Gaza: Verbrechen und Scham
Stellungnahme der Literaturnobelpreisträger
José Saramago und Pilar del Río sowie weiterer Publizisten und
Kulturschaffenden zum Krieg gegen die Palästinenser in Gaza:
junge Welt, 06.01.2009 / Abgeschrieben / Seite 8
http://www.jungewelt.de/2009/01-06/040.php
Original: Gaza:
crimen y vergüenza
Es
ist kein Krieg, es gibt keine sich gegenüberstehenden Heere. Es ist ein
Morden.
Es handelt sich nicht um eine Vergeltungsmaßnahme, es sind nicht die
selbstgebastelten Raketen, die erneut auf israelisches Territorium
fielen, sondern es ist die zeitliche Nähe zum Wahlkampf, die den
Angriff ausgelöst hat. Es ist nicht die Antwort auf das Ende des Waffenstillstandes, denn während dessen Geltungsdauer hat die
israelische Armee die Blockade von Gaza noch verschärft und ihre
tödlichen Operationen nicht eingestellt, 256 Tote in den sechs Monaten
einer vermeintlichen Feuerpause, mit der zynischen Rechtfertigung, dass
ihr Ziel immer nur die Mitglieder der Hamas seien. Als ob die
Mitgliedschaft in der Hamas den vom Einschlag eines Geschosses
zerfetzten Körper seiner menschlichen Eigenschaft entkleide, und als ob
selektiver Mord nicht immer noch Mord bleibe.
Es ist keine
Explosion der Gewalt. Es handelt sich um eine geplante und seit
geraumer Zeit von der Besatzungsmacht angekündigte Offensive. Ein
weiterer Schritt bei der Vernichtung des Widerstandswillens der
palästinensischen Bevölkerung, die im Westjordanland der täglichen
Hölle der Besatzung unterworfen ist und im Gazastreifen einer
Aushungerung, deren letzte Episode nun das Gemetzel ist, das die
Bildschirme mitten in freundlichen und festlichen Weihnachtsbotschaften
füllt.
Es handelt sich auch nicht um ein Scheitern der
internationalen Diplomatie. Es ist ein weiterer Beweis für die
Komplizenschaft mit dem Besatzer. Dabei geht es nicht nur um die USA,
die weder moralischer noch politischer Bezugspunkt, sondern Teil,
nämlich israelischer Teil des Konflikts sind; es geht um Europa, um die
enttäuschende Schwäche, Unentschlossenheit und heuchlerische Haltung
der europäischen Diplomatie.
Das Skandalöseste an den
Ereignissen in Gaza ist, daß sie geschehen können, ohne daß etwas
geschieht. Die Straflosigkeit Israels wird nicht in Frage gestellt.
Die
fortgesetzte Verletzung internationalen Rechts, der Genfer Konvention
und der Mindeststandards an Menschlichkeit bleibt ohne Konsequenzen. Im
Gegenteil, sie scheint noch belohnt zu werden mit bevorzugten Handelsverträgen oder Vorschlägen zum Eintritt Israels
in die OSZE. Und wie obszön klingen schließlich die Sätze aus den
Mündern mancher Politiker, die die Verantwortung zu gleichen Teilen
zwischen Besatzer und Besetztem, zwischen dem Belagerer und dem
Belagerten, zwischen Henker und Opfer verteilen. Und wie unseriös ist
doch die vermeintliche Ausgewogenheit, die den Unterdrückten mit seinem
Unterdrücker auf die gleiche Stufe stellt. Die Sprache ist nicht
unschuldig. Worte töten nicht, aber sie helfen, das Verbrechen zu
rechtfertigen und es zu verewigen.
In Gaza wird ein Verbrechen
begangen. Es geschieht bereits eine Zeitlang vor den Augen der
Weltöffentlichkeit. Und vielleicht wird in einigen Jahren jemand es
wagen zu sagen, wie es in einer anderen Zeit schon einmal geschah, daß
wir nichts wußten.
Pedro Martínez Montávez, José Saramago,
Pilar del Río, Rosa Regás, Carmen Ruiz Bravo, Belén Gopegui,
Constantino Bértolo, Santiago Alba und Luis Cruz
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