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Schönheitsoperation im Irak
Die Besatzung soll ein "irakisches Gesicht" erhalten
Von Joachim Guilliard
(erschient in etwas gekürzt Form in Ossietzky 25)
Die Bush-Regierung kommt angesichts der vielfältigen Rückschläge im Irak zunehmend unter Druck. Mit spektakulären Aktionen, wie dem Raketenangriff auf das Hotel Al Raschid in Bagdad, in dem sich gerade der Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz aufhielt oder dem Abschuss von fünf US-Hubschraubern, wurden der Besatzungsmacht immer neue spektakuläre Schläge versetzt. Fast 10.000 US-Soldaten wurden mittlerweile im Irak getötet, schwer verwundet oder sind so schwer erkrankt, dass sie ausgeflogen werden mussten.1)
Gleichzeit stellte ein düsterer CIA-Bericht, der vor einem Scheitern der gesamten Irak-Mission warnte, die offizielle Propaganda bloß. Der Widerstand wird demnach an Stärke noch zunehmen und in der Bevölkerung weiter Fuß fassen. Bis zu 50.000 Irakerinnen und Iraker – und keinesfalls nur Anhänger des alten Regimes – seien im Widerstand aktiv, so die Einschätzung der Geheimdienstexperten nach umfangreichen Recherchen der 275 CIA-Mitarbeiter vor Ort. 2) Der Inhalt des geheimen Berichts war offensichtlich an die Medien lanciert worden, um sicherzustellen, dass er nicht – wie so oft – im Pentagon sang und klanglos verschwindet. Er trägt ungewöhnlicher Weise auch den Sichtvermerk des Zivilverwalter Bremer, der eventuell mit diesem Papier Warnsignale an seinen Vorgesetzten im Pentagon vorbei nach Hause senden wollte. Die CIA-Analyse kommt zum Schluss, dass die Irak-Politik der Bush-Administration einen Wendepunkt erreicht hat. Die Unfähigkeit der Besatzungsmacht, die Guerilla zu bezwingen, würde eine wachsende Zahl Iraker zur Überzeugung bringen, dass sie geschlagen werden kann und dadurch zur Unterstützung des Widerstands motivieren. Die Bagdader Zentrale der CIA befürchtet, dass auch die schiitische Mehrheit im Zweistromland sich diesem zunehmend anschließen wird. Umfragen von Gallup zufolge, glauben nur 5% der Befragten, dass die USA einmarschiert sind, um "das irakische Volk zu unterstützen" und nur 1%, dass sie Demokratie einführen wollen. 3)
Mit massiven militärischen Vergeltungsaktionen versuchen die Besatzungstruppen die Initiative wieder in die Hand zu bekommen. Neben stillgelegten Fabriken und ähnlichen potentiellen Verstecken der Guerilla, werden nach israelischem Vorbild auch Wohnhäuser, in denen Widerstandskämpfer vermutet werden, ohne Vorwarnung bombardiert. Da es den Besatzern aufgrund der feindseligen Einstellung der Bevölkerung bisher kaum gelang, Informationen über ihre Gegner und deren Infrastruktur zu erlangen, ist dies lediglich ein Stochern im Heuhaufen – allerdings auf äußerst brutale Art.
Durch die Eskalation des Kampfes gegen die Guerilla und der unvermeidlichen Zunahme unbeteiligter Opfer – so warnt auch die CIA – werden aber immer mehr Iraker an die Seite des bewaffneten Widerstands getrieben. Gleichzeitig hätte keine der irakischen politischen Institutionen, die nach dem Krieg geschaffen wurden, sich als fähig erwiesen, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Es fehle ihnen zudem an jeglicher Unterstützung in der irakischen Bevölkerung.
Die Bush-Administration war angesichts der nun auch im eigenen Land rapide sinkenden Akzeptanz ihrer Irak-Politik zum Handeln gezwungen. Bis zur heißen Phase des Wahlkampfs ab dem Sommer nächsten Jahres, sollen die Negativschlagzeilen für Präsident Bush aus dem Irak entschärft werden. Als wichtigsten neuen Schritt kündigte Washington nach der Krisensitzung an, die direkte Kontrolle über das Land bis zum Juni nächsten Jahres an eine Übergangsregierung abzugeben.
Mit einer Übergabe der Macht im Irak an die Bevölkerung hat dieser taktische Rückzug aber wenig zu tun. Präsident Bush machte unmissverständlich klar, dass die Besatzungstruppen auch danach auf unbestimmte Zeit im Land bleiben werden. "Wir werden weiterhin US-Truppen hier haben, aber sie werden keine Besatzer mehr sein, sondern Kräfte, die auf Einladung der irakischen Regierung hier sind," sagte das führende Mitglied des von Paul Bremer eingesetzten "Regierenden Rates", Achmed Chalabi, der New York Times.4) Diese "Einladung" soll sicherheitshalber aber noch vor Einsetzung der neuen Regierung durch "bilaterale Verträge" fixiert werden, die das "Statut der Koalitionstruppen im Irak definieren sollen".5) Mindestens sechs große dauerhafte Militärbasen in verschiedenen Landesteilen sind schon fest eingeplant. 6)
Die angekündigte raschere Übergabe von Regierungsgewalt an ein irakisches Gremium ist ein Zugeständnis an die bereits im Übergangsrat beteiligten Organisationen und andere Kräfte, die sich mit Hilfe der US-Truppen einen Teil der Macht im Lande sichern wollen. Auch Frankreich und Deutschland hatten schon lange eine indirektere Besatzung, ähnlich dem Modell in Afghanistan, gefordert. Nicht nur weil sie von vorneherein nur so eine Chance auf eine "Befriedung" des Iraks sahen, sondern sicherlich auch weil dadurch anderen Staaten mehr Chancen auf Einflussnahme eröffnet würden, als unter der direkten Herrschaft des Prokonsuls Bremer.
Die Übergangsregierung soll mittels regionaler Versammlungen gebildet werden, die vom "Regierenden Rat" zusammengestellt und deren Teilnehmer durch die Besatzungsbehörde geprüft werden.7) Sie wird dadurch im wesentlichen eine Erweiterung dieses Rates durch Einbeziehung zusätzlicher, nun kooperationswilliger Organisationen, sein. Auf diese Weise wird Macht in die Hände von zum Teil sehr zwielichtigen Personen und Gruppierungen wandern, wie z.B. in die des oben erwähnten, vom Pentagon geförderten, Achmed Chalabi. Den Chef des Irakischen Nationalkongress erwartet in Jordanien wegen Bankbetrugs in Höhe von 288 Millionen US-Dollar eine 22jährige Gefängnisstrafe und seine Leute werden mit organisiertem Verbrechen im Nachkriegsirak in Verbindung gebracht. 8)
Der nun angekündigte Zeitplan sieht nach Einsetzung der Übergansregierung, die Ausarbeitung einer neuen Verfassung – unter Mithilfe der USA – und nationale Wahlen bis Ende 2005 vor. Doch unabhängig davon, ob dieser Zeitplan tatsächlich ernst gemeint ist und welche konkrete Zusammensetzung die Übergangsregierung haben wird, eine Wiederherstellung irakischer Souveränität und eine Besserung der Bedingungen für die Iraker ist auf diesem Wege nicht zu erwarten. Die Weichen für die wirtschaftliche Neuordnung werden bereits gestellt und der Ausverkauf des Landes hat schon begonnen. „Selbst wenn morgen der letzte Soldat aus dem Golf abgezogen würde und eine souveräne Regierung an die Macht käme,“ so Kanadier Naomi Klein, die sich in der Antiglobalisierungsbewegung, kenntnisreich und kritisch wie wenige mit den Strategien der Globalisierung und Kapitalmacht auseinandersetzt, „bliebe der Irak besetzt: durch Gesetze, die im Interesse eines anderen Landes gemacht wurden, durch ausländische Konzerne, die entscheidende Dienstleistungen des Landes kontrollieren.“ 9)
Zu den Plänen gehört auch der noch raschere Aufbau irakischer Sicherheitskräfte, die unter US-Kommando verbleiben sollen. Die Ausbildungszeiten der US-loyalen Rekruten wurden hierfür schon zweimal halbiert. Die weitere Kürzung bestätigt, so der Toronto Star, dass die USA keine echte irakische Armee wollen, die in der Zukunft womöglich wieder US-Interessen in der Region gefährden könne, sondern nur Wachleute, Polizisten, Geheimagenten und einfache Fußsoldaten. Im Rahmen einer „Irakisierung“ des Krieges sollen so indigene Kräfte gegen den Rest der Bevölkerung in Stellung gebracht werden, als „menschliches irakisches Kanonenfutter“, um die Zahl, der in Leichensäcken zurückkehrenden US-Soldaten zu minimieren. „Dies ist eine echte und erprobte Kolonialmethode.“ 10)
Sollten die US-Strategen und ihre Verbündeten ihre Pläne verwirklichen können, stünde am Ende nicht die irakische Souveränität, sondern eine US-hörige Diktatur, eine Kolonialregierung mit irakischem Gesicht.
Joachim Guilliard,
Heidelberg, 24.11.2003
Vom Autor erscheint Anfang Dezember Göbel/Guilliard/Schiffmann (Hg.): Der Irak – Krieg, Besetzung, Widerstand (Köln, PapyRossa Verlag, 2003), 277 Seiten, 15,80 €, ISBN 3-89438-270-8.