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Streit in der Friedensbewegung – Frieden schaffen mit Waffen?
Von Stefan Philipp
(Stefan Philipp ist Chefredakteur der ZivilCourage.)
Die Diskussion ist nicht grundsätzlich neu - bereits in den achtziger Jahren sammelte ein Teil der Linken für die Unterstützung einer Befreiungsbewegung: ,,Waffen für El Salvador". Jetzt propagieren Menschen und Gruppen, die sich im Rahmen der Bewegung gegen den Irak-Krieg engagiert haben ,,10 Euro für das irakische Volk im Widerstand". Geld sammeln für terroristische Attentate? Pazifisten haben sich distanziert, und nun streitet die Friedensbewegung über die Frage: Frieden schaffen auch mit Waffen? Gewaltfreiheit im Geiste Gandhis oder legitimer Widerstand gegen völkerrechtswidrige Besatzung? Anmerkungen zu einer notwendigen Debatte.
In die vorweihnachtliche Stimmung platzte am 11. Dezember das TV-Magazin "Panorama" mit einem "diffamierenden Beitrag über die Friedensbewegung", wie Sonnhild und Ulli Thiel, DFG-VK-"Urgestein" aus Karlsruhe, zwei Tage später in einer Rundmail schrieben. Sie befürchteten: "Wir werden sicher mit Aussagen, die in dieser Sendung gemacht wurden, konfrontiert werden." Tatsächlich, seitdem tobt eine heftige Auseinandersetzung in Zeitungsartikeln, Interviews, Stellungnahmen zwischen verschiedenen Gruppen der Friedens- und Antikriegsbewegung. Worum geht es? "Panorama" hatte unter dem Titel "Spenden für den Terror - Deutsche unterstützen Attentäter im Irak" darüber berichtet, dass KriegsgegnerInnen in mehreren deutschen Städten eine Spendenkampagne "10 Euro für das irakische Volk im Widerstand" gestartet hätten, mit dem auch Terroraktionen finanziert würden.
Joachim Guillard, Mitglied im Koordinierungsausschuss der baden-württembergischen Friedensbewegung und aktiv im "Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg", sagte vor laufender Kamera: "Widerstand, auch militärische Aktionen gegen die Besatzer, ist selbstverständlich legitim. Das hat mit Terrorismus im engeren Sinne nichts zu tun." Und tatsächlich: Auf der Intemetseite der Spendenkampagne ist er als einer von annähernd 100 Unterstützungspersonen aus Deutschland genannt. Die Kampagne wirbt auf ihrer Homepage www.antiimperialista.com mit der oben abgebildeten Fotoleiste.
Zwar wirft Guillard dem NDR-Magazin "tendenziöse Berichterstattung" vor und hat gegen die Fernsehjournalisten mittlerweile Strafanzeige wegen Verleumdung, Betrug und falscher Verdächtigung gestellt. Seine Aussagen seien "nur wenige aus dem Zusammenhang gerissene Fetzen" gewesen, dass die gesendeten aber so von ihm tatsächlich gemacht wurden, bestreitet er nicht.
Bereits am Tag nach der Ausstrahlung des umstrittenen Beitrages wandte sich DFGVK- Bundessprecher Jürgen Grässlin mit einer Presseerklärung unter der Über- Schrift "Widerstand ja - aber gewaltfrei!" an die Öffentlichkeit. Darin wies er die Behauptungen von "Panorama" zurück und erklärte: "Die Friedensbewegung setzt ausschließlich auf Mittel der Gewaltfreiheit und der humanitären Hilfe." Gleichzeitig distanzierte er sich deutlich von denjenigen, die "Geld für Waffen" sammeln "und das Abschießen von Soldaten" gut heißen. Wer das tue, "ist weder Pazifist noch Humanist und stellt sich damit selbst außerhalb der Friedensbewegung." DFG-VK-Bundessprecher Felix Oekentorp ging sogar noch weiter und bezeichnete die Sammelaktion als "verbrecherisch" und hielt ihren Protagonisten vor "Salonrevolutionäre, die im Wohlstandswesten Zeit ihres Lebens kein einziges Kriegsopfer noch Opfer von Selbstmordattentaten mit eigenen Augen gesehen haben und die in scheinbar romantischer Verklärung ihren Antiamerikanismus mit der Sammlung von Geld für Waffen ausleben, sind bedauernswert. Friedensfreunde sind diese Leute nicht."
Mit diesen Erklärungen ging der Streit erst richtig los, auch innerhalb der DFGVK. Rüdiger Deissler beispielsweise, DFG-VK-Mitglied aus Freiburg, zeigte sich in einem Leserbrief an die Tageszeitung "Junge Welt", der Grässlin ein Interview gegeben hatte, "sehr verärgert" über den Bundessprecher und fragte sarkastisch, ob die US-amerikanische Besatzung des Irak "etwa mit Sitzstreiks" wie von Gandhi in Indien beendet werden solle "oder besser noch mit Unterschriftenaktionen der DFG-VK". Achim Scheve von der DFG-VK-Gruppe Köln hielt die Kritik "an diversen ‚antiimperialistischen’ Kriegstreibern" hingegen für "völlig berechtigt" und meinte, dass sie "wohl in den nächsten Jahren zu einem Schwerpunkt pazifistischer Arbeit werden" müsse.
Eine weitere Zuspitzung erfuhr die Auseinandersetzung, als Grässlin die Ikone der globalisierungskritischen Bewegung Arundhati Roy öffentlich kritisierte. Diese hatte auf dem Weltsozialforum im indischen Bombay im Januar erklärt: "Wir müssen selbst zum Widerstand im Irak werden."
Grässlin warf ihr vor, damit auch den "militärischen Widerstand" zu legitimieren, und erinnerte sie daran, dass der "gewaltfreie Widerstand von Mahatma Gandhi und seinen Anhängern gezeigt" habe, "wie es gelingen kann, eine militärisch überlegene Besatzungsmacht mit zivilen Mitteln aus dem Land zu treiben." Dass die teilweise vehemente Kritik an Grässlin und an seiner Distanzierung damit zu tun hatte, dass die z.B. in der "Jungen Welt" verbreitete Rede von Roy auf einer Übersetzung ihres Manuskripts beruhte, die die kritisierte und tatsächlich vorgetragene Passage nicht enthielt, ging dabei unter. Auch Guillard sagte unter Verweis auf Grässlins Kritik an Roy ein vereinbartes Streitgespräch der ZivilCourage mit ihm und Grässlin kurzfristig ab (siehe Kasten [offener Brief] auf rechts).
Der Streit über die Haltung zum Widerstand im Irak gegen die US-amerikanisch geführte Besatzung rührt an Grundsatzfragen. Dabei gehen die Argumentationsebenen häufig durcheinander.
Die formaljuristische Argumentation
Ein zentrales Argument derer, die mit dem Widerstand sympathisieren oder ihn unterstützen, bezieht sich, darauf dass der Krieg gegen den Irak völkerrechtswidrig gewesen ist. Klaus Hartmann, Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes, beispielsweise sagt, dass die Rechtswidrigkeit des Angriffskrieges "unheilbar" sei, und: "Die andauernde Besatzung des Landes ist ein ebenso klarer Bruch des Völkerrechts. Gegen die Aggressions- und Besatzungstruppen ist jeder, auch militärischer, Widerstand legitim und völkerrechtlich erlaubt."
Tatsächlich räumt die UN-Charta im Artikel 51 im Fall eines "bewaffneten Angriffs" ein "Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung" ein. Die pazifistische Gegenargumentation bestreitet diese Rechtslage nicht. Allerdings sagte sie, wie z.B. Grässlin das tut, dass "dieses Selbstverteidigungsrecht . . . jedoch keinesfalls automatisch die Anwendung von Gewalt" legitimiere.
Auch Peter Strutynski, der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, differenziert, wenn er sagt: "Es gibt ein Recht auf Widerstand, aber es gibt kein Recht auf Mord und Totschlag." Grässlin konkretisiert das: "Wer die Meinung vertritt, Minenleger und Heckenschützen verbal, ideell oder gar materiell unterstützen zu wollen, darf das nicht unter dem Logo von Peacefahnen und Friedenstauben tun."
Dass eine pazifistische Position nicht formalrechtlich argumentiert, wird auch in einem, allerdings nicht veröffentlichten, Leserbrief des hessischen DFG-VK-Landesgeschäftsführers Gernot Lennert an die "Junge Welt" deutlich: "Das Völkerrecht legitimiert viele Formen von Krieg und politischer Gewalt. Aus pazifistischer Sicht sind Krieg und Gewalt auch abzulehnen, wenn sie staatsrechtlich oder völkerrechtlich legal sind."
Wenn man als Pazifist, zumal als DFG-VK- Mitglied, das die WRI-Grundsatzerklärung unterschrieben hat, wonach "der Krieg" - womit jede Art von Krieg gemeint ist - "ein Verbrechen an der Menschheit" ist, so grundsätzlich argumentiert, wird man mit jemand wie Joachim Guillard keine Übereinstimmung erzielen können, der sagt: Der Widerstand gegen die Besatzung "könnte eventuell auch mit rein zivilen Mitteln zum Erfolg führen."
Heiligt der Zweck die Mittel?
Nach dieser Argumentation heiligt der Zweck die Mittel, weshalb jedes Mittel, wenn es denn nur zur Beendigung der Besatzung führt, gerechtfertigt ist. Da geht es dann auch nicht mehr um Menschenleben, jedenfalls nicht um die des Feindes. Dann kann man argumentieren, wie Hanna Ackermann vom Friedensforum Duisburg dies tut, die Anschläge verurteilt, "bei denen Zivilisten Opfer sind. Aber Besatzungssoldaten, die Werkzeuge staatlich genehmigten Terrors einer Besatzungsmacht - nein: sie gehören nicht zu denen, für die ich mich einsetzen werde. Das ist ihr Berufsrisiko." Ob sie dies auch auch den Eltern eines in Bagdad von einer Bombe zerrissenen schwarzen GIs in der New Yorker Bronx sagen würde, der seine einzige Chance in der Verpflichtung bei der US-Army sah?
,,Totschlagargument" Faschismus
Mit schöner Regelmäßigkeit werden Pazifisten dann auch die Erfahrungen mit der Hitler-Diktatur vorgehalten: "Welche Möglichkeiten blieben aber den Polen, Russen, Griechen, Jugoslawen, Franzosen etc. unter deutscher Besatzung?", fragt Joachim Guillard in einer Replik auf Jürgen Grässlins offenen Brief, mit der er seine Kritik an der Roy-Rede bekräftigte.
Diese Argumentation ist nicht neu, auch schon der Friedensbewegung der 80er Jahre wurde sie vorgehalten, wenn sie für Abrüstung eintrat und dann sogar von CDU-Mitgliedern am Infostand darauf hingewiesen wurde, dass die historische Erfahrung zeige, dass es "ohne Gewalt eben nicht geht". Auch Rudolf Scharping und Joschka Fischer haben sich dieses Arguments zur Rechtfertigung des Kosovo- Krieges bedient. Hatte Heiner Geißler also doch Recht mit seiner Aussage, der Pazifismus der dreißiger Jahre habe Auschwitz erst möglich gemacht.
Natürlich fallt es Pazifisten schwer, angesichts der historischen Erfahrung der Nazi- Verbrechen dennoch für Gewaltfreiheit einzutreten. Wer das nicht nur dogmatisch tut, der wird fragen, wann denn jemals Strategien der sozialen Verteidigung und der organisierten gewaltfreien Aktion in größerem Maßstab geübt und angewandt wurde? Er wird erinnern an die gewaltfreie Aktion der Frauen in der Berliner Rosenstraße, denen es mit ihrem Protest gelang, ihre bereits verhafteten jüdischen Männer aus den Händen der Gestapo zu befreien. Die Geschichte belegt doch nur, dass es durchaus Beispiele gab, in denen gewaltfreier Widerstand erfolgreich war.
Das Beispiel Gandhis bei der Abschüttelung der britischen Besatzung Indiens ist im Übrigen eines dafür, dass Gewaltfreiheit nicht nur kleinen Maßstab erfolgreich sein kann.
Wer stur mit dem Hitler-Faschismus und der verbrecherischen Wehrmacht argumentiert, der scheint an ernsthafter Auseinandersetzung über Strategien des Widerstands nicht interessiert zu sein, sondern benutzt den - im Übrigen - unhistorischen Vergleich der Wehrmacht mit der US-Armee als "Totschlagargument".
"Inhaltsleeres Solidaritätsgefasel"
Dass historische Vergleiche auch unter Antiimperialisten umstritten sind, belegt der Kommentar von Christian Semler in der "Tageszeitung" vom 21. Januar. Semler, der Mitte der 60er Jahre Aktivist in der Vietnam-Solidaritätsbewegung war, fragt darin: "Können diejenigen unter uns, die sich gegen die US-Intervention im Irak gewandt haben, heute mit derselben Berechtigung und mit derselben Klarheit die Parole ‚Solidarität mit dem kämpfenden irakischen Volk’ aufstellen, mit der auch Arundhati Roy bei ihrer Rede in Bombay sympathisierte? Offensichtlich nicht. Es fehlt auf der irakischen Seite an Adressaten. Oder sollten etwa die Islamisten, die übrig gebliebenen Elemente der Baath- Partei oder Kurden, die einen demokratisch geeinten Irak gar nicht wollen, die Ansprechpartner sein?" Semler konstatiert das Fehlen "an demokratischen und sozial emanzipatorischen Zielen, mit denen sich die hiesigen Linken identifizieren könnten", denn: "Der im Irak praktizierte Terrorismus ist mit demokratischen und linken Positionen unvereinbar."
Aber schon die Begrifflichkeit "Terrorismus" wird gebrandmarkt. Während es Peter Strutynski "Menschen verachtenden Terrorismus" nennt, "wenn ausländische und irakische Zivilisten. Rotkreuzmitarbeiter oder UN-Personal zu den Angriffszielen gehören", ist die Sache für den Freidenker Klaus Hartmann einfach: "Hingegen ist es die bekannte Methode der Angriffskrieger, diesen Widerstand als Terror, und Partisanen als Terroristen zu verunglimpfen ... Die Partisanen als ‚Terroristen’ zu bezeichnen, ist immer Teil der Partisanenbekämpfung."
Und flugs betreiben Pazifisten und Friedensbewegte also das Geschäft des US-Imperialismus. Sie betreiben nach Werner Pirker (in der "Junge Welt") das "linke Kapitulantentum" "im Westen, das in einer aggressiven Solidaritätsverweigerung gegenüber den Anti-Okkupationskräften im Irak zum Ausdruck kommt."
Welche Friedensbewegung wollen wir?
Sollen Pazifisten gemeinsam mit Menschen, die offensichtlich grundsätzlich andere Ansätze und Ziele haben, gemeinsam in der Friedensbewegung arbeiten? Gernot Lennert hat in der hessischen DFG-VK-Stellungnahme eine klare Position eingenommen: "Wer Terrorismus propagiert, kann per definitionem kein Friedensaktivist sein, auch wenn sich die Terrorismus- Befürworter bei vielen Gelegenheiten als solche gebärden und wenn auch immer wieder bei Demonstrationen auftauchen, die sich gegen die Kriegspolitik der USA und Israels wenden, und dort willkommen geheißen werden. Aufgabe der Friedensbewegung ist es, sich konsequenter als bisher gegen solche Kräfte abzugrenzen."