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Aufruf zur Kundgebung am 6.11.2006

Mail-Aktion der DFG-VK

Überblick über Stellungnahmen von Hilfsorganisationen in Afghanistan, die sich durch die Präsenz der Truppen viel mehr gefährdet als geschützt sehen - Schreiben an Lothar Binding

Jürgen Rose, FREITAG, 03.11.2006 
Staatsbürger in Uniform
Archaische Kämpfer am Hindukusch  - Nur noch Zentimeter von Abu Ghraib entfernt 

Jochen Scholz, FREITAG, 27.10.2006 
Geheime Krieger - Verdeckte Operationen in rechtsfreien Räumen 
Das "Kommando Spezialkräfte"(KSK) reflektiert das gestörte Verhältnis der deutschen Außenpolitik zu Völkerrecht und Verfassung 

Jürgen Wagner, IMI-Studie 2006/07 v. 13.10.2006, 
Die NATO in Afghanistan: Vom Nation Building zur globalen Aufstandsbekämpfung 

Matin Baraki,  junge Welt, 11.11.2006
"Zerfallendes Protektorat" 
Die Zerstörung Afghanistans, ein Werk der Imperialmächte

Bundestag

"Es werden keine Statistiken über die Zahl der Gefangennahmen in Afghanistan geführt"
Antwort der Bundesregierung auf die folgende "Kleine Anfrage" [pdf-Datei] (18. November 2006)

"Wie viele Personen wurden aufgrund der Teilnahme der Bundeswehr an der OEF 'gefangen' genommen?"
"Kleine Anfrage" (mit immerhin 50 Fragen) der Linksfraktion zum Bundeswehreinsatz im Rahmen der "Operation Enduring Freedom" (OEF) [pdf-Datei] (18. November 2006)

Paech: "Verabschieden Sie sich von einer Mission, die nicht mit dem Völkerrecht vereinbar ist" Bundestag verlängert Kriegseinsatz "Enduring Freedom" - Die Debatte im Bundestag (11. November 2006)

 

Bundeswehr raus aus Afghanistan - Aktionen gegen die Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr

Am 10. November wird der Bundestag nun voraussichtlich über eine weitere Beteiligung der Bundeswehr an der Operation Enduring Freedom - darunter das umstrittene Kommando Spezialkräfte (KSK) - abstimmen.

Die DFG-VK führte mit Unterstützung der Informationsstelle Militarisierung e.V. und dem Friedensratschlag eine Mail-Aktion durch, in derem Rahmen viele Briefe an Abgeordnete verschickt wurden, um sie zu einem "Nein" zu bewegen (siehe http://www.schritte-zur-abruestung.de/email-aktion.php ) .

Als Beitrag zu dieser Mail-Aktion der DFG-VK ging folgender Brief an die Abgeordneten des Wahlkreises Karl A. Lamers, Lothar Binding, Dirk Niebel und Fritz Kuhn, sowie an die führenden Politiker der Außenpolitischen und Verteidigungspolitischen Ausschüsse. Als einziger Abgeordneter antwortete Lothar Binding (SPD), sieht man von Winfried Nachtwei, dem sicherheitspolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, ab. Dessen E-Mail war offensichtlich ein Standardantwortschreiben das nicht auf die zugesandten Argumente einging. 

Lothar Binding forderte in seiner knappen Antwort Belege für den Hinweis " Hilfsorganisationen, die sich durch die Präsenz der Truppen viel mehr gefährdet als geschützt sehen, fordern dies [den Rückzug aus Afghanistan] schon lange." Diese wurden ihm in einer ausführlichen E-Mail noch rechtzeitig vor der Abstimmung geliefert. Auswirkungen auf sein Abstimmverhalten hatte es aber offensichtlich nicht.


Schreiben an die Abgeordneten vom 05.11.2006

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie müssen am 10. November 2006 erneut über eine Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Operation Enduring Freedom entscheiden.

Seit fünf Jahren führen die USA und ihre Nato-Verbündeten im Rahmen dieser Operation einen völkerrechtswidrigen Krieg in Afghanistan zu dessen Rechtfertigung sie sich fälschlicherweise auf das "Selbstverteidigungsrecht" berufen. Dieser Krieg hat inzwischen Zigtausenden von Zivilisten das Leben gekostet.
Allein in der Woche, in der die Fotos von Leichenschändungen durch Bundeswehrsoldaten für Empörung sorgten, hatten Nato-Bomben bis zu 90 afghanische Zivilisten ermordet.
Eine statistische Untersuchung Irak kam zum erschütternden Ergebnis, dass seit März 2003 jeder Vierzigste im Irak Opfer von Krieg und Besatzung wurde, wobei sich die Zahl jedes Jahr beinahe verdoppelte. Eine ähnliche Studie für Afghanistan steht leider noch aus, die Opferzahlen dürften hier angesichts des längeren Zeitraums kaum geringer sein.

Deutschland ist aktiv an diesem Krieg" beteiligt, der weit weniger "gegen den Terror" ausrichtet als er selbst Terror ist und schafft.

Aktiv mit dabei sind mindestens 100 Soldaten der im Dunklen operierenden Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK). Vermutlich wissen sie sowenig wie wir, an welcher Art Einsätzen sich die KSK-Soldaten beteiligen, gegen wen und mit welchen Mitteln sie  kämpfen. Die glaubwürdigen Vorwürfe von Murat Kurnaz, KSK-Soldaten hätten ihn misshandelt, lassen schlimmes befürchten. Bekannt ist, dass die KSK zeitweilig das berüchtigte Foltergefängnis auf dem US-Stützpunkt Bagram bewachte, das zum Symbol für die verheerende Menschenrechtssituation im besetzten Land wurde. Der Verdacht liegt nahe, dass sie auch Gefangene an die USA und ihr verbrecherisches Lager- und Kerkersystem ausgeliefert haben und damit selbst gegen die Genfer Konvention verstießen.

Parallel zum Krieg im Süden sollen Nato-geführte ISAF-Truppen für Stabilität im Land sorgen. Davon ist das besetzte Land weit entfernt. Waren für die Menschen vor Ort die Aktionen der Operation Enduring Freedom schon bisher nur schwer von denen der ISAF zu unterscheiden, droht nun mit der Ausweitung des ISAF-Einsatzgebietes eine völlige Vermischung.

Die Besatzung kann in Afghanistan sowenig wie im Irak einen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten, sondern ist eines der Hauptprobleme und muss zügig beendet werden.

Ich bitte Sie daher eindringlich: stimmen Sie bei der Abstimmung im Bundestag gegen die Verlängerung der Bundeswehr-Beteiligung an der Operation Enduring Freedom. Helfen sie mit die alle Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan zurückzuholen.
Setzen Sie sich dafür ein, die 460 Millionen Euro, die der Bundeswehreinsatz pro Jahr kostet, in zivile Projekte zu stecken. Hilfsorganisationen, die sich durch die Präsenz der Truppen viel mehr gefährdet als geschützt sehen, fordern dies schon lange.

Mit freundlichen Grüßen,
Joachim Guilliard


Anwort von Lothar Binding (SPD) vom 07.11.2006:

Sehr geehrter Herr Guillard,

vielen Dank für Ihre Äußerung. Ich werde meine Entscheidung aus den Gesprächen mit meinen Gesprächen mit afghanischen Bekannten und Freunden ableiten. Bitte senden Sie mir Kontaktadressen die Ihren Hinweis " Hilfsorganisationen, die sich durch die Präsenz der Truppen viel mehr gefährdet als geschützt sehen, fordern dies schon lange. " konkretisieren. Ich möchte dort anrufen.

Viele Grüße, Ihr Lothar Binding


Die Frage nach den "Hilfsorganisationen, die sich durch die Präsenz der Truppen viel mehr gefährdet als geschützt sehen" wurde am folgenden Tag, noch rechtzeitig beantwortet, am Abstimmverhalten Lothat Bindings änderte es leider nichts mehr.

Sehr geehrter Herr Binding,

vielen Dank für Ihre Antwort. Ich weiß natürlich nicht, wer Ihre afghanischen Bekannte und Freunde sind, ich möchte Sie aber doch bitten, Ihre Entscheidung auf eine breitere und objektivere Grundlage zu stellen.
Hilfreich dabei könnte der Marburger Politologe Matin Baraki sein - ein Bekannter von mir und ebenfalls Afghane. Näheres über ihn unter http://www.staff.uni-marburg.de/~baraki/. Hier finden sie auch eine Liste seiner Publikationen, z.B.  "Afghanistan nach den Taliban" , Aus Politik und Zeitgeschichte (B 48/2004)  und Menschenrechte in einem besetzten Land

Gerne bin ich Ihnen auch behilflich, was die Kritik von Hilfsorganisationen an den Militäreinsätzen in Afghanistan betrifft.
In der Kürze der Zeit kann ich Ihnen aber nur eine kleine Auswahl von dem zusenden, was ich in den letzten 5 Jahren dazu gesammelt haben.
Ich finde es nebenbei bemerkt schade, dass Sie oder Ihre Fraktion diese und ähnliche Information nicht archiviert haben, da Sie dafür doch wesentlich mehr personelle Ressourcen haben und z.B. auch die Möglichkeit Hearings mit den in Frage kommenden Organisationen durchzuführen. So muß man sich über die Mehrheiten jedes Jahr im Bundestag für eine Verlängerung der Einsätze nicht wundern.

Ein Tipp: Allein schon mit der Eingabe "Kritik Hilfsorganisationen Afghanistan" in Google werden Sie reichlich bedient.

Empfehlen würde ich Ihnen und Ihren Kollengen auf alle Fälle den Aufsatz "Helfer als Handlanger? - Humanitäre Hilfe in den Zeiten der neuen Kriege" von Jürgen Lieser von Caritas International: http://www.caritas-international.de/23220.html

Er steht stellvertretend für Stellungnahmen anderer Hilfsorganisationen .

"Die Kritik richtet sich nicht gegen humanitäre Interventionen überhaupt, " heißt es hier, "sondern gegen die Tatsache, dass es sich bei den meisten bisherigen so genannten "humanitären Interventionen" um einen 'Etikettenschwindel' handelte, weil nämlich die humanitären Motive vorgeschoben waren und herhalten mussten für außen-, sicherheits- oder machtpolitische Interessen."

Abgelehnt wird vor allem die immer stärker geforderte zivil-militärische Zusammenarbeit

"Ein enges Zusammengehen mit dem Militär birgt die Gefahr der politischen Instrumentalisierung der humanitären Hilfe. Es stellt die Unabhängigkeit der Hilfsorganisationen in Frage und führt auch zu einer konkreten Gefährdung der Helfer, weil diese von der Gegenseite mit den feindlichen Truppen identifiziert werden."

"Aus den gleichen Gründen steht Caritas international auch der Forderung nach militärischem Schutz von humanitärer Hilfe skeptisch gegenüber. Jetzt, wo auch die humanitären Helfer zunehmend zur Zielscheibe von Anschlägen werden, wird der Ruf nach militärischem Schutz lauter. Die Helfer wissen aber zu gut, dass verstärkte militärische Präsenz nicht unbedingt mehr Sicherheit bringt. Das Gegenteil ist oft der Fall: je mehr die humanitären Helfer sich unter den Schutz einer Militärmacht begeben, desto eher werden sie von den Feinden dieser Militärmacht bedroht."
...
Exemplarisch für die unzulässige Vermischung militärischer Zielsetzungen mit humanitärer Hilfe ist das in Afghanistan praktizierte Modell der "Regionalen Wiederaufbauteams". Die deutschen Bundesregierung hat solche Teams in Kunduz und Faisabad stationiert. Schon die Bezeichnung ist irreführend, weil sie suggeriert, als gehe es vor allem um den zivilen Wiederaufbau. Die "PRTs" wie sie nach dem amerikanischen Vorbild in Afghanistan heißen, folgen aber primär einer militärischen Zielsetzung und Logik. Der wichtigste Einwand, den Caritas international zusammen mit anderen Hilfsorganisationen immer wieder in der Diskussion um die PRTs vorgebracht hat, ist: die Wiederaufbauteams führen zu einer Verwischung der Grenzen zwischen militärischen und zivilen Aufgaben und stellen damit die Unabhängigkeit der Hilfsorganisationen in Frage. Die Sicherheit der Helfer wird durch die PRTs nicht erhöht, sondern eher gefährdet, weil die Helfer für verkleidete Soldaten halten werden und umgekehrt.

Die Ärzte ohne Grenzen sehen dies genauso und kommen in einer Pressemitteilung v. 28. August 2003 zum Schluß:

"Ärzte ohne Grenzen unterschätzt keineswegs die Gefahren der Arbeit in Afghanistan, lehnt jedoch militärischen Schutz für humanitäre Organisationen ab." ( http://www.aerzte-ohne-grenzen.de/Presse/Pressemitteilungen/2003/Pressemitteilung-2003-08-28-B.php )

Ärzte ohne Grenzen ist seit 1980 nahezu ohne Unterbrechung in Afghanistan tätig!

Peter Runge, Referent für Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe beim Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen VENRO ( http://www.iwif.de/wf406-24.htm ):

Der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck begründete im Jahr 2003 die Ausweitung des Bundeswehrmandats in Afghanistan auf Kunduz auch damit, dass Hilfsorganisationen geschützt werden müssten. Aus Sicht der Hilfsorganisationen ist ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sowie die Verankerung in der lokalen Bevölkerung der beste Schutz. [...] Hilfsorganisationen haben die Erfahrung gemacht, dass verstärkte militärische Präsenz nicht unbedingt mehr Sicherheit bringt. [...] Wo Soldaten aus politisch-militärischen Gründen als Helfer auftreten, werden auch schnell den zivilen Helfern politisch-militärische Interessen unterstellt.
[...]
 Je mehr die Helfer sich unter den Schutz von Streitkräften begeben und damit "im Windschatten militärischer Interventionen"(7) agieren, desto eher werden sie von den Feinden dieser Intervention bedroht.

Zur Ausweitung des Einsatzgebietes der Bundeswehr auf Kundus bemerkte Uli Post, der Sprecher der Deutschen Welthungerhilfe:

„Wir arbeiten in Kundus seit Ende 2001 ohne Probleme. Wir haben ein Vertrauensverhältnis mit der Bevölkerung, das wir nicht durch Militär belasten wollen.“ (http://www.rootcauses.de/publ/barainte.htm )

Selbstredend hat sich auch medico international häufig gegen die immer "weitere Militarisierung der Politik gegenüber Afghanistan" gewandt  (siehe u.a. http://www.medico-international.de/presse/pe/20040625afghan.asp )

Soviel mal auf die Schnelle.

Ich hoffe ich konnte Ihnen damit behilflich sein und Sie nachdenklicher bzgl. einer weiteren Verlängerung des Einsatzes stimmen.

Viele Grüße,
Joachim Guilliard