarten und Schule an. Darum müssen wir bei uns
selbst und auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen lernen,
was Bischof Tutu als den Kern afrikanischer Kultur bezeichnet: „Ich
lebe nur, weil und insofern du auch lebst.“ Laßt uns zusammenarbeiten,
um uns in diesem Geist einzuüben und so eine neue Kultur der
Gerechtigkeit und des Friedens zu schaffen. Das ist die beste Basis für
unseren gemeinsamen Kampf für eine atomwaffenfreie Welt, für das Leben.