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»Wir wollen Frieden«

Gespräch mit Chaled Meschaal, dem politischen Chef der palästinensischen Hamas
über die Anerkennung der Besatzungsmacht Israel, die Probleme der Hamas bei der Bildung einer palästiensischen Regierung der Nationalen Einheit und die Einmischung der CIA

16.12.2006 / Junge Welt - Wochenendbeilage / Seite 1

Margi Chaled Meschaal ist der politische Chef der Hamas-Bewegung, die bei den ersten freien und demokratischen Wahlen in Palästina Anfang des Jahres die deutliche Mehrheit der Stimmen bekommen hat. Der israelische Justizminister Haim Ramon hat in diesem Sommer 2006 öffentlich einen Mordauftrag gegen Meschaal bestätigt. 1997 hatte der Hamas-Politiker in der jordanischen Hauptstadt Amman nur mit viel Glück einen Anschlag des israelischen Geheimdienstes Mossad überlebt. Derzeit hält sich Chaled Meschaal unter strengsten Sicherheitsbedingungen im Asyl in Damaskus in Syrien auf.

Chaled Meschaal

Foto: AP

Chaled Meschaal (Foto) ist einer der Mitbegründer von Hamas. Der Physiker ist verheiratet und hat drei Töchter und vier Söhne.

Herr Meschaal, als Spitzenpolitiker der Hamas stehen Sie auf der Abschußliste des israelischen Geheimdienstes. Wie sind Sie Mitglied der islamischen Widerstandsbewegung geworden?

Ich war von Anfang an dabei. Als die Hamas-Bewegung 1987 gegründet wurde, war ich gerade 31 Jahre alt. Ich gehörte zu denjenigen, die Zweigstellen innerhalb und außerhalb Palästinas aufgebauten. Allerdings geht die Idee, eine Bewegung wie Hamas zu gründen, auf die zweite Hälfte der 70er Jahre zurück. Die internen Diskussionen und Beratungen dauerten über zehn Jahre, bevor wir die Bewegung gründen konnten. Bereits als junger Student an der Universität von Kuwait beschäftigte dieses Projekt mein Herz und meinen Verstand. Damals war ich 21 und Vertreter der Islamischen Bewegung in der Allgemeinen Studentenversammlung.

Seit vielen Jahren wird in westlichen Medien immer wieder berichtet, daß der israelische Nachrichtendienst bei der Gründung der Hamas Hilfestellung geleistet hat. Ich nehme an, Sie kennen diese Berichte?

Leider werden diese Gerüchte von einigen Arabern verbreitet, von palästinensischen Arabern. Es ist der Versuch, unsere Bewegung zu diskreditieren. Aber die Beschuldigungen sind so lächerlich, daß wir uns nicht die Mühe machen, sie zu dementieren. Sie sind einfach unlogisch. Warum sollte Israel einer Organisation geholfen haben, die anschließend Israel bekämpft. Wie ist so was möglich?

Israel soll Hamas bei der Gründung geholfen haben, weil es sich davon eine Spaltung des palästinensischen Widerstands und die Schwächung der säkularen Fatah erhofft hat.

Während der 70er Jahre stellte die Fatah-Bewegung die Hauptkräfte im palästinensischen Widerstand gegen Israel. Folglich konzentrierte Israel seinen Kampf gegen Fatah und gegen andere, kleinere palästinensische Gruppierungen. Zu dieser Zeit war Hamas jedoch noch nicht gegründet und befand sich erst im Aufbau. Wir hatten gerade begonnen, unsere soziale Basis in der palästinensischen Gesellschaft aufzubauen. Wir kümmerten uns in dieser Zeit ausschließlich um soziale Angelegenheiten, um die Organisation von Hilfe für Kranke und Entrechtete, um den Bau von Hospitälern und Schulen etwa. In dieser Zeit beschränkten wir uns auf friedliche Aktionen. Deshalb hat Israel auch nichts gegen uns unternommen.

Die Israelis wußten zu der Zeit noch nicht, was in unseren Köpfen vorging. Insgeheim waren wir nämlich bereits dabei, zu üben und uns auf unsere Widerstandsprojekte vorzubereiten. Weil Israel diese, von Hamas ausgehende Gefahr nicht gesehen hatte, hat es sich gegen die anderen Brigaden gewandt und nicht gegen uns. Es ist diese Untätigkeit uns gegenüber, die von einigen, uns unfreundlich gesonnenen, palästinensischen Arabern als »Beweis« zitiert wird, daß Israel bei der Gründung von Hamas geholfen hat.

Die Beziehungen der Hamas zur Fatah sind derzeit starken Spannungen ausgesetzt. Welche Chancen gibt es noch für eine Regierung der nationalen Einheit?

Diesbezüglich gibt es eine positive Atmosphäre zwischen Hamas und Fatah. Wir haben uns im Oktober auf die Prinzipien einer solchen Regierung der nationalen Einheit verständigt. Allerdings sind in jüngster Zeit Hindernisse aufgetaucht. Erstens gab es Bemühungen seitens der Fatah, uns zurück zu einer Regierung der Technokraten und nicht vorwärts zu einer Regierung der Nationalen Einheit zu bringen. Auf diese Weise sollte Hamas aus der Regierung ausgebootet werden. Das zweite Hindernis ist, daß die Garantien zur Aufhebung der Finanzblockade nicht ausreichen.

Garantien vom Westen?

Ja, von Amerika. - Wir hatten ein Abkommen, daß die Finanzblockade aufgehoben werden würde, wenn wir erst einmal die Regierung der Nationalen Einheit geformt hätten. Hamas nimmt das sehr ernst. Denn wir wollen, daß das Leid des palästinensischen Volkes ein Ende nimmt. Aber wenn wir bei den Wahlen die Mehrheit der Stimmen bekommen haben und im Parlament die Mehrheit der Abgeordneten stellen, dann verlangen wir auch den größeren Einfluß in einer Regierung der Nationalen Einheit. Derzeit haben wir das Dilemma, daß es Kräfte gibt, die uns dieses Recht verwehren wollen.

Eines der Schlüsselprobleme ist die vielbeschworene Anerkennung des Existenzrechts Israels. Ist die Hamas-Bewegung bereit, ihre Position diesbezüglich zu ändern? Insbesondere weil der Westen daraus die conditio-sine-qua-non für die Aufhebung der Blockade gegen die Hamas-geführte palästinensische Regierung gemacht hat?

Ich glaube, der Westen hat inzwischen verstanden, daß Hamas niemals Israel anerkennen wird. Wie können wir denjenigen anerkennen, der unser Land besetzt hält? Das ist unlogisch. Ich bin das Opfer. Ich bin derjenige, der nicht frei ist. Ich bin derjenige, der weit weg von seiner Heimat in der Diaspora leben muß. Israel hat eine Nation als »fait accomplit« von den Vereinten Nationen bekommen. Wir haben keine Nation. Mehr als die Hälfte der Palästinenser lebt in der Diaspora, die meisten in Flüchtlingslagern. Wegen Israel können sie nicht nach Hause, und wir sollen Israel anerkennen? Wer ist hier im Unrecht, wir oder Israel?

Die Zwei-Staaten-Theorie, welche die USA derzeit favorisieren, sieht einen palästinensischen Staat neben einem israelischen Staat vor. Ist auch das absolut unakzeptabel für Hamas?

Nein, nein. Aber ich muß betonen, daß Hamas einen palästinensischen Staat nur innerhalb der Grenzen von 1967 etablieren wird, das schließt die Westbank, Gaza und Westjerusalem mit ein. Bis jetzt erkennt Israel unser Recht auf die von ihm besetzten Territorien nicht an. Alles, was wir Palästinenser wollen, ist die Anerkennung dieses Rechtes. Statt dessen fährt Israel fort, die palästinensischen Rechte zu verletzten, und der Westen ist nicht willens, Israel zu stoppen.

Auch wenn US-Präsident George W. Bush über den palästinensischen Staat gesprochen hat, war er nicht besonders deutlich. Und die israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon und jüngst auch Ehud Olmert haben sich in bezug auf den Bush-Vorschlag jeweils viele Vorbehalte ausbedungen. Sie lehnen einen israelischen Staat in den Grenzen von 1967 ab. Sie wollen einen israelischen Staat, der Teile der Westbank und Westjerusalem annektiert.

Bush hatte im übrigen Scharon zugestimmt, daß Israel ganz Jerusalem behalten könnte. Und er hatte mit ihm abgesprochen, sich dafür den richtigen palästinensischen Führer zu suchen, der all dem zustimmen würde.

Habe ich Sie richtig verstanden, daß Hamas bereit wäre, mit Israel zu verhandeln und es in den Grenzen von 1967 anzuerkennen, bevor es den großangelegten Landraub in Palästina begonnen hat?

Gut, daß das klar geworden ist.

Im Westen heißt es jedoch immer, daß Hamas jegliche Verhandlungen mit Israel ablehnt und lediglich darauf aus ist, die Juden ins Meer zu jagen.

Das stimmt nicht. Juden umzubringen ist nicht unser Ziel. Seit Jahrhunderten haben in Palästina Juden, Christen und Muslime friedlich zusammen gelebt. Wir bekämpfen Israel weil es unser Land besetzt hält und unsere Menschen unterdrückt. Wir bekämpfen Israel, um die Besatzung zu beenden. Wir wollen frei auf unserem Land leben, wie andere Nationen. Wir wollen unser eigenes Land, genau wie andere Völker. Aber die zionistische Bewegung kam aus aller Welt, um unser Land zu besetzen. Und der wirkliche Besitzer wurde von seinem Land verjagt. Das ist die Wurzel des Problems.

Aber wegen einer Reihe von Faktoren akzeptieren wir jetzt einen palästinensischen Staat innerhalb der Grenzen von 1967. Aber das bedeutet nicht, daß wir Israel anerkennen werden. Wir sind allerdings bereit, mit Israel Frieden zu schließen.

Aber warum keine Anerkennung. Bedeutet das nicht fortdauernde Spannungen und Kriegsgefahr?

Nein. Es gibt genügend Beispiele, wo keine Anerkennung nicht automatisch Krieg bedeutet. Nehmen Sie z.B. China und Taiwan. Sie haben sich gegenseitig nicht anerkannt, betreiben aber regen Handel miteinander und kooperieren auch auf anderen Gebieten. - Es ist einfach so, daß wir nicht im nachhinein die Gründung des Staates Israel, die einher ging mit der Besetzung unseres Landes, legitimieren wollen.

Es ist kein Geheimnis, daß der Sicherheitsapparat der palästinensische Fatah seit Jahren vom US-Geheimdienst CIA ausgerüstet und ausgebildet wird. Muß man also nicht davon ausgehen, daß eine ganze Reihe von Leuten in der Bewegung des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas insgeheim für die Amerikaner und für die Israelis arbeiten, einige womöglich in Spitzenpositionen? Inwieweit können Sie der Fatah im Fall einer Regierung der Nationalen Einheit vertrauen?

Dieses Problem ist uns, aber auch der palästinensischen Bevölkerung hinreichend bekannt. Wir können aber nicht die gesamte Fatah über einen Kamm scheren. Auch dort gibt es Aktivisten mit enormer Motivation, und die heißt »nationale Befreiung«. Sie sind unsere Partner im Widerstand. Allerdings gibt es da diejenigen, von denen Sie gesprochen haben. Das ist eine Tatsache. Wir kennen das Problem und kümmern uns darum. Außerdem sind unsere Beziehung zur Fatah so, daß sie nicht notwendigerweise auf Vertrauen basieren müssen.

Glauben Sie, daß dieses Problem auch der Grund dafür ist, daß die Fatah-Führung so viele Schwierigkeiten bei der Schaffung der Regierung der Nationalen Einheit macht?

Das ist eines der Probleme. Leider gibt es diese Einflüsse und diesen Druck von Menschen, die einer ausländischen Agenda folgen und die sich negativ auf Palästina auswirken. Aber trotzdem werden die patriotischen Kräfte gewinnen. Das palästinensische Volk hat dies mit seiner jüngsten, demokratischen Wahl bestätigt.

Die Hamas wird im Westen als Bewegung religiöser Fanatiker dargestellt, mit der man nicht verhandeln kann. Andererseits wurde Ihre Bewegung nach Moskau eingeladen und ist in Syrien Gast eines säkularen Staates. Wie würden sie die »wahre Hamas« beschreiben?

Das Bild von religiösem Fanatismus ist von Israel und der amerikanischen Regierung fabriziert worden. Es entspricht nicht den Fakten. Leider plappern die westlichen Medien den israelisch-amerikanischen Vorgaben nach, ohne bereit zu sein, nach Palästina zu kommen und sich selbst ein Bild über Hamas zu machen. Wir sind bereit für den Dialog, aber viele Medien vertrauen lieber der Propaganda, Gerüchten und Hörensagen.

Die Palästinenser vertrauen uns, deshalb haben wir auch die letzten Wahlen gewonnen. Hamas reflektiert die Gefühle und die Sehnsüchte des palästinensischen Volkes. Und wenn Sie Hamas durchleuchten, dann werden Sie nicht die Spur von Korruption finden. Statt dessen werden sie feststellen, daß die Hamas-Bewegung sehr volksnah ist und sich der tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen annimmt. Und wenn das Volk von Palästina Hamas gewählt hat, dann sollte der Willen des Volkes respektiert werden, auch vom Westen.

Aber was sagen Sie zum Vorwurf des religiösen Fanatismus?

Der ist einfach zu widerlegen. Wenn Hamas eine Bewegung religiöser Fanatiker wäre, dann wäre sie vom palästinensischen Volk nicht gewählt worden. Die palästinensische Gesellschaft ist nicht homogen. Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Gruppen zusammen. In Gaza z.B. wurde ein christlicher Arzt auf der Liste der Hamas als neues Mitglied ins Parlament gewählt. In seinem Wahlkreis hat die Mehrheit der Muslime und Christen ihm ihre Stimme gegeben. Sie haben es getan, weil die Ideen von Hamas gemäßigt sind. Wir praktizieren Toleranz mit allen. Und wir gehen mit Muslimen nicht anders um als mit Christen. Und das gilt auch für alle anderen, seien sie religiös, liberal oder säkular, sei es innerhalb oder außerhalb Palästinas. Daher haben wir auch gute Beziehungen in arabische Länder, in Europa und Afrika. Hamas ist eine offene Bewegung. Und wir bekämpfen Israel nicht, weil dort Juden leben, sondern weil sie unser Land besetzt halten.

Im Westen wird Ihnen hauptsächlich vorgeworfen, in diesem Kampf gegen Israel Akte des Terrorismus zu begehen.

Nein. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Terrorismus und Widerstand. Wir sind gegen Terrorismus. Widerstand ist nicht Terrorismus. Was Israel tut ist Terrorismus, wir leisten Widerstand. Unser Kampf ist eine Reaktion gegen die israelische Aggression und die israelische Besatzung unseres Landes. Wir haben das Recht darauf, Widerstand zu leisten und uns zu verteidigen.

Das Gespräch führte Rainer Rupp in Damaskus


Literaturtip: Die Politikwissenschaftlerin Helga Baumgarten (Universität Birzeit) gibt in ihrem Buch »Hamas. Der politische Islam in Palästina« einen gut lesbaren Überblick über die Entstehung, die Struktur und die politische Programmatik der hierzulande pauschal verteufelten Bewegung. »Wer sich sachkundig, realistisch und glaubhaft zur Situation im Nahen Osten äußern will, kommt an diesem Buch nicht vorbei«, schrieb dazu Rüdiger Göbel in der jW vom 20. November. »Als Standardwerk ist es das wichtigste zu Palästina seit Jahren. Es ersetzt den Glauben, über die Hamas etwas zu wissen, durch Wissen.«

Helga Baumgarten: Hamas. Der politische Islam in Palästina. Diederichs, München 2006, 256 Seiten, 19,95 Euro

 

siehe auch: Wochenzeitung WOZ, 23.11. 2006, "Erfolgreicher als Lenin", Gespräch mit Helga Baumgarten, Politologin an der palästinensischen Bir Seit Universität über Hamas - Eine widersprüchliche Partei in einem widersprüchlichen Konflikt