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Die NATO im Irak
Joachim Guilliard
Dieser Text erschien in der Broschüre "Kein Frieden mit der NATO" sowie als IMI-Analyse 2009/011
Die 72-seitige Broschüre wurde von der Informationsstelle Militarisierung und der DFG-VK herausgegeben und kostet 2 Euro zzgl. Versand. Bestellung an: imi@imi-online.de
Kurz nachdem die USA glücklich ein Truppenstationierungsstatut sowie ein kaum bekanntes „Strategisches Rahmenabkommen“ mit dem besetzten Irak unter Dach und Fach gebracht hatten, beschloss der Nordatlantikrat das Engagement der NATO im Irak kräftig auszuweiten. Sie ist zudem ebenfalls dabei, mit der Maliki-Regierung ein Kooperationsabkommen für eine langfristige Anbindung des Landes an das westliche Militärbündnis auszuarbeiten. Die wichtigste Rolle der NATO in diesem Krieg besteht jedoch darin, trotz divergierender Interessen einzelner Mächte, eine verlässliche militärische Zusammenarbeit und eine einheitliche Politik der westlichen Staaten gegenüber dem ölreichen Land sicherzustellen.
Die Allianz im Angriffskrieg
Die 1990 eingeleiteten Maßnahmen, den Irak als Regionalmacht auszuschalten und sich wieder Zugriff auf das irakische Öl zu verschaffen, waren stets ein überwiegend angelsächsisches Unternehmen. Sie wurden jedoch bis 2003 von allen NATO-Staaten einhellig mitgetragen. Alle beteiligten sich direkt mit Truppen oder durch logistische und finanzielle Unterstützung am ersten US-geführten Irak-Krieg. Geschlossen sorgten sie auch dafür, dass das mörderische Embargo trotz massiver Kritik und Hunderttausenden von Opfern dreizehn Jahre lang fortgesetzt wurde.
Einen Dissens gab es erst, als die Bush-Administration, die Stimmung nach den Terroranschlägen vom 11.9.2001 nutzend, die Invasion des so lange belagerten und sturmreif geschossenen Landes zwischen Euphrat und Tigris vorbereitete. Sechs der heute 26 Nato-Staaten – Deutschland, Frankreich, Belgien, Kanada, Luxemburg und Griechenland – lehnten diesen Krieg ab. Die Mehrheit jedoch zog hinter der Führungsmacht im Rahmen der „Koalition der Willigen“ in den Krieg.[1]
Ungeachtet der Antikriegsrhetorik der Schröder-Regierung überstieg in der Praxis die deutsche Kriegsunterstützung jedoch die der meisten anderen US-Verbündeten. Deutschland wurde nicht nur zur wichtigsten logistischen Drehscheibe, die Bundeswehr stellte auch bis zu 4.200 Soldaten für Aufgaben in US-Kasernen ab, die amerikanische Kollegen für den Kriegseinsatz freisetzten und stationierte ABC-Schutzpanzer in Kuwait.
Die Bundesregierung stellte dabei die Bündnisverpflichtung gegenüber der NATO über internationales Recht, das nicht nur jegliche Unterstützung eines Aggressionskrieges verbietet, sondern sogar die aktive Verhinderung jeglicher Kriegsvorbereitung vom eigenen Boden aus fordert.[2]
Obwohl die NATO offiziell nicht in die Kriegsvorbereitungen einbezogen war, stellte die NATO der Türkei AWACS-Überwachungsflugzeuge und Patriot-Abwehrraketen für einen potentiellen Gegenangriff des Iraks zur Verfügung. Da die AWACS-Flugzeuge, in denen auch Bundeswehreinheiten Dienst taten, weit in den Irak spähen konnten, konnten ihre Daten ohne weiteres auch für die Zielplanung der angreifenden Armeen verwendet werden. Die NATO war somit entgegen ihren Verlautbarungen unmittelbar in den Angriffskrieg einbezogen.
Mit den ersten Bomben, die in Bagdad einschlugen, stellten sich die Kriegskritiker innerhalb der NATO auch öffentlich wieder voll hinter die US-Politik gegenüber dem überfallenen Land. Nach dem der Krieg nun leider begonnen habe, so Außenminister Fischer, könne man nur hoffen, dass die US-geführte Koalition rasch den Sieg davon trage, alles andere wäre eine Katastrophe. Deutschland und Frankreich haben es zwar in der Folge nicht ungern gesehen, dass die USA und Großbritannien im Irak in massive Schwierigkeiten gerieten, fürchten aber aus eigenem Interesse deren völliges Scheitern. Dies würde einen gewaltigen Rückschlag für den Einfluss aller westlichen Staaten in einer Region bedeuten, die auch für sie wirtschaftlich und geostrategisch von existentieller Bedeutung ist.
Die fortgesetzte enge Zusammenarbeit trotz konkurrierender Interessen demonstriert sehr anschaulich die Funktion der Nato als Instrument zur Sicherstellung einer verlässlichen militärischen Zusammenarbeit und einer einheitlichen Politik der westlichen, imperialistischen Mächte gegenüber dem Rest der Welt. Im Fall Irak war dies die wichtigste Rolle der NATO. Da auch Deutschland und Frankreich bei der militärischen Absicherung ihrer weltweiten Interessen auf die USA und die NATO angewiesen sind und sie auch ihre Mitsprachemöglichkeiten nicht verlieren wollen, kam ein Ausscheren aus dem Bündnis nie in Frage.
NATO-Unterstützung bei der Besatzung
Die Mehrheit der Bevölkerung in den Nato-Staaten war gegen den Krieg. Der öffentliche Druck zwang Spanien nach einem Regierungswechsel im April 2004 seine Truppen zurückzuziehen. Ungarn und die Niederlande folgten im März 2005, Italien und Norwegen 2006.
Dennoch stimmten schließlich auf dem NATO-Gipfel im Juni 2004 auch die Kriegsgegner einem direkten Beitrag der NATO bei der Besatzung des Iraks zu. Etwa 300 Militärberater und Ausbilder wurden ins besetzte Land entsandt, um eine „NATO Training Mission-Iraq“ (NTM-I) aufzubauen.[3] Mit Sicherheitspersonal beträgt der Umfang dieser Mission zeitweilig bis zu 3000 Mann.[4] Ihr Auftrag besteht vor allen in der Ausbildung von Führungskräften für die neue, unter US-Führung aufgebaute irakische Armee. Bisher wurden durch sie über 10.000 irakische Offiziere auf Nato-Praxis und -Ideologie getrimmt. 2009 soll dieses Engagement noch ausgebaut werden.[5] Darüber hinaus haben die Nato-Staaten große Menge an Waffen, Munition und sonstiges Rüstungsmaterial bereitgestellt, allein 2005 lieferten sie u.a. 36 Panzerfahrzeuge und 77 ausgemusterte ungarische Panzer.[6]
Die ursprünglichen Kriegsgegner wollten weiterhin keine eigenen Truppen in den Irak schicken, die Bundeswehr bildet jedoch in Nachbarländern irakische Hilfstruppen aus. Die deutsche Regierung schickte zudem ebenfalls Hunderte gepanzerter Fahrzeuge, Schwerlasttransporter und anderes Kriegsgerät in den Irak.
Gemessen an den gigantischen Aufwänden der USA und Großbritanniens für den Krieg im Irak macht sich der Beitrag der Nato recht bescheiden aus. Der irakische Regierungschef Maliki hob jedoch z.B. bei einem Meeting in Brüssel im April 2008 hervor, dass die von der NATO geleistete Unterstützung eine wesentliche Rolle bei den Angriffen der irakischen Armee gegen oppositionelle Kräfte in Basra und Sadr City gespielt hätten. [7]
Der bedeutendste praktische Beitrag der NATO wurde jedoch mehr im Verborgenen geleistet. Da der polnischen Armee die erforderlichen Logistik- und Kommandokapazitäten fehlten, übernahm die Allianz einen Teil der Aufgaben, damit die Polen die Führung im „Mitte-Süd Sektor“ des Irak übernehmen konnten. Die Nato spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle bei der Abstimmung zwischen den im Irak aktiven Streitkräften und der Sicherstellung ihrer Interoperabilität.
Die NATO-Einheiten im Irak wurden unmittelbar in die Besatzungstruppen integriert. Den Oberbefehl über die NTM-I übernahm der Kommandeur des „Multinational Security Transition Command“, ein Stab der „Multinationalen Streitkräfte im Irak“ (MNF-I), der die irakischen Ministerien für Inneres und Militär, sowie die Armeeführung instruiert. Beim Start von NTMI-I Anfang 2005 war dies General David Petraeus, der spätere US-Oberbefehlshaber im Irak.[8]
Weiterer Ausbau der NATO-Rolle im Irak
Auf dem Bukarester Gipfel im April 2008 kamen die Nato-Führer schließlich überein, das NATO Engagement 2009 weiter auszubauen. Der NATO-Generalsekretär Jaap De Hoop Scheffer wurde beauftragt mit der Maliki-Regierung einen „strukturierten Kooperationsrahmen“ auszuarbeiten.[9] Beim Treffen des Nordatlantikrates Anfang Dezember 2008 beschlossen die Außenminister der NATO-Staaten erste praktische Schritte, u.a. durch die Unterstützung bei der „Absicherung der Grenzen“, einer „Verteidigungsreform“ und dem Aufbau von „Verteidigungsinstitutionen“.[10] Das Ziel ist offensichtlich den Irak, wie die anderen westlichen Protektorate, langfristig an die Nato anzubinden. [11] In Kürze werden bis auf einige britische Einheiten alle nationalen Kontingente der US-Verbündeten den Irak verlassen haben. Neben den Besatzungstruppen USA werden dann nur noch die NATO vor Ort präsent sein. Nach den Plänen des Pentagons, die vom neuen US-Präsident Barack Obama und einer breiten überparteilichen Allianz im Kongress unterstützt werden, werden US-Truppen noch lange im Irak verbleiben. Unabhängig von den Fristen, die in dem vor kurzem unterzeichneten Stationierungsabkommen enthalten sind, sollen bis zu 70.000 Soldaten langfristig stationiert bleiben.[12] Es ist daher damit zu rechnen, dass der Ausbau des NATO-Engagements noch massiver auf der Tagesordnung der Allianz stehen wird.
[1] Die Türkei wurde von den USA zwar in ihrer Liste der „Willigen“ aufgeführt, nahm aber nicht an der Invasion teil. Das türkische Parlament hatte zudem den USA untersagt, eine Nordfront von türkischem Territorium aus zu eröffnen.
[2] Siehe zur deutschen Rolle im Irak-Krieg auch Tobias Pflüger: Es war gut, ihnen nicht geglaubt zu haben: Die deutsche Beteiligung am Irak-Krieg, in: analyse & kritik Nr. 504/2006.
[3] “NATO’s assistance to Iraq”, NATO, http://www.nato.int/issues/iraq-assistance/index.html, NATO at odds over Iraq mission, Aljazeera, 7.11.2004
[4] NATO: Alliance Training Mission in Iraq May Need 3,000 Troops, Voice of America, 30.9.2004
[5] NATO and Iraq: agenda for the future, NATO News, 17.4.2008
[6]
The
Iraqi Army Receives Supplies Donated by NATO Nations, NATO, 21.06.2006
s.a. “NATO’s assistance to Iraq”, a.a.O.
[7] NATO: Iraq Asks Alliance For Greater Assistance, Radio Free Europe/Radio Liberty, 17.4.2008
[8] DoD Briefing on NATO Training Mission in Iraq, US Department of Defense, 10.2.2005
[10] Final communiqué of The Meeting of the North Atlantic Council at the level of Foreign Ministers, NATO Presseerklärung, 3.12.2008
[11] NATO leaders discuss organization's role in Iraq, American Forces Press Service, 12.7.2006
[12]
“Campaign
Promises on Ending the War in Iraq Now Muted by Reality”, New York Times, 4.12.2008
George F. Will , “Steady
Hand at Defense”, Washington Post, 11.12.2008
Justin Raimondo: Obama, Iraq, and the Cyprus Solution. Out of Iraq? Not so fast …, Antiwar.com,
12.12.2008